Selbstmotivation Wie man Tatendrang trainiert

Für Erfolg im Job brauchen wir mehr als Glück und Talent. Wichtig ist vor allem Volition – jene Willenskraft, mit der wir unsere Ziele erst erreichen. Inzwischen wissen Psychologen: Der Tatendrang lässt sich gezielt trainieren.

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Tatendrang lässt sich gezielt trainieren Quelle: Eisenhans/Fotolia.com

Spaziergänge am Strand, Schwimmen im Meer, Abendessen in Restaurants: Der Juli bestand für Georg Albes vor allem aus Müßiggang. Vier Wochen lang gönnte sich der Direktor der Personalberatung Robert Half eine berufliche Auszeit, die er mit Frau und Tochter auf Mallorca verbrachte. Vor allem genoss es Albes, dort endlich einmal komplett „off“ zu sein. Keine Anrufe, keine E-Mails, keine Konferenzen. Herrlich.

Inzwischen hat ihn der stressige Berufsalltag wieder – und wie. Albes verantwortet sieben der elf Niederlassungen des Unternehmens in Deutschland, er ist häufig auf Dienstreise und telefoniert viel, mindestens zehn Stunden arbeitet er täglich. Doch immer wieder mal ertappt sich Albes dabei, wie er statt auf den Bildschirm aus dem Fenster schaut und an die schönen Tage auf Mallorca denkt.

So wie Albes geht es derzeit vielen Deutschen. Sie alle laufen Gefahr, nach der Rückkehr aus dem Urlaub im Motivationsloch stecken zu bleiben – egal, ob sie die Ferien am Balkan, auf den Balearen oder Balkonien verbracht haben. „Holiday-Blues“ nennen Wissenschaftler dieses Phänomen. Weit über die Hälfte aller Berufstätigen kämpft nach dem Urlaub mit solchen Anlaufschwierigkeiten.

Erholung schon nach wenigen Tagen wieder verschwunden

Jeder Zweite sagte den Meinungsforschern von Forsa in einer Umfrage im vergangenen Jahr, dass die Erholung schon wenige Tage nach Arbeitsbeginn wieder verschwunden sei. Mehr noch: Elf Prozent der Beschäftigten kommen sogar depressiv ins Büro zurück, fand die New Yorker Sozialpsychologin Carin Rubenstein vor einigen Jahren in einer Studie heraus. Keine Frage, besonders die Zeit nach dem Sommerurlaub stellt harte Anforderungen an unsere Motivation. Halb schwelgen wir noch in Erinnerungen an laue Sommernächte, halb gruselt es uns schon vor dem dunklen Herbst – die Tage werden kürzer, die Temperaturen kälter, die Regengüsse stärker. Insofern beweist der deutsche Verlag des amerikanischen Bestsellerautors Daniel Pink in diesem Jahr hervorragendes Timing.

„Drive: Was Sie wirklich motiviert“ heißt das neue Werk des Wissenschaftsjournalisten und ehemaligen Redenschreibers des US-Vizepräsidenten Al Gore. Darin widmet sich Pink vor allem drei Elementen der Motivation: „Das Geheimnis unseres persönlichen Erfolges ist das zutiefst menschliche Be-dürfnis, unser Leben selbst zu bestimmen, zu lernen, Neues zu erschaffen“, schreibt Pink.

Damit hat er gar nicht mal Unrecht. Aber zum Kern des Problems dringt er nicht vor. Zugegeben, Selbstbestimmung, Perfektionierung und Sinnerfüllung sind drei wichtige Antreiber. Pink widmet sich in seinem Buch jedoch hauptsächlich deren Ursachen – die konkrete Umsetzung verschweigt er. Doch genau das ist das Problem: Etwas zu wollen ist die eine Seite – es tatsächlich zu tun etwas ganz anderes. Genau diesem Phänomen haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Wissenschaftler gewidmet, unter dem Fachbegriff: Volition.

Seinen Ursprung hat der Begriff im lateinischen Wort „voluntas“ (Wille). Psychologen verstehen unter Volition heute die Entschlossenheit, unsere Träume, Vorhaben und Ziele auch wirklich in die Tat umzusetzen. Das klingt vielleicht simpel. Ist es aber bei Weitem nicht.

Sämtliche Störquellen Quelle: dpa

Bei Volition geht es um mehr als plumpes „Tschaka – du schaffst es“, mit dem der niederländische Motivationsguru und Bäckermeister Emile Ratelband in den Neunzigerjahren zweifelhafte Bekanntheit erlangte.

Wahre Willenskraft beinhaltet eine Reihe verschiedener Fähigkeiten, zu denen der renommierte deutsche Psychologe Julius Kuhl von der Universität Osnabrück vor allem fünf zählt: 

Aufmerksamkeitskontrolle. Besonders willensstarke Personen fokussieren sich beharrlich auf ihr Ziel – und lassen sich nicht ablenken, bis sie es erreicht haben.Emotionskontrolle. Frust, Traurigkeit oder Wut sind für Tatendrang äußerst kontraproduktiv. Menschen mit hoher Volition wissen genau, wie sie solche Gefühle zähmen können.Misserfolgsbewältigung. Rückschläge kommen vor. Es ist nur menschlich, wenn sie uns kurz aufhalten – bloß aus der Bahn werfen dürfen sie uns nicht.Motivationskontrolle. Irgendwann lässt das Durchhaltevermögen zwangsläufig nach – dann gilt es, sich durch selbst gesetzte Anreize weiter anzutreiben.Umweltkontrolle. Wer besonders willensstark ist, achtet auch auf seine Arbeitsumgebung. Dazu gehört etwa, bei Bedarf sämtliche Störquellen wie Blackberrys, Handys oder E-Mailprogramme abzuschalten.

Jeder Mensch beherrscht diese Fähigkeiten unterschiedlich gut. Eins ist uns jedoch gemein: Am häufigsten hapert es beim Punkt Aufmerksamkeitskontrolle. Zu diesem Ergebnis kam der Managementprofessor Waldemar Pelz von der Fachhochschule Gießen-Friedberg in einer Studie. Zwischen Oktober 2009 und Februar 2010 befragte er knapp 1400 Personen zu den verschiedenen Kompetenzen. Eindeutiges Resultat: Männern wie Frauen fiel es am schwersten, sich während einer wichtigen Tätigkeit nicht von anderen Dingen ablenken zu lassen. Kein Wunder, dass sich diese Schwäche auch auf unsere Arbeit auswirkt. „Selbst wenn Angestellte eigentlich über ein hohes Potenzial verfügen, sind ihre Ergebnisse äußerst dürftig“, sagt Pelz.

Das Ausmaß kennt jeder. Wir wissen genau, dass der Abgabetermin für die wichtige Präsentation näher rückt, und surfen trotzdem lieber ziellos durchs Internet. Wir müssen eigentlich längst die Konferenz mit Geschäftspartnern vorbereiten, und finden doch immer noch etwas vermeintlich Wichtigeres zu tun. Der Fachbegriff dafür: Prokrastination, zu Deutsch: Aufschieberitis. Ein weit verbreitetes Phänomen – ganz gleich, ob bei jungen Absolventen oder erfahrenen Managern.

Der amerikanische Psychologe Joe Ferrari von der DePaul-Universität in Chicago stellte 2005 eine Studie vor, derzufolge inzwischen jeder fünfte Mensch ein chronischer Aufschieber sei. Wir alle neigen dazu, uns ständig einzureden, dass morgen ja auch noch ein Tag ist und übermorgen erst recht. Die Konsequenzen sind jedoch immer dieselben: Die Sache wird erst kurz vor knapp fertig – oder nie.

Die Arbeit endet so unnötigerweise im Stress, zudem kommt solch ein Ethos bei keinem Vorgesetzten gut an. Mit mehr Willenskraft könnten wir uns die Hektik ersparen. Mehr noch: Willenskraft ist sogar ein veritabler Karrierefaktor. „Was alle Erfolgreichen miteinander verbindet, ist die Fähigkeit, den Graben zwischen Entschluss und Ausführung äußerst schmal zu halten“, sagte einst der berühmte US-Ökonom Peter Drucker.

Geld alleine spornt nicht an Quelle: dpa

Diese Regel gilt auch heute noch. Die Managementberatung Kienbaum befragte vor einem Jahr 189 Konzerne und mittelständische Unternehmen, worauf sie bei High Potentials am meisten achten. Das Ergebnis war deutlich. Für 85 Prozent ist hoher Wille ein Muss – noch vor Lernbereitschaft, der Fähigkeit zur Selbstkritik oder Belastbarkeit. Bis vor wenigen Jahren wussten Psychologen nur, wie sich Leidenschaft und Leistungsbereitschaft – die sogenannte intrinsische Motivation – zerstören lässt. Besonders kontraproduktiv: finanzielle Anreize. 1999 wertete der US-Psychologe Edward Deci von der Universität von Rochester 128 Studien aus, die sich mit den Folgen von Belohnungen beschäftigten. Sein Fazit: „Materielle Belohnungen zerstören intrinsische Motivation.“

Mehr Geld spornt nicht an – dahinter steckt folgendes Prinzip: Wenn wir etwas gerne tun, etwa, weil wir es genießen oder daraus lernen, sind wir von alleine motiviert. Kommt die Belohnung ins Spiel, fokussieren wir uns unmittelbar auf sie – und gehen der Tätigkeit nicht mehr aus purem Vergnügen, sondern reinem Profitstreben nach. Vereinfacht gesagt: Wir verlieren die Lust. Inzwischen haben Forscher jedoch herausgefunden: Volition ist keine gottgegebene Eigenschaft, die der eine hat und der andere nicht. Vielmehr funktioniert Willenskraft ähnlich wie ein Muskel. Regelmäßiges Training kann sie stärken – und Rasten führt zum Rosten.

Diese Erkenntnis geht vor allem zurück auf Untersuchungen von Roy Baumeister. Der Psychologieprofessor der Florida-State-Universität gilt als Entdecker der sogenannten „Ego-Depletion“-Theorie. Vereinfacht gesagt: Je mehr Willenskraft wir aufwenden, desto mehr Energie verbrauchen wir, bis der Tank irgendwann leer ist. Buchstäblich.

Häufiges Ablenken vermeiden

In einer Studie im Jahr 2008 ließ Baumeister seine Probanden Aufgaben lösen, die ihre Selbstbeherrschung auf die Probe stellten. Sie mussten beispielsweise einen Film ansehen, der sie entweder zum Lachen oder zum Weinen animierte – allerdings trug Baumeister ihnen auf, keine Regung zu zeigen. Die Kontrollgruppe durfte ihren Gefühlen hingegen freien Lauf lassen. Im Anschluss nahm er Blutproben der Teilnehmer und maß den Zuckergehalt. Und siehe da: Wer im Versuch keine Gefühlsregung zeigen durfte, hatte einen weitaus niedrigeren Blutzuckerspiegel, also hohen Energieverbrauch. Bei der Kontrollgruppe waren die Werte hingegen gleich geblieben. In einem anschließenden Experiment testete Baumeister die Selbstkontrolle aller Teilnehmer – am schlechtesten schnitten diesmal diejenigen ab, die bereits im ersten Versuch ihre Gefühle kontrollieren mussten.

Claudius Nassabi kann das bestätigen. Er ist Marketingchef von Human, einem Wiesbadener Hersteller von Laborgeräten mit deutschlandweit 200 Mitarbeitern. Im Job fiel Nassabi auf, dass er sich häufig ablenken ließ und die unwichtige Spreu bisweilen nicht vom wichtigen Weizen trennte. Ein Coaching bestätigte ihm die Schwäche. Diese Selbsterkenntnis war der erste Weg zur Besserung. Wenn er jetzt im Job emotional belastende Situationen erlebt, versucht er, sich zu beruhigen und trotzdem konzentriert zu bleiben. Inzwischen gelingt es ihm viel besser, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten und sachlich zu bleiben. Und er konzentriert sich auf wesentliche Dinge, ohne sich dabei ablenken zu lassen. Mit erfreulichen Folgen: „Ich vergeude weniger Arbeits- und Lebenszeit“, sagt Nassabi.

Das Verblüffende ist: Eigentlich könnten wir im Berufsalltag auch ohne Willenskraft auskommen. Zumindest theoretisch. Dann nämlich, wenn uns eine Aufgabe so viel Freude bereitet, dass wir sie ohne Überwindung bewältigen. Im Extremfall führen solche Situationen zum sogenannten Flow-Erlebnis, bei dem die Personen völlig in einer Tätigkeit versinken. Bloß: Dieses Vergnügen haben nur wenige Arbeitnehmer. Eher dominieren Frust und Unlust. Berufspendler klagen etwa über hohe Benzinpreise, die Angestellten im Großraumbüro über zu laute Kollegen, Führungskräfte über planlose Geschäfts-führungen. Das Geld wird weniger, die Angst um den Job steigt, der Druck am Arbeitsplatz ebenfalls. Und genau deshalb müssen wir auf Volition zurückgreifen, um unsere Aufgaben zu erledigen und Ziele zu erreichen. Die sei „die zweitbeste Lösung“, sagt der Motivationspsychologe Hugo Kehr, Professor an der TU München.

Experimente haben auch gezeigt, wie sich Willenskraft steigern lässt. Demnach haben vor allem Träume und Visionen einen großen Einfluss auf sie. „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommele nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen“, schrieb einst der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry, „sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Was sich nach esoterischem Gesäusel anhört, funktioniert in der Realität durchaus. Schon bei Schülern.

Mesmin Destina und Daphna Oyserman von der Universität von Michigan befragten in einer aktuellen Studie 266 Fünft- bis Achtklässler, wo sie sich in zehn Jahren sehen und welchen Traumberuf sie hatten. Zwar erwarteten nur 46 Prozent aller Befragten, später einen Beruf auszuüben, für den eine gute Ausbildung wichtig ist – aber genau diese Gruppe investierte am meisten Zeit in ihre Hausaufgaben. Mehr noch: Sie hatte auch die besten Noten. In einem zweiten Test teilten die Wissenschaftlerinnen 295 Schüler in zwei Gruppen. Die eine bekam einen Vortrag über den Zusammenhang von fleißigem Lernen und erfolgreichen Berufen. Die andere erfuhr etwas über die hohen Einkommen von Sportlern, Musikern und Schauspielern. Nach den unterschiedlichen Referaten bekamen beide Gruppen die Möglichkeit, Pluspunkte für das laufende Schuljahr zu sammeln, wenn sie eine freiwillige Extra-Hausaufgabe übernahmen. Das Resultat überraschte selbst die erfahrenen Forscher: Von der ersten Gruppe entschieden sich achtmal mehr Schüler für die Zusatzarbeit. Die Kraft der Visionen eben.

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