Psychologie Das Geheimnis der Autorität

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Zwei Kinder in einem Quelle: AP

Man mag Buebs Erziehungsprinzipien als Rückfall in schwarze Pädagogik missbilligen. Doch auch sein Kontrahent Arist von Schlippe, Psychologischer Psychotherapeut an der Privaten Universität Witten/Herdecke, plädiert keineswegs für weniger Autorität. Nur eben eine "neue Autorität" müsse es sein. Er propagiert eine Melange aus gewaltfreiem Widerstand und Bindungstheorie: "Wer mit einer schnellen und harten Lösung reagiert, beschädigt die Beziehung." Statt in Konfliktsituationen sofort einen Sieger (Eltern) und einen Verlierer (Kind) ausmachen zu wollen, rät er zu "Deeskalation", zu Versöhnungsgesten – und vor allem zu Beharrlichkeit.

Eine wahre Autorität könne auch einfach mal sagen: "Wir kommen darauf zurück." Erziehungsberechtigte sollten Provokationen gerade nicht auf der Stelle vergelten. "Autorität durch Beziehung" könne aufbauen, wer "impulsive Reaktionen" vermeide. Wer das allzu abstrakt findet, für den hat der Anti-Zuchtmeister noch eine übersichtliche Verhaltensregel parat: "Schmiede das Eisen, wenn es kalt ist."

Fußball ist autoritärer als die Bundeswehr

Kuschelautorität mag bei Kindern funktionieren. Aber sind solche Skrupel nicht spätestens dann bloße Betulichkeit, wenn der Ernst des Lebens anbricht? Wird nicht im harten Alltag eiskalt nach Ertrag abgerechnet, aufs Ergebnis geschaut – und jeder noch so autoritäre Stil hingenommen, solange er nur zum Erfolg führt?

Wenn das für eine Branche gelten müsste, dann für den Profifußball. Kaum jemand wird so an kurzfristigen Ergebnissen gemessen wie Fußballspieler und -trainer, nirgendwo geht es so archaisch und patriarchalisch zu. Überall sonst – in der Politik, in Firmen, in der Schule – werden Abhängigkeitsverhältnisse hinterfragt, müssen sich Leittiere legitimieren und sich zumindest einen Anschein von Diplomatie geben.

Sogar bei der Bundeswehr wird heute nicht mehr blinder Gehorsam propagiert, sondern Verantwortung, Vertrauen und Dialog. Doch auf dem Fußballplatz darf hemmungslos diktiert und geherrscht werden. Wagt ein Spieler zaghaften Widerspruch, wird er umgehend öffentlich abgekanzelt.

"Quälix" und "Schleifer" wird ein Trainer wie Felix Magath genannt. Magath verkörpert das alte Klischee der Autoritätsperson wie kaum ein anderer. Bei Schalke 04 ist er derzeit Trainer, Manager und Vorstandsmitglied zugleich, ein mehrfach legitimierter Herrscher. Eigentlich. Doch Schalke verharrt nun schon seit Wochen auf einem Abstiegsplatz. "Das System Magath, das auf Autorität und Alleinherrschaft aufgebaut ist, wird auf eine harte Probe gestellt", analysiert da selbst die – ansonsten nicht gerade soziologisch argumentierende – Sportschau.

Stattdessen wird ein anderer gefeiert, eine ganz unwahrscheinliche Autorität, der Mainzer Trainer Thomas Tuchel nämlich. Dabei tut dieser ständig Dinge, die so gar nicht zur herkömmlichen Auffassung einer Autoritätsperson passen. Als eine Partie nicht gut lief, fragte er in der Pause gar seine Spieler, mit welcher Taktik sie weiterspielen wollten – Mainz gewann. Und dass Fußballkommentatoren es als Unsicherheit werten, wenn Trainer die Mannschaftsaufstellung oft wechseln, kümmert ihn keinen Deut. Tuchel ging in dieser Saison fast jedes Mal mit einer anderen Startaufstellung ins Spiel – soeben hat Mainz das siebte Mal in Folge gewonnen, ein Rekordauftakt. Bloß Zufall?

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