Aufschieberitis Warum wir so viel aufschieben

Morgen ist doch auch noch ein Tag... Warum fällt es so schwer, mit einer Aufgabe rechtzeitig anzufangen? Zum Glück entwickeln Verhaltensforscher Rezepte gegen Prokrastination oder Aufschieberitis.

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Die Wahrheit über unseren inneren Antrieb
Was treibt uns wirklich an?„Die uns eigene Motivation ist wie eine innere Maschine, die ein bestimmtes Produkt herstellt“, sagt die Autorin Mira Mühlenhof. Darauf sind wir fixiert und wir tun alles, um möglichst viel davon in unser Leben zu holen – jedoch ohne dass uns dieser Antrieb bewusst wäre. Das Phänomen dahinter ist der „blinde Fleck“. So gehören zu jedem unbewussten Persönlichkeitsmuster ein Selbstbild und daraus resultierend eine Stolperfalle. Für jeden, der dauerhaften Erfolg will, ist es unabdingbar, diese zerstörerische Kraft zu durchschauen und zu verwandeln - für mehr Authentizität und Leichtigkeit.Foto: Duracell Quelle: duracell.de
Streben nach dem BestenSie sehen sofort, was fehlerhaft ist, was korrigiert werden sollte, was noch besser geht. Ihre Anspruch macht Sie zum Reformer, Sie arbeiten stets am 100-prozentigen Ergebnis. Ihr Selbstbild: Ich mache es richtig. Die Falle: Ihre hohe innere Messlatte strengt andere an. Sie nörgeln und sind unlocker. Quelle: Fotolia
Helfen als GrundsatzIhnen fallen bei jeder Gelegenheit Menschen auf, die Ihre Hilfe benötigen. Sie unterstützen, wo und wann immer es geht. Dabei vernachlässigen Sie sich selbst und es fällt Ihnen schwer, auch mal etwas anzunehmen. Ihr Selbstbild: Ich helfe und bin liebenswürdig. Die Falle: Ihr Helfer-Syndrom grenzt an Manipulation. Sie helfen ungefragt. Das nervt. Quelle: Fotolia
Ich bin ein GewinnerMit ihrem Charme erobern Sie die Welt. Mit Ihren vielen Projekten und der leichten Art, sie umzusetzen, gehören Sie zu den Champions. Ihr Selbstbild: Ich bin erfolgreich. Die Falle: Sie mogeln sich durchs Leben, täuschen und blenden andere. Und vor allem sich selbst. Quelle: Getty Images
Die Perle liegt in der TiefeBloß nicht wie die Anderen sein – das ist Ihr Lebensmotto. Dennoch achten Sie darauf, was andere haben und was Ihnen fehlt. Das schürt Ihre Melancholie und Ihre Selbstzweifel. Ihr Selbstbild: Ich bin besonders. Die Falle: Ihr Leben ist ein immerwährendes Drama. Insbesondere für die anderen. Quelle: Getty Images
Professionalität reicht ausIhnen entgeht nichts, Sie sind bereits Fachmann auf Ihrem Gebiet. Dennoch forschen Sie unermüdlich nach neuen Erkenntnissen. Ihr Denkapparat arbeitet unermüdlich. Ihr Selbstbild: Ich blicke durch. Die Falle: Sie haben Angst vor Gefühlen. Wo bleibt das Zwischenmenschliche, das Herz? Quelle: Getty Images
Zu viel Neues muss nicht seinSie mögen Strukturen, Pläne und Strategien. Sie haben die Dinge gern in Ordnung, sind verlässlich und treu. My home is my castle. Ihr Selbstbild: Ich tue meine Pflicht. Die Falle: Sie können keine Entscheidungen treffen – aus der Befürchtung, es könnte die falsche sein. Sie sind ein kleiner Angsthase. Quelle: Fotolia

Wissen Sie was? Eigentlich hätte dieser Text früher fertig sein sollen. Zunächst sah es auch gut aus, ehrlich. Das Thema war interessant, es gab viel Material und genügend Zeit für die Recherche. Man konnte es also ruhig angehen lassen und sich erst mal um wichtigere Dinge kümmern. Den Schreibtisch aufräumen zum Beispiel. Die Kontakte im Adressbuch neu sortieren. Alte E-Mails löschen. Bei Facebook vorbeischauen. Und überhaupt, frische Luft ist ja auch wichtig ...

Es kam, wie es immer kommt: Plötzlich waren mehrere Wochen rum und noch immer nichts geschrieben. Dann musste es mal wieder schnell gehen. Prokrastination nennen Psychologen dieses Verhalten, eine Zusammensetzung aus den lateinischen Wörtern „pro“ („für“) und „cras“ („morgen“). Wer prokrastiniert, verschiebt Dinge konsequent auf morgen. Eine Angewohnheit, unter der längst nicht nur Journalisten leiden.

Aufschieberitis auch bei Bestseller-Autoren

Manchmal trifft es auch erfolgreiche Bestsellerautoren wie George R.R. Martin, Erfinder der Fantasy-Reihe „Game of Thrones“. In einem Artikel auf seiner Internetseite musste Martin vor wenigen Wochen zerknirscht einräumen, dass das neue, von Fans weltweit sehnlichst erwartete Buch nicht wie geplant fertig wird. Martins Verlag hatte ihm eine Frist bis Oktober gesetzt. „Das schien absolut schaffbar für mich“, schrieb Martin peinlich berührt in seinem Blog, „zumindest im Mai.“

Doch ärgerlicherweise verpasste er nicht nur die erste, sondern auch die zweite Frist Ende Dezember. Und beschloss: „Das Buch wird fertig sein, wenn es fertig ist.“ So viel Chuzpe können sich berühmte Erfolgsautoren leisten. Alle anderen geraten in Panik, je näher die Abgabefrist oder der Präsentationstermin rückt. Der Psychologe Joseph Ferrari von der DePaul-Universität in Chicago hat in seinen Studien herausgefunden: Etwa jeder fünfte Amerikaner, Brite oder Australier erledigt seine Aufgaben erst in letzter Minute.

Schon vor mehr als 2000 Jahren schlugen sich Menschen mit diesem Problem herum. Der römische Politiker und Philosoph Cicero warnte vor „Verzögerung und Aufschub“. Auch der griechische Dichter Hesiod mahnte, dass man seine Arbeit nicht auf morgen verschieben dürfe, da sonst Armut und Niedergang drohten. Ganz so dramatisch sind die Folgen für heutige Angestellte nicht. Auch deshalb reden sich die Betroffenen das Problem gerne schön und erklären es zur Methode: „Ohne Druck kann ich nicht arbeiten ...“ Von wegen.

Was gegen Motivationsmangel im Studium hilft
Ein gutes Frühstück bringt Energie für den Tag. Versuchen Sie, sich nicht nur von Döner und Pizza zu ernähren, sondern gesünder zu essen. Sorgen Sie bewusst für genug Bewegung und damit einen aktiven Ausgleich zum Studium. Quelle: Karrierebibel.de
Vielleicht sind Sie einfach übermüdet. Statt beim Lernen (fast) einzuschlafen, sollten Sie sich die Zeit für mindestens sieben, besser acht Stunden Schlaf nehmen. Das kann Wunder wirken.
Machen Sie sich To-Do-Listen mit einfachen Aufgaben, die Sie schnell und problemlos bewältigen können. Haken Sie diese auf einer Liste ab. Nutzen Sie den schnellen Erfolg als Motivationsschub.  
Machen Sie sich klar, welche Ziele Sie konkret mit Ihrem Studium verfolgen und was Ihnen diese wert sind. Suchen Sie bewusst nach praktischen Anwendungsmöglichkeiten Ihres Studienwissens und machen Sie sich klar, wie es sie weiterbringen kann. So wird Ihnen Nützlichkeit und Wert bewusst.
Arbeiten Sie nebenbei? Versuchen Sie, sich weniger Stress auszusetzen und machen Sie so Energie fürs Studium frei. Manchmal reicht Entlastung schon als Motivationsschub.
Suchen Sie nach neuen Lernorten und Methoden. Abwechslung kann neue Reize setzen und Ihre Interesse am Studium wiederbeleben.
Können Sie benennen, was Sie gerade konkret am Studium stört? Versuchen Sie, mit kurzfristig umsetzbaren Veränderungen Ihre Motivation zu steigern oder wiederzubeleben. Werden Sie aktiv! Quelle: obs

Prokrastination gilt heute längst nicht mehr als Disziplinschwäche müder Studenten, sondern als ernst zu nehmendes psychisches Problem. Ihrer Erforschung widmen sich Psychologen, Neurowissenschaftler und Ökonomen. Sie alle wollen verstehen, warum die Aufschieberitis auftritt – und wie sie sich vermeiden lässt.

Zunächst einmal beginnt alles mit einem zutiefst menschlichen Luxusproblem: „Was uns von anderen Lebewesen unterscheidet, ist die Fähigkeit, langfristige Ziele zu setzen und mit unseren großen Gehirnen an einem Plan für die Zukunft zu arbeiten“, sagt Elliot Berkman, Psychologe an der Universität von Oregon. „Ein Ziel im Leben zu haben, an das man glaubt, ist eine der wichtigsten Einflussgrößen von Glück und Lebenszufriedenheit.“ Das Dilemma ist bloß: Leider sind wir oft schlecht darin, diese Ziele rechtzeitig anzugehen.

Parallelen zu Drogensüchtigen

Um dieses Problem zu lösen, gründete Berkman vor einigen Jahren eine Forschungsgruppe. Sein Team will untersuchen, warum Menschen, die eigentlich wissen, was gut für sie wäre, sich ganz anders verhalten. Das trifft auf Übergewichtige ebenso zu wie auf Büroarbeiter, die alles erst auf die letzte Minute erledigen. „Es gibt sogar Ähnlichkeiten im Verhalten zwischen Drogensüchtigen und Menschen, die unangenehme Aufgaben ständig verschieben“, sagt Berkman.

Er greift vor allem auf Konzepte aus der Verhaltensökonomie zurück. Wer ständig wichtige Aufgaben verschiebt, leidet unter einem Symptom, das Wirtschaftswissenschaftler „inkonsistente Zeitpräferenzen“ nennen. Was kompliziert klingt, ist eigentlich ganz einfach.

In einem klassischen Experiment aus dem Jahr 1994 stellte ein Team um den Psychologen Leonard Green von der Washington-Universität in St. Louis 24 Studenten vor eine schwere Entscheidung: Sie konnten entweder 20 Dollar sofort bekommen oder mussten drei Monate warten, um dann 50 Dollar zu erhalten. Wenig überraschend: Fast alle wählten den kleineren Betrag, den sie direkt mitnehmen konnten. Meist ist uns eben der sprichwörtliche Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach – aber eben nicht immer.

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Facebook-Logo Quelle: REUTERS
Logo von "Candy Crush Saga" Quelle: REUTERS
Ein Laptop mit Google Street View wird vor eine Straße gehalten Quelle: dapd
Screenshot des Google-Features "tilt". Die Bildschirmachse inklusive der Schrift U(hier: eine Google-Suche nach "tilt") wird in Schieflage gesetzt
Ein Bild einer Katze Quelle: dpa
Jemand sitzt mit einer Avocado vor einem Laptop, auf dem eine Avocado zu sehen ist Quelle: dpa
Screenshot von Adobe Photoshop Elements

Das zeigte die zweite Runde. Darin veränderten die Forscher die Entscheidung leicht: Wieder mussten die Studenten zwischen 20 oder 50 Dollar wählen. Doch diesmal wurden 20 Dollar erst in drei Monaten ausgezahlt und 50 Dollar in sechs Monaten. Der Abstand zwischen den Auszahlungen hatte sich also nicht geändert. Noch immer mussten die Teilnehmer drei Monate zusätzlich warten, um den höheren Betrag zu bekommen. Doch plötzlich waren deutlich mehr von ihnen dazu bereit, diese Zeit zu investieren. „Was wir sofort bekommen können, bewerten wir höher als eine Sache, auf die wir warten müssen“, sagt Gerlinde Fellner-Röhling, Ökonomin an der Universität Ulm. „Wenn wir aber ohnehin warten müssen, fallen ein paar weitere Tage auch nicht ins Gewicht.“

Dieses Verhalten haben Verhaltensökonomen und Psychologen in zahlreichen Experimenten in unterschiedlichen Ländern und Kulturen nachweisen können. Und dieser Effekt tritt nicht nur bei angenehmen Dingen wie einem Geldgewinn auf. „Bei unangenehmen Aufgaben ist es ähnlich“, sagt Fellner-Röhling. „Sie erscheinen weniger schlimm, wenn sie erst in ein paar Tagen anstehen.“ Genau dieser Effekt verleitet uns dazu, ständig immer alles auf morgen zu verschieben.


Schlechte Stimmung durch Aufschieben

Das ist nicht nur lästig, sondern auch gefährlich. Denn so harmlos wie lange angenommen ist die Prokrastination nicht. „Das Risiko für Depressionen ist bei pathologischem Aufschiebeverhalten deutlich erhöht“, sagt Stephan Förster, Psychotherapeut an der Universität Münster. Von einer solchen Form der Prokrastination sprechen Experten, wenn die Betroffenen regelmäßig Aufgaben verschieben, obwohl es eigentlich genug Zeit gäbe. Außerdem leiden sie an körperlichen und psychischen Folgen wie Muskelverspannungen, innerer Unruhe oder Schlafstörungen.

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Diese Symptome schaden wiederum unserer Leistungsfähigkeit, sie senken unseren Antrieb und verschlechtern unsere Stimmung – und verschlimmern das Problem mit dem Aufschieben nur noch weiter.

Bereits seit dem Jahr 2006 gibt es daher an der Universität Münster eine Prokrastinationsambulanz. Studenten, die Probleme haben, rechtzeitig mit Hausarbeiten und Klausurvorbereitungen anzufangen, können sich hier von einem Team aus Psychologen und Psychotherapeuten beraten lassen. An anderen Universitäten gibt es inzwischen ähnliche Angebote.

Wie können wir die Aufschieberitis wirksam bekämpfen

Bei Förster und seinen Kollegen rufen längst nicht mehr nur Studenten an, auch viele Selbstständige und Journalisten klagen ihr Leid. „Wir können sie allerdings lediglich auf die Informationen auf unserer Webseite und an psychologische Praxen verweisen, denn unser Angebot richtet sich nur an Studierende der Universität Münster“, sagt Förster.

Wie können also alle anderen die Aufschieberitis wirksam bekämpfen? Jan Peters und Christian Büchel vom Institut für Systemische Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf entwickelten in einer Studie 2010 eine clevere Methode. Sie wiederholten das klassische Experiment von Leonard Green, allerdings in abgewandelter Form. Ihre 30 Probanden sollten die Entscheidung zwischen einer sofortigen Auszahlung und einer späteren, größeren in einem Magnetresonanztomografen treffen.

Dadurch konnten die Wissenschaftler beobachten, was währenddessen im Gehirn vor sich ging. Außerdem führten sie mit den Testpersonen vorab ein ausführliches Gespräch und fragten sie nach ihren Plänen für die Zukunft: Wohin sollte der nächste Urlaub gehen? War eine Hochzeit geplant? Wollte jemand vielleicht ein neues Studium beginnen?

Diese acht Dinge töten jede Motivation
Wird der Beitrag eines Mitarbeiters zum Unternehmenserfolg nicht als wichtig anerkannt, geht die Motivation sich weiter zu engagieren und sich einzubringen Quelle: Fotolia
Angst ist der Grund Nummer eins dafür dass Mitarbeiter aufhören etwas zu tun. Sie gehen keine Risiken mehr ein und bleiben hinter ihren Möglichkeiten. Quelle: Fotolia
Nichts ist frustrierender als die gleiche Aktivität wieder und wieder zu wiederholen. Dabei geht schnell das Interesse an Arbeit und Unternehmenserfolg verloren. Quelle: Fotolia
Manche Mitarbeiter kommen mit dem eigenen Versagen nicht klar. Und so mancher Manager sieht Versagen nicht als Teil der Erfolgsentstehung. Quelle: Fotolia
Ausruhen ist Pflicht! Ein Team braucht genügend Möglichkeiten sich auszuruhen, sonst geht der Antrieb schnell verloren. Quelle: Fotolia
Aber auch zu viel Erfolg kann die Motivation abwürgen und zu Bequemlichkeit führen. Wenn sich ein Team fühlt als wäre es angekommen und hätte alles erreicht dann fehlt der Druck Quelle: Getty Images, Montage
Apathie entsteht,wenn die gemeinsame Vision nicht klar definiert ist oder wenn sich Mitarbeiter nicht mit ihr identifizieren. Eine griffige und anspornende Vision ist also wichtig. Quelle: dpa, Montage

Diese Informationen setzten sie nun während des eigentlichen Experiments ein. Einen Teil der Probanden erinnerten die Neurologen kurz vor der Entscheidung zwischen den beiden Geldbeträgen an ihre Zukunftspläne. Bereits dieser dezente Hinweis reichte, um die Ungeduld in den Griff zu bekommen. Im Vergleich zu den anderen Teilnehmern waren jene Freiwilligen öfter dazu bereit, auf den höheren Geldbetrag zu warten. Je wichtiger ihnen das Ereignis war, desto größer der Effekt.

Bei der Auswertung der Daten fielen den Forschern zwei Gehirnregionen auf, die vermutlich für strategisches Denken und Planen verantwortlich sind. Sie waren immer dann aktiv, wenn die Probanden an ein zukünftiges Ereignis erinnert wurden, und schienen in diesen Momenten zu entscheiden, welcher Geldbetrag attraktiver war.

Auch Motivationsforscher Berkman glaubt, dass sich Prokrastinieren mit einem Blick für das große Ganze und die eigenen Lebensziele in den Griff bekommen lässt. Seine Studien zeigen, dass Menschen immer dann motiviert und hartnäckig an langfristigen Aufgaben arbeiten, wenn diese Aufgaben wichtig für ihr Selbstbild sind. Klingt etwas esoterisch, ist aber wirkungsvoll.


Prokrastination bei wichtiges Lebenszielen

Wer schon immer ein erfolgreicher Professor werden wollte, wird mit seiner Doktorarbeit früh genug anfangen. Wer schon seit Kindheitstagen davon träumt, an Olympischen Spielen teilzunehmen, geht ganz automatisch regelmäßig zum Training. Bei solchen Aufgaben, die zu wichtigen Lebenszielen gehören, komme es nur selten zu Prokrastination, sagt Berkman. Dieser Mechanismus lässt sich auch für kleinere Aufgaben nutzen. Man sollte sich verdeutlichen, wie der konkrete Arbeitsschritt mit größeren Werten zusammenhängt.

Genau das aber fällt vielen Betroffenen schwer, sagt Stephan Förster: Sie haben Probleme damit, ihre kühnen Pläne auf einzelne Arbeitsschritte herunterzubrechen. Mit den Studenten, die zu ihm in die Prokrastinationsambulanz kommen, arbeitet Förster daher vor allem an zwei Strategien. Sie sollen lernen, realistische Arbeitspläne zu erstellen, und eine Methode finden, mit der es leichter fällt, endlich anzufangen. Dieser Plan gebe in kleinen Schritten vor, was bis wann zu erledigen ist: „Das sorgt für regelmäßige Erfolgserlebnisse“, sagt Förster, „und gibt das gute Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.“

Nützliche Rituale

Wer vor allem Probleme damit hat, jeden Tag zu einem festen Zeitpunkt mit der Arbeit anzufangen, könne sich mit einem Ritual helfen. Zum Beispiel vor jeder Arbeitseinheit eine Tasse Tee kochen oder einen kurzen Spaziergang machen. Wichtig sei, dass der Brauch ein natürliches Ende hat und nicht länger als 15 Minuten dauert. „Nach einer Zeit wirkt ein derartiges Ritual wie ein Signal, das auf die bevorstehende Arbeit vorbereitet”, sagt Förster.

Vielleicht muss man die Prokrastination aber auch nicht mit aller Kraft bekämpfen. Die Psychologin Jihae Shin von der Wisconsin School of Business glaubt zum Beispiel, dass das Aufschieben sogar seine guten Seiten hat. In einem Experiment ließ sie Probanden neue Geschäftsideen entwickeln. Die einen konnten sofort loslegen, die anderen sollten erst mal eine Runde Videospiele daddeln. Später bewertete eine Jury die Vorschläge. Und siehe da: Die Ideen der Gruppe, die erst zocken durfte, kamen deutlich besser weg. Im Durchschnitt empfand die Jury ihre Ideen um 28 Prozent kreativer.

Wer zu früh mit einer Aufgabe anfängt, neigt zu naheliegenden und wenig innovativen Ideen, so die Theorie von Shin. Auch das Gegenteil von Prokrastination könne daher problematisch sein: wenn man nicht abwarten könne und zu schnell Entscheidungen treffe. Einen Namen gibt es für dieses Leiden auch schon – Prekrastination.

Bis zu einem gewissen Grad kann man den eigenen Hang zum Aufschieben daher gelassen sehen. Und sich den 2001 verstorbenen Autor des Kultbuches „Per Anhalter durch die Galaxis“ zum Vorbild nehmen. „Ich liebe Deadlines“, sagte Douglas Adams mal in einem Interview. „Ich liebe dieses zischende Geräusch, wenn sie vorbeirauschen.“

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