Verwundbarkeit Trauen Sie sich, Schwäche zu zeigen

Nichts erfordert mehr Mut, als Schwäche zu zeigen. Doch gerade Manager präsentieren sich lieber als starke Macher. Ein Fehler.

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Diese Fehler haben Geschichte geschrieben
Die Beatles ablehnen„Gitarrenbands geraten aus der Mode, Mr. Epstein.“ Das musste sich der Manager der Beatles, Brian Epstein, 1962 anhören. So begründete die britische Plattenfirma Decca Records nach einem Vorspielen der Beatles, warum sie die Band nicht unter Vertrag nehmen wollen. Stattdessen griff Konkurrent EMI zu, der daraufhin hohe Gewinne einfuhr. Die Beatles sind dem Marktforschungsunternehmen Nielsen zufolge allein in den USA mit 65,1 Millionen abgesetzten Alben zwischen 1991 und 2013 die zweiterfolgreichsten Musiker nach US-Country-Sänger Garth Brooks (69,4 Millionen). Quelle: dpa
Der Verkauf AlaskasRussland brauchte Geld, Alaska schien wertlos: Also verkaufte Zar Alexander II. Alaska für 7,2 Millionen US-Dollar an die USA. Mit 4,74 US-Dollar pro Quadratkilometer gilt das als einer der billigsten Landkäufe der Geschichte. Hinzu kommt das Öl unter Alaskas Baumwurzeln. Die Ölvorkommen machen 85 Prozent der Staatseinnahmen Alaskas aus, das ein Bruttoinlandsprodukt von  51,86 Milliarden US-Dollar aufweist. Quelle: Reuters
1913 in Sarajevo falsch abbiegenDas tödliche Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand, das den ersten Weltkrieg auslöste, hätte 1913 verhindert werden können - wenn sein Fahrer Leopold Lojka in Sarajewo nicht falsch abgebogen wäre.  Dabei hielt dieser sich nur an die ursprünglich geplante Streckenführung. Die Verantwortlichen hatten den Fahrtweg zuvor aus Angst vor Attentaten geändert. Das Foto zeigt Franz Ferdinand mit seiner Frau Sofie, bevor sie die verhängnisvolle Fahrt antraten. Sein Fahrer Lojka ist trotzdem mit beiden auf dem Rücksitz in die Franz-Josef-Straße eingebogen, in der ihr Mörder Gavrilo Princip wartete. Als der Landeschef von Bosnien, Oskar Potiorek, den Fahrer aufforderte umzukehren, stand der Wagen kurz still. Princip nutzte seine Chance. Der Rest ist Geschichte. Quelle: dpa
Den Turm von Pisa auf sandigen Boden bauenZwölf Jahre nach der Grundsteinlegung des freistehenden Glockenturms für den Dom von Pisa waren die Bauarbeiter gerade mal an der dritten Etage angekommen – und der Turm begann, sich zu neigen. Der Boden aus lehmigem Morast und Sand gab unter dem Gewicht des Turms nach. Es folgte ein Baustopp – bis man sich 100 Jahre später entschied: Wir bauen weiter. Eine gute Entscheidung! Heute ist der 1372 vollendete „Schiefe Turm von Pisa“ eine der bekanntesten Touristenattraktionen der Welt und lockt jährlich zahlreiche Besucher nach Pisa. Quelle: AP
Australien links liegen lassenSchon 100 Jahren vor den Engländern entdeckten die Niederländer Australien. Sie betrachteten den Kontinent jedoch als nutzloses Wüstenland und zogen weiter. Viel Potenzial sah England allerdings auch nicht darin und machte das Gebiet zu einer Gefängniskolonie. Doch daran festzuhalten, war eine gute Entscheidung: Das Land, das mit 1,5 Billionen US-Dollar das zwölftgrößte Bruttoinlandsprodukt der Welt aufweist, gehört heute zum britischen Commonwealth of Nations und  hat Königin Elizabeth II. als Staatsoberhaupt. Quelle: AP
Harry Potter ablehnenZwölf Verlage begingen diesen Fehler und lehnten Joanne K. Rowlings 1995 vollendeten Roman „Harry Potter und der Stein der Weisen“ ab. Auch der Bloomsbury Verlag verzichtete zunächst, entschied sich jedoch später um und veröffentlichte 1998 den ersten Band der Reihe. Im gleichen Jahr erwarb der Hamburger Carlsen Verlag die Rechte für Deutschland. Alle, die nicht an den Erfolg von Harry Potter glaubten, begingen einen teuren Fehler. Heute sind die Harry-Potter-Bände die meistverkauftesten Bücher der Welt.  Mit 400 Millionen verkauften Exemplaren liegen sie direkt hinter den Werken von Mao Tse-tung (820 Millionen) und der Bibel (3,9 Milliarden). Quelle: Reuters
Chinas GrößenwahnBis ins 14. Jahrhundert wuchs China zu einem riesigen, wohlhabenden Weltreich. Die Zeitgenossen sahen ihr „Reich der Mitte“ nicht nur als Mittelpunkt der Welt, sondern auch als „Alles unter dem Himmel“. Dass die Welt noch viel größer war, war ihnen nicht bewusst. Also baute China seine Marine ab und isolierte sich. Die Kaiser ruhten sich als „Söhne des Himmels“ auf ihren Lorbeeren aus und die Zeiten bahnbrechender Erfindungen wie dem Buchdruck waren längst vorbei. Ein Fehler: Zur gleichen Zeit begann in Europa die Renaissance, Wissenschaften und Künste erblühten und die europäischen Flotten begannen, die Weltmeere zu erforschen. Die rückständigen Chinesen hatten den Kolonialisten wenig entgegenzusetzen. Bis 1976 blieb China ein unterentwickeltes Land, das erst jetzt mit großen Schritten aufholt. Quelle: REUTERS

Am Tag bevor Brené Brown ein Medienstar wird, sitzt sie mit ihrer Familie im Flieger. Weder weiß die 51-Jährige zu diesem Zeitpunkt von ihrem anstehenden Ruhm. Noch, was sie in ihrer Rede am nächsten Tag bei der Vortragsreihe „TED Talks“, wo immerhin schon Microsoft-Gründer Bill Gates und Expräsident Bill Clinton gesprochen haben, eigentlich sagen will. Brown ist zu diesem Zeitpunkt zwar eine respektierte, aber nicht allzuweit über die Grenzen ihrer Disziplin hinaus bekannte Sozialwissenschaftlerin, die am Graduate College of Social Work der Universität Houston zum Themenkomplex Scham und Empathie forscht.

Nun soll sie über ihre Erkenntnisse sprechen. In der Luft fasst die Wissenschaftlerin einen Plan: Sie wird nicht über Schwäche als wissenschaftliches Sujet fachsimpeln. Sondern stattdessen ihre eigene Unzulänglichkeit, wie etwa ihren Perfektionismus, Ordnungswahn und falsch dosierten Ehrgeiz, zum Thema machen.

Sich angreifbar machen, tut weh

Ihre Vita beinhaltet auch einen Nervenzusammenbruch, über den sie sich lange nicht getraut hat zu sprechen. Ihr Mann hält sie für verrückt, das nun in aller Öffentlichkeit breitzutreten. Und auch Brown bereut ihren Mut zunächst. Nach ihrem Vortrag fährt sie nach Hause und schwört sich, so etwas nie wieder zu machen. Sie habe einen Kater vor lauter Verwundbarkeit gehabt, sagt sie später in einem Interview. Die Erfahrung, sich so angreifbar zu machen, sei schrecklich gewesen. Doch genau dieser Mut zur Wahrheit, zum humorvollen Umgang mit den eigenen Blessuren, hat dazu geführt, dass ihr TED Talk inzwischen zu den fünf erfolgreichsten aller Zeiten gehört und Brown zu einer Netz-Berühmtheit wurde.

Mehr als 25 Millionen Nutzer klickten ihn bislang an, jedes der von Brown danach veröffentlichten Bücher war ein Bestseller. Brown ist der Beweis für eine altbekannte Weisheit: Nur wer es wagt, seine Komfortzone zu verlassen und zuzugeben, dass er nicht vollkommen ist, nur wer scheitert und wieder aufsteht, kann Großes erreichen.

Wer hingegen Angst davor hat, für ein Geständnis ignoriert, verlacht oder abgelehnt zu werden, wird an Grenzen stoßen. „Scham lähmt“, sagt Brown. Sie fühlt sich an wie „ein Knoten im Magen“, wie „freier Fall“, „wie „nackt sein, während alle anderen angezogen sind“. Und: Sie führt zu Angst. Angst davor das Risiko einzugehen, sich zu blamieren.

Schlechter Chef? So werden Führungsschwächen zu Entwicklungschance für die Mitarbeiter

Doch ohne Risiken, auch das ist klar, sind Innovationen kaum möglich. Und diese sind in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung wichtiger denn je. Vor allem für eine Volkswirtschaft wie Deutschland, deren Wohlstand eben nicht auf immensen Rohstoffvorkommen, sondern auf klugen Köpfen beruht. Und dafür braucht es die viel beschworene Fehlerkultur.

Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Untersuchung der Beratungsgesellschaft McKinsey aus dem Jahr 2014. Demnach gelingt es vor allem jenen Führungskräften, Mitarbeiter für sich und das Unternehmen zu gewinnen, ein kreatives Umfeld zu schaffen, Vertrauen aufzubauen und zu inspirieren, die es schaffen, ihrer Mannschaft die Angst vor der Ungewissheit zu nehmen, und „Authentizität, Verständnis und ein echtes Interesse an ihrem Umfeld zeigen“.

Die anderen sind auch nicht perfekt

Ebenso hat eine Studie der Universität Michigan ergeben, dass Unternehmen, die im Fehlerfall eine Kultur der Vergebung leben, deutlich weniger anfällig sind für Krisen, weil die Mitarbeiter mit vollem Herzen bei der Sache sind. Doch gerade die, die in der Hierarchie oben stehen und solche Vorgänge des Miteinanders steuern, haben auf dem Weg dorthin oft den Mut verloren, sich selbst zuzulassen. Sie ziehen die Fassade der Wahrheit vor. Aus Angst vor Konkurrenz und Missgunst tricksen, tarnen und täuschen sie, egal, wie dick es kommt.

„Verwundbarkeit heißt Störbarkeit“, erklärt Gerhard Blickle, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Bonn. Wer sich angreifbar macht, ist darauf angewiesen, dass andere diese Schwachpunkte nicht ausnutzen. „Diesen Aufwand scheuen die meisten“, so Blickle. Wer sich traut, Schwäche zu zeigen, macht außerdem noch eine weitere wichtige Erfahrung: Vielen anderen geht es genauso.

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