Work-Life-Balance "Stress übertönt alles"

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"Käse, Brot und Rotwein sind wunderbar, aber ziemlich tödlich"

Sie denken eben wie im Job: Gibt es ein Problem, kaufe ich eine Lösung.
Wilhelmi: The Quick-Fix. Das ist sehr stark gerade unter Männern verankert. Die schnelle Pille, die schnelle Spritze.

Funktioniert das jemals?
Poletto: Nein.
Wilhelmi: Doch, für den, der die Spritze gibt.
Poletto: Das ist auch nicht einfach. Wenn Sie jemanden aus einem Wahnsinnsalltag ziehen und den dann hier hinsetzen: Was soll der machen? Der nimmt sich dann einen Trainer und läuft um den See, macht nur Sport. Ich muss ehrlich zugeben: Ich bin auch so. Ich muss mich selber manchmal zwingen, nichts zu tun. Einfach mal auf dem Sofa liegen, vielleicht was lesen, wozu ich im Alltag gar nicht mehr komme.
Wilhelmi: Manche bringen sich Arbeit mit.

Sagen Sie dann etwas dagegen?
Wilhelmi: Siegfried Unseld hat hier ein ganzes Buch geschrieben. Das hat man immer gehört, wie die Schreibmaschine klackerte. Den halben Tag wollte er eben arbeiten.

Was hinter den bekanntesten Stress-Mythen steckt
Mythos 1: Stress macht schlank „Wenn ich stress habe, vergesse ich manchmal sogar zu essen“, sagen manche Menschen gerne. Grundsätzlich hat Stress aber einen gegenteiligen Effekt: Das Hormon Kortisol verändert den Stoffwechsel und führt zur vermehrten Fetteinlagerung, vor allem im Bauch- und Taillenbereich - und dort schadet es der Gesundheit besonders. Wer unter hoher Belastung leidet, ernährt sich außerdem häufig unausgewogen – Gestresste greifen vermehrt zu kohlenhydrat- und fettreichen Speisen. Da man auf der Arbeit wenig Zeit hat, vertilgt man sie schnell zwischendurch - oder isst am Abend die doppelte Portion. Quelle: dpa
Mythos 2: Stress ist immer schädlichGenauso falsch ist es, Stress zu verteufeln. Denn er ist eine natürliche Reaktion, die Menschen hellwach und reaktionsschnell macht. Der Körper ist auf Angriff gepolt. Damit bewältigen wir schwierige Situationen besser und fühlen uns zunächst leistungsfähiger. Positiver Stress, den man auch Eustress nennt, tut gut. Der Grund: Es kommt zur Ausschüttung bestimmter Hormone wie zum Beispiel Dopamin, Serotonin oder Endorphin. Diese biochemische Mixtur kann dafür sorgen, dass wir Stress als neutral oder angenehm empfinden. Das gilt jedoch nur für bestimmte Situationen. Chronischer Stress ("Distress ") wirkt sich hingegen schädlich auf die Gesundheit aus. Denn dann zirkulieren die Stresshormone im Körper und werden nicht abgebaut. Quelle: Fotolia
Mythos 3: Gegen Stress hilft nur Entspannung Die Arbeit stresst, Zuhause geht auch alles drunter und drüber – da hilft nur noch, sich ganz bewusst zu entspannen. Falsch! Denn wer viel Stress hat, steht unter Strom und kann nicht auf Knopfdruck entspannen. Der Grund: Das Hormon Kortisol macht gleichzeitig zappelig macht, steigert Aggression und Unruhe. Die lässt sich nicht einfach wegmeditieren oder wegbaden. In diesem Fall hilft Bewegung, etwa eine Runde joggen oder ein Spaziergang. Hinzu kommt: Wer beim Nichtstun ständig grübelt, hält sein Stresslevel trotz vermeintlicher Entspannung auf konstantem Niveau. Besser ist dann Ablenkung in Form von Spielen oder Gesprächen. Quelle: dpa
Mythos 4: Stress wirkt auf Männer und Frauen gleich Körperlich reagieren Männer und Frauen zwar prinzipiell gleich auf Stress – die Folgen unterscheiden sich aber je nach Geschlecht. Während bei Männer ein hoher Stressfaktor eher zu Herz-Kreislauf-Problemen führt, macht er Frauen anfällig für psychische Erkrankungen. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass sich Frauen grundsätzlich mehr Gedanken über ihre Gesundheit machen. Laut DAK-Gesundheitsbericht stehen psychische Erkrankungen bei Frauen mit einem Anteil von 12,2 Prozent an dritter Stelle der häufigsten Krankheiten. Typisch männliche Stressfolgen sind dagegen Herzinfarkt und Schlaganfall. Hinzu kommen Übergewicht, hoher Blutdruck sowie erhöhte Cholesterinwerte. Das Risiko, daran zu erkranken, steigt bei Managern, die wöchentlich mehr als 60 Stunden, rapide an. Quelle: Fotolia
Umfangreiche Aufgaben ganz klein machen Quelle: Fotolia
Soziale Vereinsamung Quelle: Fotolia
Mythos 7: Ältere Menschen sind schneller gestresst Das stimmt ebenfalls nicht - zumindest nicht generell. Zwar hat Stress bei Menschen höheren Alters schneller körperliche Folgen, weil sie weniger belastbar sind. Trotzdem ist die Zahl psychischer Erkrankungen durch Stress in der vergangenen Jahren in der Gruppe der 20- bis 35-Jährigen am stärksten angestiegen und hat den höchsten Anteil bei den 40- bis 44-Jährigen. Hier erreichen psychische Erkrankungen mit einem Anteil von 12,2 Prozent ihren Höchststand. Das liegt an den steigenden Leistungsanforderungen im Job - und zunehmend unsicheren Arbeitsverhältnissen. Quelle: dpa

Wie schwer ist es, überhaupt aus der eigenen Routine zu kommen?
Wilhelmi: Ich faste jedes Jahr schon seit über 30 Jahren regelmäßig. Aber das heißt ja nicht, dass ich in der Zwischenzeit ein vorbildliches Leben führe. Wenn Sie am gesellschaftlichen Leben teilhaben wollen – versuchen Sie das mal, ohne fast jeden Tag irgendwo essen zu gehen, Alkohol zu trinken. Gerade vor Weihnachten.
Poletto: Der Horror.
Wilhelmi: Das Leben ist dann ein einziges Essen. Und wenn Sie eine bestimmte Position in der Wirtschaft oder in der Politik erreicht haben, wie viele Menschen, die anschließend bei uns Unterstützung suchen, dann werden Sie eben oft zum Essen eingeladen oder müssen andere einladen. Es gibt eben gesellschaftliche Situationen, in denen man sich dann auch schlecht zurückhalten kann. Natürlich raten wir unseren Gästen, eben am nächsten Tag einen Fastentag einzulegen. Aber auch das ist ja oft schwer durchzuhalten, wenn man mittendrin ist.

Tipps und Tricks für die Fastenzeit
Das Fasten ist auch der Verzicht auf Alkohol, Süßes oder das Handy: Ältere Menschen lehnen das Fasten laut einer Studie viel häufiger ab als jüngere. Wer nach den Karnevalstagen fastet, lässt meist den Alkohol weg. Fasten kommt vom gotischen „fastan“ und bedeutet: festhalten, beobachten, bewachen. Es beschreibt den freiwilligen und zeitlich begrenzten Verzicht, zum Beispiel auf feste Nahrung und Genussmittel aus gesundheitlichen, religiösen oder sozialen Gründen. Quelle: dpa
Religion und TraditionDie Fastenzeit soll Körper und Seele reinigen, einen Zustand innerer Ruhe herbeiführen und Raum für Gebet und Meditation schaffen. Für die Christen fängt am Aschermittwoch die 40-tägige Fastenzeit an. Dabei werden die Sonntage nicht mitgerechnet. Die Fastenzeit ist die Vorbereitung auf Ostern und soll an die 40 Tage erinnern, an denen Jesus sich zum Fasten in die Wüste zurückzog, um sich auf sein öffentliches Wirken vorzubereiten. Im Fastenmonat Ramadan verzichten Muslime auf Essen, Trinken, Rauchen und Sex. Davon ausgenommen sind Kranke, Alte, Kinder, Reisende und Schwangere. Im Judentum wird am Fastentag Jom Kippur auf Essen, Trinken und Körperpflege verzichtet. Quelle: dpa
Gesündere Ernährung danachBessere Laune durch Fasten? Das kann gut sein, denn bei vielen Menschen verbessert sich nach ein paar Tagen die Stimmung - das liegt nicht zuletzt daran, dass ein viel direkterer Draht zwischen Psyche und Körper erfahrbar ist. Warum? Während des Fastens werden große Mengen des Hormons Serotonin freigesetzt, während der Stresshormon-Pegel sinkt. Positiv ist auch, dass sich Menschen nach dem Fasten deutlich besser ernähren und dabei eher auf Fleisch verzichten als noch zuvor. Quelle: dpa
Flüssigkeitszufuhr und langsam wieder essenFasten ist nicht ganz leicht und könnte dem Körper auch schaden statt ihm gut zu tun: Deshalb sollten Sie während der Zeit auf eine besonders elektrolytreiche Flüssigkeitszufuhr achten, die etwa durch täglich zwei bis drei Liter Gemüsebrühe, Gemüsesaftschorle oder Mineralwasser erreicht werden kann. Nach dem Fasten sollten Sie langsam wieder mit dem Essen anfangen und zu Beginn auf schwerverdauliche Lebensmittel wie Kohl, Bohnen und Fleisch verzichten und dafür lieber mit Kartoffeln oder Äpfeln beginnen. Quelle: dpa
Vorbeugung von KrankheitenOb das Fasten wirklich eine positive Wirkung auf verschiedene Krankheiten hat, ist bis heute nicht so ganz sicher: Es ist aber wohl so, dass es etwa Arthritis oder Fibromyalgie längerfristig positiv beeinflusst worden sind, weil laut Studie viele Testpersonen ihre Nahrung anschließend auf komplett vegetarisch umstellten. Es kann sogar sein, dass bereits ein zweitägiges Fasten vor einer Chemotherapie die Nebenwirkungen der Behandlung reduziert - das sagen zumindest neuere Untersuchungen. Allerdings ist unklar, wie dieser Effekt zustande kommt. Quelle: dpa
Sport nicht vergessenBeim Heilfasten handelt sich um ein anerkanntes Naturheilverfahren, das Krankheiten vorbeugen oder heilen soll. Es erfolgt in speziellen Fastenkliniken und unter ärztlicher Aufsicht. Eine Kur dauert im Allgemeinen 14 bis 28 Tage. Eine kurze Heilfastenkur kann aber auch mit einer Anleitung zu Hause gemacht werden, ansonsten sollte man dafür eine Klinik aufsuchen. Während des Fastens besonders wichtig ist ausreichend Bewegung, um den Abbau von Muskeleiweiß zu reduzieren. Ob Racketsport, Entspannungstechniken oder Schwimmen ist dabei vollkommen egal. Quelle: dpa
Umfangreiche MethodenauswahlDie populärste Methode des Heilfastens stammt von dem Arzt Otto Buchinger. Er empfiehlt eine reine Trinkkur auf der Basis von Gemüsebrühe, Säften und Tees. Bei anderen bekannten Methoden stehen die Darmreinigung (Mayr-Kur) oder das Abwechseln von Trink- und Trockentagen (Schroth-Kur) im Vordergrund. An den Trockentagen ist nur ein Liter Flüssigkeit erlaubt, an Trinktagen zwei. Quelle: dpa

Poletto: Ich glaube, das ist typabhängig. Es gibt ja wirklich sehr konsequente Menschen, die sich von jetzt auf gleich komplett umstellen. Ich gehöre eher zu den schwächeren Menschen, denen das schwerfällt. Gerade jetzt, wenn man im Alltag morgens im Dunkeln zur Arbeit fährt und abends im Dunkeln wieder nach Haus kommt und dann auf seine App schaut und sieht: Du bist heute nur 1000 Schritte gegangen, dann raffen Sie sich nicht noch auf, jetzt besonders vorbildlich zu sein, sondern denken eher: Jetzt gönn ich mir etwas.

Gestehen Sie selbst sich Schwäche ein?
Poletto: Ich esse wahnsinnig gerne. Und auch, wenn ich weiß, dass es nicht gut ist, abends nach dem Service mit meinen Köchen noch ein Stück Käse zu essen und ein Glas Wein zu trinken, mache ich das. Und natürlich bleibt es nicht bei einem Glas Wein. Und wissen Sie was? Es geht mir danach nicht schlechter. Einfach mal zu sagen, ich ignoriere, dass heute Abend ein Kräutertee vernünftiger wäre, das macht doch unser Leben aus.
Wilhelmi: Käse, Brot und Rotwein sind wunderbar, aber ziemlich tödlich.

Und wenn ein Gast eine Ausnahme möchte?
Wilhelmi: Das gibt es bei uns gar nicht. Kein Alkohol, kein tierisches Eiweiß. Wir bieten dann eben andere Genüsse: ein Mozart-Konzert, eine Wanderung mit interessanten Menschen, hier in der wunderbaren Bodenseelandschaft. Das kann einen guten Wein ersetzen.

Frau Poletto, können Sie das nachvollziehen?
Poletto: Es gibt ja schon diese Phasen, in denen man seinen Körper im Alltag gar nicht mehr wahrnimmt. Man hält es dann für normal, etwa nach jedem Essen Sodbrennen zu haben. Wenn man dann mal innehält, merkt man plötzlich: Man ignoriert die Signale des Körpers. Ich bin auch so ein Typ. Ich weiß, was gut ist ... aber hält man sich immer daran?

Hilft es da, einfach das Essen zu ändern?
Wilhelmi: Immerhin werden durch Fasten die Zeiger erst mal auf null gesetzt. Und die Menschen haben hier Bewusstseinsschübe, lernen Dinge, die sie sonst nicht mehr entwickeln. Und das kann man sehr gut in den Alltag hinüberretten. Deswegen gibt es in den Religionen ja auch die Zeit der Askese, um einfach zu neuen Ideen zu kommen. Viele unserer Gäste sagen, sie haben die besten Ideen hier. Ein bekannter Künstler hat es uns mal so gesagt: Fasten ist für mich – von der Erschöpfung zur Schöpfung.

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