Widerspruch Schleimer gefährden den Unternehmenserfolg

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Lieber Loyalität als Selbstbewusstsein

Dabei brauchen Unternehmen gerade in Zeiten von Digitalisierung und wirtschaftspolitischer Neuordnung dringender denn je Querdenker und Aufrüttler, Alles-anders-Macher und Visionäre. Nur so kann sich der kreative Diskurs gegenüber einer Immer-weiter-so-Mentalität durchsetzen.

Doch sich als Chef gegen das Lob und für den Widerspruch zu entscheiden ist schwer genug. Diese Aufmüpfigkeit gar zu provozieren und Neinsager zu befördern fast unmöglich. Das zeigt auch eine Studie der Fernuniversität Hagen aus dem Jahr 2015. Darin untersuchte die Betriebswirtin Andrea Derler, was Führungskräfte von einem idealen Mitarbeiter erwarten. Das Ergebnis: „Die meisten der untersuchten Unternehmen bevorzugen angepasste Beschäftigte“, sagt die Forscherin. Die drei präferierten Eigenschaften waren Verlässlichkeit, Produktivität und Loyalität. Unerwünscht hingegen waren Selbstbewusstsein, Unbelehrbarkeit und Abweichung von Firmentrends.

„Besonders narzisstische Chefs scharen gerne Jasager um sich“, sagt Experte Biemann.

Diese Dinge können Manager von Diplomaten lernen

Davon gibt es leider viele. Studien zufolge sitzen Menschen mit einer narzisstischen oder psychopathischen Persönlichkeit etwa drei- bis viermal häufiger auf dem Chefsessel als im Bevölkerungsdurchschnitt. Solche Vorgesetzte halten sich für unantastbar, hinterfragen eigene Entscheidungen nicht und holen sich vor allem Mitarbeiter in ihr Team, die immer nur nicken oder sie noch in ihren Allmachtsfantasien bestärken. Berater Flock kennt Beispielfälle, bei denen die Jasager-Kultur fast zur Insolvenz geführt hätten: „Wenn immer nur unstrittige Informationen nach oben weitergegeben werden, entstehen existenzbedrohliche Fehleinschätzungen.“

So war es auch bei Thyssenkrupp. 2005 beschloss der damalige Chef Ekkehard Schulz den Bau zweier riesiger neuer Stahlwerke. Doch statt dem Unternehmen einen ordentlichen Gewinn einzubringen, entwickelte sich vor allem das Werk in Brasilien zur Katastrophe. Das Unternehmen musste Verluste in Milliardenhöhe verkraften. Was alles schieflief im Haus Thyssen, offenbarte sich für Schulz-Nachfolger Heinrich Hiesinger, als er die Baustelle in Brasilien besuchte. Dort wurde er dezent gefragt, ob man ihm das Projekt wie bisher beschreiben solle, oder ob er die Wahrheit hören wolle.

„Es wurde eine Kultur gepflegt, in der Abweichungen und Fehlentwicklungen lieber verschwiegen als korrigiert wurden“, sagt Hiesinger kurz nach seinem Amtsantritt.

So verscherzen sich Manager das Vertrauen ihrer Angestellten
Talk the Walk & Walk the Talk Ohne Vertrauen geht es nicht: Wenn niemand weiß, wie es hinter der nächsten Wegbiegung aussieht und Zielvorstellungen morgen schon überholt sein können, müssen Mitarbeiter und Partner dem Management blind vertrauen können. Denn Glaubwürdigkeit wird Managern zugeschrieben, die nachvollziehbar den Nutzen des Unternehmens mit echter Wertschätzung für die Menschen verbinden. Das heißt Respekt und Augenhöhe, Sprechen und Handeln nach klaren Werten: Talk the Walk & Walk the Talk. Peter Wollmann, Programmdirektor bei der Zurich Insurance Company und Berater Frank Kühn erklären in „Leading international projects“, welche Bedeutung Vertrauen für Unternehmen heutzutage hat – und wie Top-Manager es zerstören. Quelle: Presse
Narzissmus im Management Narzissten haben einen desaströsen Einfluss auf die nächsten Organisationsebenen. Das erleben wir bei Führungskräften, die an bizarren Entscheidungen ihrer Vorgesetzten verzweifeln. Daran sind – aus Sicht des Narzissten – diese Führungskräfte natürlich selbst schuld. Deshalb vertraut der Narzisst am liebsten sich selbst. Dem zutiefst geprägten Narzissten gehen Sie am besten aus dem Weg. Er lohnt Ihre Annäherung nur, wenn Sie ihm huldigen. Das hilft aber dem Unternehmen nicht, also lassen Sie es. Sie riskieren nur das Vertrauen derer, für die es sich ehrlich lohnt. Quelle: Fotolia
Fehlende Offenheit und TransparenzVerschlossene Topmanager haben ein mehrfaches Problem. Sie müssen ständig auf der Hut sein, was sie veröffentlichen wollen. Wenn es an „ihr Verschlossenes“ geht, argumen-tieren sie umständlich, nebulös oder genervt. Das kostet Kraft und Glaubwürdigkeit. Wir erleben auch Topmanager, die Zurückhaltung von Informationen als hierarchisches Prinzip sehen. Wer das Vertrauen seiner Mitarbeiter gewinnen will, muss das Paradigma, dass Wissen Macht sei, umkehren und Transparenz schaffen. Das ist Voraussetzung dafür, dass die Menschen in der Organisation überhaupt verantwortlich handeln können. Quelle: Fotolia
Unklare Prinzipien und WerteUnklar formulierte oder unpersönlich gehaltene Werte und Prinzipien, die dem Topmanagement wichtig sind, führen zwangsläufig zu Rätselraten. Klar geäußerte persönliche Werte schaffen dagegen Vertrauen. Vereinbarte Prinzipien schaffen Verhaltenssicherheit – wenn sie auf allen Ebenen spürbar sind und ernstgenommen werden. Wenn auch der CEO beim Werksrundgang den Helm aufzieht, wird sichtbar, dass Sicherheit wichtig ist. Wenn er kritisch-konstruktive Rückfragen ehrlich und sichtbar wertschätzt, zeigt er, dass ihm Feedback wichtig ist. Für Manager bedeutet das: Sprechen Sie an, was Sie ärgert und worüber Sie sich freuen. Sagen Sie, mit welchen Motivationen und Interessen Sie die Dinge angehen. Vereinbaren Sie Prinzipien für die Führung und Zusammenarbeit im Unternehmen. Und vor allem: gehen Sie mit gutem Beispiel voran. Quelle: Fotolia
Willkürliches VerhaltenMangelnde Disziplin beziehungsweise willkürliches Benehmen im Topmanagement ist ärgerlich: Verspätung zum Meeting oder Nichteinhaltung von Zusagen gehen gar nicht. Als Machtdemonstration ist das obendrein lächerlich und von den Mitarbeitern längst durchschaut. Insbesondere agile Organisation setzen darauf, dass formulierte Praktiken für lebendige Informationsplattformen, dezentrale Entscheidungsfindung und kollegiale Konflikthandhabung zuverlässig gelebt werden. Ohne Ausnahme, auf allen Ebenen, in allen Bereichen. Wenn unsere dynamische Zeit schnelles Handeln erfordert, sind pünktliches Erscheinen und disziplinierte Meetings ein Muss. Wenn Sie das als Top-Manager nicht eingehen wollen, lassen Sie die Finger von agilen Ansätzen.
DesinteresseMenschen beklagen oft mangelndes Interesse an ihnen und Ihrer Arbeit. Wie sollen sie Vertrauen in eine Führung aufbauen, der sie egal sind? Top-Manager müssen sich darüber klar sein, dass es die Mitarbeiter sind, die in den täglichen Kundensituationen das Unternehmen erfolgreich machen. Organisation und Führung sind dazu da, das bestmöglich zu unterstützen. Entwickeln Sie dies als eine ehrliche Überzeugung und schaffen Sie Gelegenheiten zum Kontakt und Austausch mit Ihren Leuten. Gehen Sie in Projektmeetings und hören Sie zu; seien Sie wohlwollend und respektvoll, auch wenn Sie mal intervenieren müssen. Beziehen Sie die Menschen aktiv in Veränderungsprojekte ein, profitieren Sie von ihren Erfahrungen und ihren Erwartungen. Quelle: Fotolia
Der Mitarbeiter als Kostenfaktor„Humankapital?“ Das mag positiv gemeint sein, kann aber schräg rüberkommen: Viele Mitarbeiter haben das Gefühl, dass sie vor allem als Kostenfaktoren betrachtet werden. Menschen wollen nicht nur Personalnummer und Budgetposten sein. Hier ist das Top-Management gefragt: Sprechen Sie die Menschen persönlich und namentlich an. Binden Sie sie mit Anerkennung ihrer Erfahrungen und Fähigkeiten ein. Unterscheiden Sie Kostenfaktoren (Materialverschwendung, schlechte Arbeitsbedingungen, schlecht vorbereitete Meetings, umständliche Prozesse) und Menschen (Andy, Petra) ausdrücklich. Quelle: Fotolia

Dieses Phänomen hat der US-Psychologe Irving Janis schon in den Siebzigerjahren beschrieben. Das sogenannte Gruppendenken bezeichnet einen Prozess, in dem eigentlich intelligente Menschen ihre Meinung an die Vorstellung der anderen anpassen. Mit der Folge, dass am Ende eine schlechtere Entscheidung getroffen wird.

Diese Erfahrung musste auch die amerikanische Supermarktkette Walmart machen – das vielleicht hierarchischste Unternehmen der Welt. Mehr als zwei Millionen Mitarbeiter, wöchentlich 260 Millionen Kunden, 11 670 Filialen weltweit. Um einen solchen Riesen zu steuern, gab es jahrzehntelang nur eine Möglichkeit: Einige wenige entscheiden für viele andere. Was oben beschlossen wird, wird unten wiederspruchslos umgesetzt. Das mag auch die richtige Lösung gewesen sein, solange das Unternehmensziel darin bestand, immer neue Supermärkte zu eröffnen. Doch in Zeiten, in denen Walmart immer mehr Anteile an Konkurrenten wie Amazon verliert und sich neu erfinden muss, reicht das nicht mehr. Seit 2014 leitet mit Doug McMillon nun einer das Unternehmen, der ordentlich an dem starren Fundament wackelt. Er riss Hierarchieebenen ein und gab seinen Mitarbeitern mehr Verantwortung. Ob es funktioniert, ist noch nicht absehbar. Zuletzt sanken die Umsätze wieder.

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