Whistleblower in Unternehmen Hier ist Petzen ausdrücklich erwünscht

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Täter halten zu sehr zusammen

„Mitarbeiter, die Straftaten ausüben, können zum Überlebensrisiko für die gesamte Firma werden“, sagt Vergaberechtlerin Ute Jasper von der Kanzlei Heuking Kühn. „Denn diese Unternehmen können unter Umständen noch jahrelang von Wettbewerben um öffentliche Aufträge ausgeschlossen werden.“

Auch das Bundeskartellamt will es Tippgebern so leicht wie möglich machen und hat vor zwei Jahren ein elektronisches System für anonyme Hinweise auf Kartelle auf seiner Homepage installiert. Es garantiert den Whistleblowern Anonymität, hat aber gleichzeitig die Möglichkeit, den Tippgeber über einen geschützten elektronischen Briefkasten zu kontaktieren. Auf diesem Weg kam auch der jüngste große Fall ans Licht: das Wurstkartell, bei dem bis zu 21 Produzenten 338 Millionen Euro an Bußgeld zahlen sollen.

„Gerade bei Korruptionsdelikten kommt man ohne Angebote für Leute, die sich offenbaren und Schutz suchen, nicht weiter“, sagt EY-Korruptionsexperte Heissner. „Dafür halten die Täter zu sehr zusammen.“

Diese Erfahrung durfte etwa die Deutsche Bahn machen – mit 20 Milliarden Euro Einkaufsvolumen und 16.000 Geschäftspartnern eines der komplexesten Unternehmen Deutschlands. Einer dieser besagten Geschäftspartner hatte jahrelang den Auftrag, im Winter die Schienen von Eis und Schnee frei zu halten – an 2452 Einzelflächen an 801 Stationen in vier Bundesländern. Obwohl sich die Mitarbeiter im Räumdienst zu Einsatzbeginn via Handy und GPS bei der Datenbank der Bahn an- und abmelden müssen, passten die Stundennachweise nicht zu den Angaben in der Datenbank. 1,2 Millionen Euro hatte die Firma für ihre vielen Einsätze nachgefordert. Erst durch den Tipp eines Mitarbeiters dieses Auftragnehmers kam die Bahn ihrem Geschäftspartner auf die Schliche – der Dienstleister hatte oft mehr Mitarbeiter abgerechnet als eingesetzt, kassierte selbst an Tagen, an denen überhaupt kein Schnee lag. Die Bahn fordert jetzt 200.000 Euro zurück, der Fall ist vor Gericht.

Wie deutsche Unternehmen durch Wirtschaftskriminalität geschädigt wurden. Von 2006 bis 2013

Manch wertvoller Tipp kommt insbesondere über Tochtergesellschaften oder Joint Ventures im Ausland, die weit weg von der Unternehmenszentrale in Deutschland agieren und schwer aufzudecken sind: etwa wenn vor Ort ein krimineller Statthalter den Bau einer Straße zum Werksgelände in der Kalkulation versteckt – diese aber nie gebaut wird.

Hotlines für Mandarin

Wie wichtig es ist, dass die Hotlines auch Anrufer verstehen, die Mandarin, Polnisch, Tschechisch oder Italienisch sprechen, zeigt ein Fall der Deutschen Telekom: In der Konzernzentrale meldete sich eine Frau, die gerade von einer osteuropäischen Tochtergesellschaft des Telekommunikationskonzerns entlassen worden war. Anfangs verstand niemand ihre Sprache, dann aber entpuppte sich der Anruf als hochbrisant. Bekam die Hotline über die Frau doch wertvolle Hinweise auf die korrupten Machenschaften des gesamten dortigen Führungsteams. Die Frau – deren Namen aus Sicherheitsgründen nicht einmal die Compliance-Abteilung des Konzerns kennt und die deshalb auch nicht als Zeugin vor Gericht aussagen soll – wurde wieder eingestellt, die Manager vor Ort restrukturierten sie aus Rache sofort weg – vorgeblich betriebsbedingt. Tatsächlich war das nachfolgende Management noch mafiöser als das erste und von diesem zuvor bereits geschickt in Stellung gebracht worden. Das Top-Management wurde zum zweiten Mal ausgewechselt, der Compliance-Manager vor Ort hat bis heute alle Hände voll zu tun.

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