Architekturkritik Wie unförmige Bauten Städte entstellen

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Ehemalige Raumkunst weicht medialer Bildwirkung

Fritz Neumeyer, Professor für Architekturtheorie an der TU Berlin, spricht vom „Originalitätsstress“: Alles soll spektakulär sein, als könne man, wie Mies van der Rohe einmal ironisch sagte, „jeden Montag“ die Architektur neu erfinden. Die Logik dieses „Überbietungswettbewerbs“ führe dazu, dass es nicht mehr um Architektur als Raumkunst geht, sondern um „mediale Bildwirkungen“: „Jeder will noch mal eins draufsetzen“ – auf Kosten des städtischen Ensembles und der „Mitspielerqualität“. Für Neumeyer gehört es zur Ironie der Geschichte, dass, nachdem die Moderne das Ornament aus der Architektur verbannt habe, jetzt das ganze Gebäude zum Ornament wird, zur Riesenplastik. Die „Objektfixierung“, die in Markenzeichen-Architekturen zum Ausdruck kommt, beschleunige die Fragmentierung der Stadt. Das isolierte Gebäude profiliere sich auf Kosten seiner Umgebung, es sauge der Stadt Energie ab, anstatt ihr Energie zuzuführen – ein Grundproblem der Gegenwartsarchitektur: Sie vergisst, dass Architektur ein „Mannschaftssport“ (Georg Franck) ist, dass es darauf ankommt, mit anderen Architekturen zu kooperieren, im Gleichklang wie im Kontrast.

Dass das möglich ist, zeigt beispielhaft Hans Kollhoffs Daimler-Chrysler-Gebäude am Potsdamer Platz in Berlin, ein hochaufragender Backsteinbau, der sich in die Block- und Platzstruktur integriert. Das zeigen die Solitäre von Herzog & de Meuron (Hamburger Elbphilharmonie, Münchner Allianz-Arena), die die Kraft zum Wahrzeichen haben, ohne der Stadt ihren Stempel aufzudrücken. Das zeigt beispielhaft das New Yorker New Museum des japanischen Architekturbüros Sanaa: Ein Turm aus versetzt übereinander gestapelten, silbrig-weißen Kartons, dessen minimalistische Schönheit auf die Nachbarschaft abstrahlt.

Selbst Rem Koolhaas, der einst Forderungen des Städtebaus mit der Parole „Fuck the context“ abfertigte, hat einen vorsichtigen, für manche sogar entschiedenen Kurswechsel vollzogen: Das Ende vergangenen Jahres eröffnete Hochhaus „De Rotterdam“, ein Entwurf aus den späten Neunzigerjahren, wirkt mit seinen seitlich verschobenen Türmen noch wie ein monumentales Ausrufezeichen, ein vorweggenommenes Symbol des aus den Fugen geratenen Kapitalismus. Und Koolhaas’ offen-verschrägtes CCTV-Trapez in Peking wiederum, eines der berühmtesten Signature-Buildings der Gegenwart, lässt sich als „kritischer Kommentar“ zur Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit in China lesen, sagt Kulturtheoretiker Alexander Gutzmer, Chefredakteur des Fachmagazins „Baumeister“: Alles, was dieses Haus verlässt, sind windschiefe Nachrichten.

Im Gegensatz dazu zelebriert Koolhaas’ Entwurf für den neuen Springer-Campus in Berlin eine radikale Öffnung: Das alte Hochhaus („Die gedruckte Zeitung“) richtet den Blick förmlich aufs Neue („Die digitale Medienwelt“). Der Bau wirkt trotz der ungewöhnlichen, terrassenartig angelegten Arbeitslandschaft vergleichsweise bescheiden und nimmt, wie Fritz Neumeyer sagt, als einziger Wettbewerbsbeitrag auf die städtebaulichen Rahmenbedingungen Rücksicht. Ein Hinweis darauf, dass die Ära der Sensationsbauten ihren Zenit überschritten hat? Vielleicht.

Vielleicht aber auch nicht. Wolf Prix, dessen Büro zurzeit in Tirana das neue Parlamentsgebäude Albaniens als „herausragende Landmarke“ plant, sieht in Europa überall „Angst vor der Zukunft, Angst vor Veränderung, Angst vor dem Fortschritt“. Architektur war für ihn „immer Kunst“. Die „Utopie der Architektur“, so Prix, verlange nach „Schaffung von neuen Körpern und fremden Gestalten, die wie Meteoriten von einem fremden Stern in die Vertrautheit einschlagen“. Eine lebenswerte Stadt aber lässt sich aus solchen „Fremdkörpern“ nicht bauen. Sie braucht die Abstimmung ihrer Architektur, die Kooperation ihrer Gebäude. Architektur ist gebaute Begegnung, gebaute Umgangsform – und kein Schauplatz für Egomanen.

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