Promotion Doktor Gernegroß und die Leichtigkeit des Scheins

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Das Vorwort der Dissertation Quelle: dapd

Entsprechend ist das Verfassen einer Dissertation für den archetypischen Promovenden der Erfolgsgesellschaft keine Frage des wissenschaftlichen Erkenntnisinteresses. Der Doktortitel steht nicht mehr am (vorläufigen) Ende seines Wissensdurstes, sondern am Anfang seines Karrierehungers. Das akademische Meritum ist ihm keine Auszeichnung, sondern ein Beförderungszeugnis – es soll ihm die Tür für den gesellschaftlichen Aufstieg öffnen. Ausschlaggebend ist von Anfang an die Frage, ob sich die Mühe der Dissertation lohnt, wie man diese Mühe möglichst klein hält – und wie man einen Teil dieser Mühe womöglich an andere delegieren kann, damit man auf der Laufbahn des Lebens in keinen Stau gerät.

Lohnt die Mühe?

Es sind Fragen, die eine junge, blühende Branche nur allzu gern beantwortet: Sie bietet „passgenaue Dienstleistungen für Diplomarbeiten und Dissertationen“ an; sie hilft jedem, seine „wissenschaftlichen Ziele zu erreichen“  (www.wissenschaftsberater.com) – und selbstverständlich sichert sie dabei allen Interessierten Diskretion, Vertraulichkeit und den dauerhaften Verzicht „auf die Ausübung des Urheberrechts“ zu (www. ghostwritingservice.de). 500 bis 750 Personen erschleichen sich auf diese Weise jährlich akademische Ehrentitel, schätzen Experten. Sie alle sind davon überzeugt, mit dem „Dr.“ im Lebenslauf Autorität, Kompetenzvermutung und Vorgesetztenehrfurcht einzukaufen. Und tatsächlich: In vielen Branchen liegt das Einkommen der Titelträger dauerhaft um 20 bis 25 Prozent über dem der Master und Magister.

Unternehmen müssen sich auf die Wissenschaft verlassen können

Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn Personalchefs nicht nur die Insignien des akademischen Betriebs taxieren, sondern auch den Realwert ihrer promovierten Mitarbeiter: Natürlich darf Erkenntnisinteresse, etwa in der Forschungsabteilung eines Chemieunternehmens, lukrativ sein. Allerdings muss sich die Wirtschaft, die einen Titel honoriert, bei der Einstellung ihrer Mitarbeiter auf eine Wissenschaft verlassen können, die streng über ihre eigenen Maßstäbe wacht. Eine Dissertation „muss eine selbstständige wissenschaftliche Leistung darstellen und zur Lösung wissenschaftlicher Fragen beitragen“, heißt es in der Promotionsordnung für die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth. Und: „Sie soll zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen führen.“ Nähme sich der Wissenschaftsbetrieb beim Wort, müsste er nicht nur die Promotions-Würdigkeit der collagierten Arbeit Guttenbergs zurückweisen, sondern auch so manche genuine „Studie“, die vorhandenes Material nur fußnotenreich ordnet oder die bloße Auswertung einer Umfrage zur „empirischen Sozialforschung“ aufbläst.

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