Wir lieben das Besondere. Darauf haben sich viele Firmen eingestellt. So können sich Kunden bei der Berliner Firma Chocri ihre persönliche Lieblingsschokolade mit Früchten, Gewürzen oder Nüssen nach eigenem Gusto zusammenstellen. Bei Nike, Adidas oder Reebok designen Kunden sich ihren persönlichen Laufschuh selbst und bei Myuniquebag, Gucci und Louis Vuitton gehören personalisierte Handtaschen zum Sortiment.
Dem Anbieterverzeichnis egoo.de zufolge gibt es deutschlandweit inzwischen etwa 550 Hersteller von Produkten, die sich individuell gestalten lassen. Zum Vergleich: Im Oktober 2008 waren es noch 30. Wer sein Produkt selbst gestalten kann und nachher etwas Einzigartiges geliefert bekommt, hat eine größere emotionale Verbundenheit zum Produkt, glaubt Adidas. Und das rechnet sich: „Die Kunden geben in diesem Fall gern etwas mehr Geld aus.“ Denn individuell ist teurer als Massenware.
Es gibt heute mehr Maßschneider als vor 100 Jahren
Ein Bereich, bei dem individuelle Anfertigung nahezu unberührt von Trends funktioniert, ist die Mode. Kleidung von der Stange – one size fits all oder die sogenannten Konfektionsgrößen – gibt es erst seit dem Jahr 1791. In diesem Jahr boten Pariser Kaufhäuser erstmals Konfektionskleidung an.
Und auch heute gibt es sie in vielen Städten: Maßschneider. „Maßkleidung wird seit Jahren totgesagt, doch das Angebot ist heute viel umfangreicher als beispielsweise in den 1920er Jahren“, schreibt Stil-Experte und Gentleman-Papst Bernhard Roetzel in seinem neuen Buch „Der Gentleman nach Maß – Maßgeschneiderte Herrenkleidung.“
Was deutsche, englische und italienische Schneidertradition unterscheidet
Ein deutscher Schneider zeichnet den errechneten Schnitt mit Winkeln und Linealen auf den Stoff, die erste Anprobe findet ohne Ärmel statt. Ganz generell wird die Schnittaufstellung eher mathematisch angegangen, als intuitiv: So wird die Taschenlage beispielsweise errechnet. Andernorts platziert man die Taschen nach Gefühl.
Anzugjacke und Sakko werden relativ lang geschnitten, das Armloch eher groß und tief, der Ärmel selbst weiter und geräumig – immer im Vergleich zu Italien und Großbritannien.
Quelle: Bernhard Roetzel „Der Gentleman nach Maß – Maßgeschneiderte Herrenkleidung“, ISBN: 9783848007684, ullmann publishing GmbH
Ein Londoner Schneider arbeitet mit Schablonen in verschiedenen Größen, die er entsprechend den Maßen des Kunden auf dem Stoff platziert. Die erste Anprobe erfolgt mit Ärmeln.
Als typisch englische Linie gelten die hohe Taille, die ausgestellten Rockschöße und die klare, jedoch leicht fallende Schulterlinie. Das Armloch sitzt relativ hoch, der Ärmel liegt dicht am Arm an und verjüngt sich zum Handgelenk hin. Die Hosen sind im Gesäß voller geschnitten, die Fußweite ist geringer als in Deutschland bemessen und die Länge sparsamer.
Im Norden Italiens ist die Schneiderei sehr englisch, das Sakko weist in der Regel zwei Seitenschlitze auf, die Schulter wird klar akzentuiert.
Die Hosen weisen in der Regel Bundfalten und Umschläge auf. Die typisch süditalienische Linie zeichnet sich durch schmale Taille und Hüfte aus, der Brustabnäher wird bis zum unteren Saum geführt. Das Armloch ist klein, die Crochetnaht liegt extrem hoch und steigt steil an.
Die Zeiten, in denen sich Kunden die gesamte Garderobe schneidern lassen, seien allerdings vorbei. Heute trägt man in der Regel ein oder zwei Unikate, der Rest ist Massenware. „Zu dieser Mischung bekennt sich auch Ferrari-Chef Luca di Montezemolo: Er trägt beispielsweise Brooks-Brothers-Hemden zum Anzug von Caraceni. Eine Kombination, die auch Wirtschaftsboss Gianni Agnelli und Tod’s-Erfinder Diego Della Vallle schätzen“, beschreibt Roetzel.
Auch beim Maßanzug ist Individualität das Schlagwort. „So, wie man sich beim Neuwagenkauf die Extras aussucht, die das neue Auto haben soll, konfiguriert der Schneiderkunde auch seinen Maßanzug“, so Roetzel. Denn auch der teure Anzug von Hugo Boss, Lagerfeld oder Pierre Cardin ist schließlich Massenware – auch wenn er teurer ist, als das Modell von C&A.