WirtschaftsWoche: Herr Baumann, kluge Firmeninhaber hinterlegen ein penibel ausformuliertes Testament. Das klärt, wie es im Falle ihres Todes nahtlos mit dem Unternehmen weitergehen soll und wer die Geschäfte an ihrer Stelle führt. Aber was gilt, wenn der Alleininhaber nach einem Schlaganfall oder einem Autounfall zwar auch nicht mehr geschäftsfähig ist, aber noch lebt?
Wolfgang Baumann: Wenn er für diesen Fall nicht über eine Prokura, eine allgemeine oder unternehmensbezogenen Generalvollmacht vorgesorgt hat, kann das zum Stillstand des Unternehmens führen. Bankkonten sind eingefroren ohne Vollmachten. Steuern, Sozialabgaben, Gehälter und Lieferanten können nicht bezahlt, Verträge mit Kunden oder Mitarbeitern nicht geschlossen werden.
Zählt bei dieser Art Ernstfall, was der Erkrankte in seinem Testament als letzten Willen formuliert hat?
Nein, das ist völlig irrelevant, denn das Testament gilt nur im Todesfall, also nicht bei Eintritt von Geschäftsunfähigkeit.
Zur Person
Wolfgang Baumann ist Jurist und Professor an der Schumpeter School of Business and Economics der Bergischen Universität Wuppertal.
Aus Ihrer Erfahrung als Notar: Wie lange überlebt eine durchschnittlich solvente kleine oder mittlere Firma, wenn plötzlich bei Banken alle Räder stillstehen?
Das kann binnen weniger Wochen je nach Sensibilität von Lieferanten und Kunden zur Insolvenz führen. Selbst bei überdurchschnittlich gut finanzierten Unternehmen passiert das aufgrund der Zahlungsunfähigkeit.
Und wer entscheidet dann in der Praxis, wenn der Chef im Koma liegt, wie es weitergeht?
Das Gesetz schreibt vor, dass für jeden nicht Geschäftsfähigen, der nicht vorsorgend eine umfassende Generalvollmacht erteilt hat, ein Betreuer bestellt werden muss.
Wer bestellt den Betreuer und sucht ihn nach welchen Kriterien aus? Die Firma, die Familie?
Nein, das Betreuungsgericht, also ein einzelner Betreuungsrichter. Die Auswahlkriterien für den Betreuer setzen keine unternehmerische Qualifikation voraus.
Wie soll der denn dann unternehmerisch entscheiden?
Der Betreuer wird und kann nicht unternehmerisch entscheiden. Laut Gesetz soll er das Vermögen des Betreuten verwalten und erhalten.
Kann der Unternehmer vorab Einfluss auf die Auswahl des Betreuers nehmen?
Er kann vorsorgend in einer Betreuungsverfügung einen Betreuer vorschlagen. Besser ist aber ein Bevollmächtigter.
"Die Problematik gilt für alle Rechtsformen eines Unternehmens"
Warum ist der Bevollmächtigte sinnvoller?
Weil er im Unterschied zum Betreuer das Unternehmen klar nach unternehmerischen Kriterien führen kann – und darf.
Gilt die Problematik für alle Rechtsformen eines Unternehmens?
Sie gilt für Einzelunternehmen mit besonderer Schärfe. Aber auch bei einer Personengesellschaft kann ein persönlich haftender Gesellschafter die Gesellschaft nur vertreten, wenn er geschäftsfähig ist. Das führt sowohl auf der Ebene der Gesellschafter untereinander als auch im Außenverhältnis zu Schwierigkeiten. Wenn die Personengesellschafter nicht mehr vertreten können, muss ein Betreuer bestellt werden, der auch die Gesellschafterrechte wahrnimmt.
Bei Kapitalgesellschaften kann ein Betreuer für den Geschäftsführer oder Vorstand nicht bestellt werden, weil deren Stellung nicht übertragbar ist. Die oben beschriebenen Probleme treten vor allem bei der Ein-Mann GmbH und der Ein-Personen AG auf, weil dann kein neuer Vorstand oder Geschäftsführer bestellt werden kann.
Wie Betriebsnachfolger ihren Steuervorteil selbst berechnen können
Das Betriebsvermögen entspricht dem letzten Jahresgewinn x 14.
Der Faktor 14 ist der sogenannte Kapitalisierungsfaktor, der für jedes Steuerjahr vom Bundesfinanzministerium bestimmt wird.
Das steuerpflichtige Vermögen entspricht dem Betriebsvermögen, abzüglich der 85 % Verschonungsbetrag. Künftig soll es ab einem Betriebsvermögen von 20 Millionen Euro eine sogenannte Bedürfnisprüfung geben. Wird dabei festgestellt, dass das Unternehmen durch Steuerschuld auf die Übertragung (Erbe oder Schenkung) gefährdet wäre, soll die Steuerzahlung auch gestundet werden.
Die Steuerschuld ergibt sich aus dem steuerpflichtigen Vermögen minus 150.000 Euro Abzugsbetrag. Der Abzugsbetrag von 150.000 Euro ist degressiv. Bleiben nach Abzug der 85 Prozent höchstens 150.000 Euro übrig, greift er voll. Bei höherem Rest, von diesem 150.000 Euro abziehen, durch zwei teilen, diesen Betrag von 150.000 Euro abziehen und das Ergebnis als Abzugsbetrag nehmen.
Von der in Schritt drei ermittelten Steuerschuld muss nur noch der persönliche Freibetrag abgezogen werden. Das Ergebnis ist endgültig zu versteuern. Der persönliche Freibetrag beträgt zum Beispiel für Ehegatten und eingetragene Lebenspartner 500.000 Euro, für Kinder 400.000 Euro Die Steuersätze liegen in ihrer Steuerklasse bei sieben Prozent (bis 75.000 Euro), elf Prozent bis 300.000 Euro, 15 Prozent bis 600.000 Euro und 19 Prozent bis sechs Millionen Euro.
Reicht es, diese Vollmachten formlos schriftlich zu erteilen?
Jede Vollmacht ist formlos gültig, aber nicht immer formlos brauchbar. Im Geschäftsverkehr werden formlose Vollmachten oft nicht anerkannt. Eine notarielle Beurkundung nur der Vollmacht - nicht der Handlungsanweisungen - empfiehlt sich aus mehreren Gründen. Insbesondere, wenn gegenüber öffentlichen Registern wie Handelsregister oder Grundbuchamt Erklärungen abzugeben sind, muss zwingend eine notarielle Vollmacht vorliegen.
Was ist mit Handlungsanweisungen gemeint?
Der Unternehmer kann den Bevollmächtigten schriftlich anweisen, was er zu tun und zu lassen hat. Das kann zumindest für die Übergangszeit sinnvoll sein.
Was kostet die notarielle Beurkundung?
Die Kosten sind vergleichsweise niedrig. Sie richten sich nach dem Vermögenswert und haben bei Vollmachten mit hohem Vermögen ab zwei Millionen Euro aufwärts eine Höchstgebühr von 1735 Euro.
Wen sollte ein Chef beziehungsweise eine Chefin darüber schon vorab informieren?
Das sind dann die besagten Vertrauenspersonen und natürlich seine oder ihre Familie. Die werden im unerwarteten Ernstfall überfallartig mit den anstehenden Problemen konfrontiert.