Dabei brauchen Unternehmen gerade in Zeiten von Digitalisierung und wirtschaftspolitischer Neuordnung dringender denn je Querdenker und Aufrüttler, Alles-anders-Macher und Visionäre. Nur so kann sich der kreative Diskurs gegenüber einer Immer-weiter-so-Mentalität durchsetzen.
Doch sich als Chef gegen das Lob und für den Widerspruch zu entscheiden ist schwer genug. Diese Aufmüpfigkeit gar zu provozieren und Neinsager zu befördern fast unmöglich. Das zeigt auch eine Studie der Fernuniversität Hagen aus dem Jahr 2015. Darin untersuchte die Betriebswirtin Andrea Derler, was Führungskräfte von einem idealen Mitarbeiter erwarten. Das Ergebnis: „Die meisten der untersuchten Unternehmen bevorzugen angepasste Beschäftigte“, sagt die Forscherin. Die drei präferierten Eigenschaften waren Verlässlichkeit, Produktivität und Loyalität. Unerwünscht hingegen waren Selbstbewusstsein, Unbelehrbarkeit und Abweichung von Firmentrends.
„Besonders narzisstische Chefs scharen gerne Jasager um sich“, sagt Experte Biemann.
Diese Dinge können Manager von Diplomaten lernen
"Nicht allein die Funktion eines Ansprechpartners steht im Fokus, sondern auch der Mensch „dahinter“", sagt Gerlinde Manz-Christ, ehemalige Diplomatin und Regierungssprecherin. "Ein gutes persönliches Einvernehmen mit einem Menschen in einer einflussreichen Rolle sorgt nämlich dafür, dass man auch auf der Sachebene schneller zu den gewünschten Ergebnissen kommt. Diplomaten nehmen sich deshalb Zeit, zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Vertrauen und Respekt sind Schlüsselfaktoren für den Verhandlungserfolg."
"Diplomaten pflegen Kontakte fortlaufend und nicht nur, wenn sie nötig sind. Sie suchen die persönliche Begegnung, hören zu, liefern Informationen – mit Blick aufs Ziel, aber ohne das Ziel in den Mittelpunkt der Beziehung zu stellen. Sie wählen ihre Kontakte mit Bedacht, nicht mit offenkundiger Berechnung. Ein Diplomat weiß: Wenn wir gute Beziehungen brauchen, ist es zu spät, sie erst aufzubauen."
"In der Diplomatie werden Sachverhalte niemals isoliert betrachtet. Diplomaten nehmen verschiedene Perspektiven ein, betrachten die Dinge sowohl im großen Kontext wie im Detail. Dabei widmen sie sich entscheidenden Fragen: Worum geht es eigentlich? Was steckt dahinter? Womit hängt es zusammen?"
"Diplomaten suchen niemals nach „faulen“ Kompromissen, sondern nach der besten Lösung für alle Beteiligten. Wenn Verhandlungsergebnisse doch einmal zu wünschen übrig lassen, dann betonen sie das Positive der gefundenen Lösung, damit niemand schlecht dasteht."
"Die Wirtschaft kann von der Diplomatie lernen, dass maximale Konfrontation und ein Spiel auf Sieg oder Niederlage wenig einbringen. Im Business scheint es nur selten die Bereitschaft zu geben, sich intensiv mit den Gedanken und Gefühlen der anderen Seite auseinanderzusetzen, bevor es in Verhandlungen geht. Oft sind die Positionen bereits festgefahren, ehe die Verhandlungspartner überhaupt zu reden beginnen. Die Diplomatie versteht Gegensätze als Herausforderung, in der auch Chancen liegen. Empathie ist dabei einer der wichtigsten Schlüssel zur Konfliktlösung."
"Diplomaten reden zielorientiert miteinander. Wenn etwas unausgesprochen im Hinterkopf bleibt, erschwert dies den Weg zum Ziel oder verbaut ihn gar. Klare Ansagen ebnen den Weg zur einvernehmlichen Lösung."
"Persönliche Begegnungen sind eine unverzichtbare Grundlage, um Beziehungen am Leben zu halten. Führungskräfte sollten der Kommunikation von Angesicht zu Angesicht einen hohen Stellenwert einräumen, wenn sie Dinge in Gang bringen wollen. Läuft der Prozess, können sie auch andere Kommunikationswege nutzen, aber der Auftakt sollte Auge in Auge erfolgen."
"Nelson Mandela sagte: „Wenn du deinen größten Triumph feierst, lasse die größte Güte walten. Demütige deinen Gegner unter keinen Umständen. Erlaube ihm, sein Gesicht zu wahren. Erst dann hast du deinen Feind zu deinem Freund gemacht.“ Diplomaten wissen: Ein gedemütigter Gegner sinnt auf Revanche – und wird zum gefährlichen Feind. Deshalb unterlassen sie alles, was ihr Gegenüber provozieren könnte und sehen großzügig über dessen Fauxpas hinweg."
"Diplomatie ist Teamarbeit. Ein Diplomat weiß, wo es besser ist, loszulassen und die Stärken anderer einzusetzen. Der Erfolg heutiger Führungskräfte basiert nicht auf deren Selbstüberhebung, sondern auf ihrer Selbstreflexion. Sie werden in Zukunft daran gemessen, wie es ihnen gelingt, das eigenverantwortliche Handeln ihrer Mitarbeiter zu organisieren und Raum für Talententfaltung zu schaffen."
"Die Berufswahl des Diplomaten ist seit jeher von Idealismus, Freude und Begeisterung bestimmt. Auch immer mehr Führungskräfte haben erkannt, dass Mitarbeiter besonders dann gut sind, wenn sie etwas mit Freude tun. Wo Begeisterung herrscht, herrscht auch die Bereitschaft zum Lernen, zur Weiterentwicklung, zur herausragenden Leistung."
Davon gibt es leider viele. Studien zufolge sitzen Menschen mit einer narzisstischen oder psychopathischen Persönlichkeit etwa drei- bis viermal häufiger auf dem Chefsessel als im Bevölkerungsdurchschnitt. Solche Vorgesetzte halten sich für unantastbar, hinterfragen eigene Entscheidungen nicht und holen sich vor allem Mitarbeiter in ihr Team, die immer nur nicken oder sie noch in ihren Allmachtsfantasien bestärken. Berater Flock kennt Beispielfälle, bei denen die Jasager-Kultur fast zur Insolvenz geführt hätten: „Wenn immer nur unstrittige Informationen nach oben weitergegeben werden, entstehen existenzbedrohliche Fehleinschätzungen.“
So war es auch bei Thyssenkrupp. 2005 beschloss der damalige Chef Ekkehard Schulz den Bau zweier riesiger neuer Stahlwerke. Doch statt dem Unternehmen einen ordentlichen Gewinn einzubringen, entwickelte sich vor allem das Werk in Brasilien zur Katastrophe. Das Unternehmen musste Verluste in Milliardenhöhe verkraften. Was alles schieflief im Haus Thyssen, offenbarte sich für Schulz-Nachfolger Heinrich Hiesinger, als er die Baustelle in Brasilien besuchte. Dort wurde er dezent gefragt, ob man ihm das Projekt wie bisher beschreiben solle, oder ob er die Wahrheit hören wolle.
„Es wurde eine Kultur gepflegt, in der Abweichungen und Fehlentwicklungen lieber verschwiegen als korrigiert wurden“, sagt Hiesinger kurz nach seinem Amtsantritt.
Dieses Phänomen hat der US-Psychologe Irving Janis schon in den Siebzigerjahren beschrieben. Das sogenannte Gruppendenken bezeichnet einen Prozess, in dem eigentlich intelligente Menschen ihre Meinung an die Vorstellung der anderen anpassen. Mit der Folge, dass am Ende eine schlechtere Entscheidung getroffen wird.
Diese Erfahrung musste auch die amerikanische Supermarktkette Walmart machen – das vielleicht hierarchischste Unternehmen der Welt. Mehr als zwei Millionen Mitarbeiter, wöchentlich 260 Millionen Kunden, 11 670 Filialen weltweit. Um einen solchen Riesen zu steuern, gab es jahrzehntelang nur eine Möglichkeit: Einige wenige entscheiden für viele andere. Was oben beschlossen wird, wird unten wiederspruchslos umgesetzt. Das mag auch die richtige Lösung gewesen sein, solange das Unternehmensziel darin bestand, immer neue Supermärkte zu eröffnen. Doch in Zeiten, in denen Walmart immer mehr Anteile an Konkurrenten wie Amazon verliert und sich neu erfinden muss, reicht das nicht mehr. Seit 2014 leitet mit Doug McMillon nun einer das Unternehmen, der ordentlich an dem starren Fundament wackelt. Er riss Hierarchieebenen ein und gab seinen Mitarbeitern mehr Verantwortung. Ob es funktioniert, ist noch nicht absehbar. Zuletzt sanken die Umsätze wieder.