Promotion Doktor Gernegroß und die Leichtigkeit des Scheins

WirtschaftsWoche-Chefreporter Dieter Schnaas über die wissenschaftliche Münchhauserei des Lügenbarons Karl-Theodor zu Guttenberg, die Insignien des akademischen Betriebs und das Problem der Titelinflation.

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Alles nur geklaut - Quelle: dapd

Am vergangenen Mittwoch sank Selbstverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg endgültig vom akademischen Gernegroß zum Dschungelkönig des politischen Betriebs herab. Es war der Tag, an dem die mit dem Freiherrn tief befreundete „Bild“-Zeitung die Nation zum massenmedialen Volksentscheid aufrief. Die mit einer Reihe von tendenziösen Leitartikeln wutbürgerlich aufgeheizte Volksgemeinde sollte heftig akklamieren, dass der Lügenbaron trotz aller wissenschaftlichen Münchhauserei bei der Assemblage seiner Promotion ins Kabinettscamp von Angela Merkel gehört. Nicht etwa er, der adlige Hochstapler, sei aufgerufen, sich beschämt aus dem Spiel zu nehmen, nein: Rausgewählt gehörten all die Kritiker und Kümmerlinge, die ihm seinen Schneid, seinen Diensteifer und seine Beliebtheit neiden – und die es nur zu gerne sähen, wenn Guttenberg wegen ein paar quisquilienhafter Achtlosigkeiten beim Verfassen seiner Promotionsschrift endlich von der Bildfläche verschwände. „Er ist ein Star, lasst ihn hier drin!“, bettelte Bild, nicht wörtlich, versteht sich, aber sinngemäß, doch jeder weiß: Wer solche Aufrufe nötig hat, hat nicht nur seine beste Zeit hinter sich – sondern auch seine Zukunft. Letztendlich halfen die medialen Appelle nichts, diesen Dienstag nahm Guttenberg nach dem Doktorhut auch seinen Hut als Verteidigungsminister.

Guttenberg selbst hatte den Schuss lange nicht gehört. Er stilisiert sich als Kavalier, dem ein unstandesgemäßes Delikt unterlaufen ist – und lässt über befreundete Politiker den Eindruck verbreiten, dass eine beckmesserische Opposition für seine intellektuelle Falschparkerei die Höchststrafe fordert – obwohl das Volk von ihm die Erledigung großer Aufgaben erwarte. Was Guttenberg nicht begriff, ist, dass er mit seiner schamlosen Nonchalance quasi über Nacht vom Hoffnungsträger der Union zu einer dauerhaften Belastung für sie geworden ist. Guttenberg hat in den Tagen vor seinem Rücktritt all das mit Füßen getreten, wofür er selbst zu stehen meinte – und wofür das „bürgerliche Lager“ traditionell gewählt wird: für Anstrengung, Anständigkeit, persönliche Integrität – und für den Respekt vor der Leistung anderer.

Es waren Union und FDP, die den permissiv Postmodernen stets vorgehalten haben, es mangele ihnen an Sinn für Ehre und Ernsthaftigkeit – und am Willen zu „ehrlicher Arbeit“. Und dann bekundete ausgerechnet Guttenberg, in dem viele die Personifikation der Tugend vermuteten, dass „ehrliche Arbeit“ und „persönliche Anstrengung“ nicht immer nötig sind, um es in diesem Land zu etwas zu bringen, dass man seinen Aufstieg durch die Aneignung von Fremdarbeit befördern – und sich seine Titel ergaunern kann. Dadurch hat Guttenberg am Beispiel seiner selbst vorgeführt, dass sich das Aufstiegsversprechen der bürgerlichen Gesellschaft nicht (mehr) mit dem Begriff der Leistung verbindet, sondern mit dem des Erfolgs: Ihm hatte er alles untergeordnet.

Vom Hoffnungsträger zur Belastung

Der Freiherr („Ich habe es immer geschafft, mit relativ geringem Aufwand relativ weit zu kommen“, zitiert ihn die „FAZ“) ist damit das Spiegelbild der nachbürgerlichen Gesellschaft – das erklärt, warum die Deutschen ihm auch in seine peinlichste Niederlage folgen. In einer Gesellschaft, die den Erfolg höher schätzt als Leistung, werfen bürgerliche Tugenden eben nicht mehr die gewohnte Dividende ab. Schlauheit wird heute besser honoriert als Intelligenz. Informiertheit trägt heute weiter als Bildung. Umtriebige fahren heute reichere Ernten ein als Kompetente. Die goethesche Losung vom entsagungsvollen Selbst-Bildungswillen, von einer Leistung, die die Gelehrten mit Gedankenreichtum und alle Übrigen mit einer erfüllten Tätigkeit und einem auskömmlichen Gehalt belohnt, erfährt in der erfolgsfixierten Gesellschaft eine verlustreiche Umdeutung: Leistung wird nicht mehr als Ich-Vervollkommnung gedacht, sondern als das, was das Ich erfolgreich darstellt. Sie trägt ihren Wert nicht in sich, sondern sie muss sichtbar sein, markiert werden – und vor allem: Sie muss sich bezahlt machen.

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