Aufstehen oder weiterdösen? Duschen oder baden? Zum Frühstück Kaffee oder Tee? Die meisten solcher alltäglichen Entscheidungen treffen wir innerhalb weniger Sekunden. Kein Problem, denn das Gros ist eher trivialer Natur. Ein Problem wird es, wenn unsere Entscheidungen ernste Folgen haben. Für uns, aber auch für unsere Mitmenschen. Deshalb erwarten wir besonders von Vorgesetzten Weisheit und Weitsicht.
55 Prozent der deutschen Angestellten finden, dass ein Chef vor allem angemessen, schnell und fundiert Entscheidungen treffen sollte, ergab im vergangenen März eine Umfrage des Online-Magazins "Randstadkorrespondent" unter 2000 Arbeitnehmern. Wie schön, dass dieser Wunsch den Chefs Befehl ist – behaupten diese zumindest. Als die Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft vor einigen Jahren von 544 deutschen Managern wissen wollte, was ihnen im Berufsalltag viel Freude macht, antworteten knapp 93 Prozent: Entscheidungen zu treffen.
Zur Studie
Daniel Chen, Tobias Moskowitz und Kelly Shue. Decision-Making Under the Gambler’s Fallacy, Quarterly Journal of Economics.
Doch wahr ist leider: Viele Entscheidungen basieren nicht auf objektiven, nachvollziehbaren Kriterien. Heute sind sich die Experten einig, dass wir uns mehrheitlich emotional und willkürlich entscheiden. Mit teilweise dramatischen Folgen.
Das zeigt jetzt auch eine noch unveröffentlichte Studie von Ökonomen um Daniel Chen von der ETH Zürich. Zum einen analysierte er mehr als 106.000 Entscheidungen von 412 amerikanischen Asylrichtern aus den Jahren 1987 bis 2013 – und entdeckte einen bedenklichen Zusammenhang: Die Richter lehnten ein Asylgesuch mit höherer Wahrscheinlichkeit ab, wenn sie dem vorherigen Gesuch stattgegeben hatten – unabhängig vom Einzelfall.
Wann Überzeugungen zu Handlungen führen
Ohne einen erkennbaren, individuellen, hohen und relativ sicheren Gewinn, ändert kein Mensch sein gewohntes Verhalten. Dieser Gewinn muss und sollte nicht nur materiell sein. Materielle Belohnungen wirken schnell und sättigen schnell. Sozialer Gewinn (zum Beispiel Anerkennung) wirkt nachhaltiger. Die einzige nicht sättigende Belohnung ist die intrinsische, die man sich selbst gibt.
Ins Blaue hinein ändern wir unser Leben nicht gern. Die Umsetzung der Neuerung muss daher klar vorgezeichnet und praktikabel sein.
Pioniere können und wollen nur die wenigsten Menschen sein. Die meisten anderen brauchen Vorbilder, denen sie nacheifern können. Und die müssen vor allem glaubwürdig sein.
Die erwartbaren Widerstände gegen das neue Leben sollten nicht zu groß sein. Das Festhalten an Gewohntem trägt eine starke Belohnung in sich. Der Anreiz muss doppelt so stark sein, wie die Bremskräfte.
Mehr noch: Hatten sie zwei Gesuche in Folge erlaubt, lehnten sie das nächste mit einer 2,1 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit ab. Dieselbe Beobachtung machte Chen bei indischen Sachbearbeitern. Sie lehnten einen Kredit umso eher ab, wenn sie den vorigen gewährt hatten.
Wer heute hü sagt, wählt morgen eher hott. Unfair? Mit Sicherheit. Unerklärlich? Keineswegs. Psychologen bezeichnen dieses Phänomen als Spielerfehlschluss (gambler’s fallacy). Dahinter steckt eine Art Irrglaube an ausgleichende Gerechtigkeit. Nach dem Motto: Wenn die Münze zwei Mal hintereinander „Kopf“ zeigt, ist beim dritten Mal „Zahl“ wahrscheinlicher – obwohl sich die Wahrscheinlichkeit nicht verändert hat.
Übertragen auf das Berufsleben, bedeutet das: Wenn der erste Bewerber zum persönlichen Gespräch eingeladen wurde, wird der zweite mit höherer Wahrscheinlichkeit abgelehnt – obwohl er objektiv gesehen womöglich mindestens genauso gut ist.
Was dagegen hilft? Zum einen sollten sich alle Entscheidungsträger die Denkfalle bewusst machen und sich stets um Objektivität bemühen. Zum anderen aber zeigt Chens Studie: Personen mit langer Berufserfahrung tappten seltener in die Falle. Aber völlig immun waren auch sie nicht.