Architekt Markus Allmann "Das Verfallsdatum rückt immer näher“

Deutsche Architektur vermeidet Risiken, sagt Markus Allmann, Vorsitzender der Jury des Deutschen Architekturpreises 2017. Auch weil heutige Bauten schon morgen unbrauchbar sein können.

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Für das Schmuttertal-Gymnasium im schwäbischen Diedorf erhielten Florian Nagler und Hermann Kaufmann den Deutschen Architekturpreis 2017. Quelle: Stefan Müller-Naumann

WirtschaftsWoche: Herr Allmann, der Deutsche Architekturpreis gilt als der wichtigste Architekturpreis in Deutschland. Warum war das herausragendste deutsche Gebäude der jüngsten Zeit, die Hamburger Elbphilharmonie, nicht im Wettbewerb dabei?
Markus Allmann: Ganz einfach, weil sie nicht eingereicht wurde. Sonst wäre sie sicher ausgezeichnet worden. Trotz der Querelen um die Kosten. So ein Projekt kann eine Jury gar nicht ignorieren.

Die Elbphilharmonie steht für eine Architektur der Auffälligkeit. Haben Sie die vermisst beim diesjährigen Wettbewerb?
Ja, ein wenig schon. Der Wettbewerb hat gezeigt, dass in Deutschland auf sehr hohem Niveau gebaut wird. Aber es gab wenig exorbitant Neues oder Bahnbrechendes. Die Architekten wagen offenbar nicht mehr so viel. Sie meiden das Risiko, scheuen die ablehnende Reaktion der Öffentlichkeit, gehen auf Nummer Sicher. Es gab nur ganz wenige Einreichungen, die in der Jury Kontroversen provoziert haben: Kann man sowas machen? Geht das nicht zu weit?

Ist das ein deutsches Phänomen?
Ich glaube, ja. Der gute Durchschnitt, den wir in Deutschland haben, ist erkauft durch den Verlust der Spitzen, auch des Experiments, dem man Raum geben muss, wenn Außerordentliches entstehen soll. Wir Deutsche neigen dazu, Probleme zu antizipieren, schon bevor es richtig los geht. Das macht es schwer, Projekte zu lancieren, die sich etwas trauen. So wie die Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron. Da stand am Anfang eine Vision, ohne dass geklärt gewesen wäre, ob das Projekt bautechnisch überhaupt realisierbar war – was wohl auch zu den gewaltigen Kosten beigetragen hat.

Markus-Allmann Quelle: Myrzik & Jarisch

Die deutschen Architekten sind zu brav und zu ordentlich?
Jedenfalls neigen sie dazu, sich nach allen Seiten abzusichern, dazu werden sie schon durch die Bauvorschriften, durch versicherungs- und finanzrechtliche Regularien genötigt. Es fällt uns leichter, über die Kosten eines Projekts zu diskutieren als darüber, ob es uns ästhetisch oder baukulturell weiterbringt. Das wäre auch viel diffiziler, weil es so schwer zu objektivieren ist. Und in Deutschland neigt man nun mal dazu, die Dinge zu objektivieren und zu quantifizieren, mehr als in anderen Ländern. Das führt dazu, dass man nicht über die Stränge schlägt und sich lieber an die Konventionen hält.

Ökonomische Zwänge gab es doch schon immer.
Sicher, aber in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren haben sie in einem für Außenstehende kaum nachvollziehbaren Maß zugenommen, nicht zuletzt durch Projekte, die schief gegangen sind, wie der Berliner Flughafen. Das hat der Architektur insgesamt enorm geschadet. Es ist viel Vertrauen in die Architekten verloren gegangen, vor allem in ihre Fähigkeit, in den Kosten zu bauen. Deshalb kontrollieren sie sich schon früh selbst – und vermeiden Risiken. Hinzu kommt, dass Gebäude heute von vielen Personen gebaut werden, vom Statiker über den Büroplaner bis zum Catering-Fachmann und Küchenspezialisten, so dass es für den Architekten immer schwieriger wird, so ein Projekt als Generalist baukünstlerisch unter Kontrolle zu halten. Auch das führt dazu, dass Extreme gemieden und Spitzen gebrochen werden. Die bauästhetischen Spielräume werden verengt.

So sieht gute Architektur aus
Außenansicht Schmuttertal-Gymnasium Diedorf. Quelle: Stefan Müller-Naumann
Innenhof Schmuttertal-Gymnasium Diedorf. Quelle: Stefan Müller-Naumann
Aula Schmuttertal-Gymnasium Diedorf von der Bühne aus fotografiert. Quelle: Stefan Müller-Naumann
Schmuttertal-Gymnasium Diedorf Innenansicht. Quelle: Stefan Müller-Naumann
Außenansicht des "Bremer Punkts". Quelle: Fotoetage/Nikolai Wolff
Altes Hafenamt Hamburg Quelle: Christian Richter
Bremer Landesbank Quelle: Héléne Binet

Zu viele Regeln, zu wenige Ausnahmen?
Richtig. Nehmen Sie die katholische Kirche. Vor 10 Jahren hatte es in München-Freising noch der Erzdiözesanbaumeister zu sagen, heute wird die Diözese in Baufragen von Ernst & Young beraten.

Trotzdem, es kommen immer noch beachtliche Bauten zustande. Der Deutsche Architekturpreis 2017 ist am 26. Juni an die Architekten Florian Nagler und Hermann Kaufmann verliehen worden, für ihren Schulbau in Diedorf bei Augsburg, das ist ein reiner Holzbau…
…und ein herausragendes Beispiel dafür, wie man angemessen und zukunftsorientiert mit Ressourcen umgeht, wie man mit einfachen Mitteln ein virtuoses Stück Architektur aufführt. Ich bin heilfroh, dass wir uns für die Schule entschieden haben. Warum? Weil es ein so ein unglaublich kluges Gebäude ist, genau auf das Maß der Flächen und Wände begrenzt, das nötig ist, um räumliche Atmosphären zu erzeugen. Wenn man das Gebäude betritt, hat man das Gefühl: Hier stimmt alles, hier kann man nichts weglassen und nichts dazutun. Das ist alles sehr fein gemacht.

Und steht wie selbstverständlich da, ohne große Geste.
Die großen Gesten haben sich in den vergangenen 10, 15 Jahren abgenutzt. Optische Spektakel in Serie erzeugen Stress, irgendwann sind sie nur noch zum Gähnen. Insofern steht das Schulgebäude für einen richtigen Trend: für ein verantwortungsbewusstes, im besten Sinne maßvolles Bauen. 

"Die gute Regel des Bauens und die Lust am Außergewöhnlichen"

Ihre Kollegin Hilde Léon sprach davon, dass man „lieber leise“ sein möchte, „wenn all schreien“.
Ja, es wurde zu viel geschrien in den vergangenen Jahren. Auch deshalb wollen heute viele Architekten leiser, subtiler arbeiten. In dieser Hinsicht ist das Haus von Nagler/Kaufmann wirklich vorbildlich. Gerade in seinen ästhetischen Feinheiten, in den kleinen Verformungen, den Dachneigungen, der gestuften Schalung, im Spiel der unterschiedlich breiten Bretter der Fassade. Auch im Inneren: Man steht wie in einem Freiraum, wie in einem Wald zwischen Vertikalen, aller sehr hell. Da sind feine  Lichtverhältnisse geschaffen worden, bei sparsamstem Einsatz der Mittel. Ein wunderbar zurückhaltendes Gebäude. Man vermutet gar nicht, dass hier tausend Schüler Platz haben.

Trotzdem, das große Rauschen der Elbphilharmonie…
…mit Bildern, wie man sie noch nie gesehen hat, das ist natürlich etwas Anderes. Es geht mir ums dialektische Prinzip: Dass wir beides haben, die gute Regel des Bauens und die Lust am Außergewöhnlichen, am gewagten Gegenentwurf. Das muss nicht das Signature-Building sein, die expressive Handschrift. Das kann auch ein neues Wohnmodell sein oder eine neue Bürolandschaft. Diese Lust am Experimentieren mit Lebens- und Bauformen vermisse ich bei vielen Architekten.

Ist das auch eine Generationsfrage?
Ja, im Gegensatz zur Generation der Architekten, die sich durch ihre expressive Formensprache am Markt einen Namen gemacht hat, orientieren sich die Jüngeren mehr an der Lebensqualität von Architektur, an dem, was für die Nutzer unmittelbar spürbar wird. Wir haben es mit diskreten Interventionen zu tun, nicht so sehr mit abstrakten Kunstobjekten, die auf Bildwirkung zielen. Nehmen Sie nur das Wohnhaus „Bremer Punkt“: das ist ein klug auf die Bedürfnisse der Bewohner abgestimmtes Projekt, günstig und schnell erstellbar, flexibel handhabbar in der Aufteilung der Wohngrundrisse noch während der Bauphase. Lauter Qualitäten, die im Dialog mit den zukünftigen Nutzern und ihren Nachbarn entstehen. Insofern ist dieses Projekt auch ein Kind seiner Zeit. Wir trauen uns heute nicht mehr ohne weiteres zu, langfristige Prognosen zu stellen über die Art, wie wir in Zukunft wohnen werden.

Wie der Klassenraum das Lernen beeinflusst
Schülerinnen gehen durch die Eingangshalle vom Neubau des Sachsenheimer Lichtenstern Gymnasiums Quelle: dpa/dpaweb
Farbspektrum Quelle: Fotolia
Ein leeres Klassenzimmer einer Schule Quelle: dpa
Das mit viel Holz gestaltete 200 Quadratmeter große Atrium ist am 20.04.2015 in der Kindertagesstätte "Wellenreiter" in Wismar Quelle: dpa
Kim, Miguel, Oliver und Michael aus der ersten Klasse der Grundschule Langenenslingen (Baden-Württemberg) rennen aus dem Schulgebäude. Quelle: dpa
Ein Ventilator steht in einem Büro. Quelle: dpa
Eine Frau dreht am Thermostat einer Heizung. Quelle: dpa

Spiegelt sich darin die generelle Skepsis gegenüber Zukunftsentwürfen?
Ja, wir haben heute ein diffuses, nicht negatives, aber doch von Sorgen geprägtes Bild der Zukunft. Unsere Lebens- und Wohnverhältnisse wandeln sich heute in viel kürzeren Zeiträumen als früher. Das führt dazu, dass man eine Architektur entwickelt, die sich auf kurzfristige Kurswechsel einstellen kann, die immer wieder die Möglichkeit nutzt, sich neu zu konfigurieren.  

Können Sie, kann Ihr Architekturbüro überhaupt noch etwas mit dem Kriterium der Zeitgemäßheit anfangen? 
Diesen Begriff benutzen wir nur ungern in einer Zeit, da das Verfallsdatum von Architekturen immer näher rückt. Wir vermeiden sogar, von zeitgenössischer Architektur zu sprechen, weil wir wissen, dass Architektur von heute vielleicht übermorgen schon unbrauchbar geworden ist. Erst recht haben wir nicht den Anspruch, für die Ewigkeit zu bauen. Bezeichnend ist ja, dass Bauprovisorien, die für eine kurze Zeitspanne gedacht waren, sich heute als langlebiger erweisen als Bauten, deren Planung weit in die Zukunft ausgreift. Die sind oft vom ersten Tag ihrer Benutzung an Fehlplanungen. Der Berliner Flughafen ist heute schon zu klein.

Ist es ein Nachteil für die deutsche Architektur, dass sie, anders als etwa die Schweizer, keinen erkennbaren, nationalen Stil hervorgebracht hat? Anders gefragt: Würde ihr ein Alleinstellungsmerkmal nützen?
Kurzfristig ja, auf lange Sicht ist es gut, wie es heute ist. Das sehen Sie auch im Vergleich mit den Bestrebungen etwa im Tessin, wo ein Handvoll Architekten versucht hat, einen eigenständigen Tessiner Stil zu entwickeln. Oder in Holland, wo ähnliche Bestrebungen gerade mal eine Dekade Bestand hatten. Deutschland ist zu vielgestaltig, zu föderalistisch, als dass da eine eigenständige, gesamtdeutsche Handschrift herauslesbar wäre. Mir fällt allenfalls ein Nord-Süd-Gefälle auf. Es kommt mir manchmal so vor, als würde im Süden feiner, akkurater gebaut, im Norden dafür großzügiger. Ich bin mir jedenfalls nicht sicher, ob in München eine Elbphilharmonie möglich gewesen wäre.

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