Auswanderer Arbeiten im Krisengebiet

Korrupte Eliten, willkürliche Verhaftungen, Entführungen, Terroranschläge – was treibt deutsche Expats dazu, in Ländern wie Irak, Afghanistan, oder Turkmenistan Geschäfte zu machen?

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Expats_Schulz Quelle: Sebastian Meyer für WirtschaftsWoche

Nichts läuft ohne die Stammesältesten– das war die erste Lektion für Markus Schulz, als er mit der Expansion des Mobilfunk Netzes in den afghanischen Provinzen begann. Bevor der Betriebswirt aus München für seine Kabuler Telefonfirma Afghan Wireless Mobilfunkmasten am Hindukusch aufstellt, lässt er einen seiner Mitarbeiter beim Stammesältesten vor Ort um Erlaubnis fragen.

"Meistens schenken wir den Dorfbewohnern ein paar Handys, die wollen ja auch telefonieren", sagt Schulz. Die Prepaid-Karten müssen sie aber selbst aufladen.

Seit drei Jahren macht Markus Schulz Geschäfte in Afghanistan - zunächst als Business-Developer für Nokia Siemens Networks. Inzwischen lebt er in Kabul und kümmert sich um den Geschäftsaufbau des lokalen Telekomunternehmens Afghan Wireless, das dem im US-Exil lebenden Geschäftsmann Ehsan Bayat gehört.

Für ihn reist Schulz quer durchs Land, überzieht den Hindukusch mit Handy-Shops und Sendemasten, verkauft Blackberrys und Internetrouter. Von den 25 Millionen Afghanen, die häufig noch in Berghütten leben, kennt nur jeder Vierte die Segnungen moderner Kommunikation.

Schulz reibt sich natürlich die Hände: "Der Markt ist da."

Angst vor Anschlägen verdrängt

Und die Gefahr. Erst Ende Februar kamen bei einem Selbstmordattentat in einem Einkaufszentrum neun Menschen ums Leben.

Doch Markus Schulz hat die Angst vor Anschlägen abgelegt oder zumindest verdrängt. "Als ich hierher kam, hat es mehrmals am Tag geknallt. Inzwischen ist es in Kabul relativ friedlich geworden."

Es gebe aber noch gezielte Anschläge auf Botschaften, Ministerien und das Luxushotel Serena, wo ausländische Staatsgäste untergebracht sind. "Wer sich von diesen Orten fernhält, lebt in Kabul genauso sicher wie anderswo auch."

Das Auswärtige Amt sieht das anders. In Reisehinweisen raten die Diplomaten dringend von Aufenthalten in Afghanistan ab. Wer sich dennoch dorthin wagt, heißt es auf der Web-Seite, müsse mit "terroristisch oder kriminell motivierten Gewaltakten" rechnen.

Für Länder wie den Kongo, Irak oder Somalia, wo Geiselnahmen und Bombenanschläge zum Alltag gehören, gilt das erst recht. Doch davon lassen sich Tausende deutscher Expats nicht abhalten, die an den heißesten Punkten der Welt unterwegs sind.

Was sind das für Manager, die in afghanischen Unruheprovinzen, im Gefechtsfeuer von Bagdad, im autoritären Turkmenistan, im abgeschotteten Myanmar oder im politisch geächteten Iran ihre Geschäfte machen? Treibt sie die Abenteuerlust ins Risiko oder die deutsche Langeweile? Bleiben sie der Gefahrenzulage wegen, oder machen sie einfach nur gute Geschäfte?

Vermutlich von allem etwas. Ein "ganz bestimmter Schlag Mensch" müsse man sein, um in Kriegs- und Krisenregionen freiwillig sein Leben zu riskieren, sagt Arndt Fritsche.

Der 39-Jährige arbeitet seit sieben Jahren als Lobbyist in der irakischen Hauptstadt Bagdad. Er knüpft im Auftrag deutscher Unternehmen Kontakte zur irakischen Regierung und leiert humanitäre Projekte an.

Abenteuerlust sei schon dabei, erzählt Fritsche. "Zumindest am Anfang." Doch der Reiz am Risiko ist ihm gründlich vergangen, als Mitte 2006 zwei enge Freunde bei einem Terroranschlag in Bagdad ums Leben kamen. "Damals stand es Spitz auf Knopf", blickt Fritsche zurück, "beinahe hätte ich die Koffer gepackt."

Warum er trotzdem im Irak blieb, lässt sich schwer in Worte fassen. Irgendwie habe er den Eindruck, dass seine Arbeit Sinn hat: Das Rebuild Iraq Recruitment Program, das Arndt Fritsche leitet, baut Kliniken und bildet Krankenschwestern aus. Unter seiner Federführung entstehen mit Geldern aus den Töpfen internationaler Organisationen neue Wohngebäude, wo der US-Krieg "gegen den Terror" rauchende Ruinen hinterlassen hat.

Fritsche ist so sehr Teil seines Projekts geworden, dass er nicht von heute auf morgen aussteigen kann.

Expats_Fritsche Quelle: Sebastian Meyer für WirtschaftsWoche

Natürlich sind die humanitären Projekte nicht ganz uneigennützig. Deutsche Großkonzerne, von denen viele offiziell gar keine Geschäfte im Irak machen, finanzieren die Organisation und erhoffen sich fette Aufträge.

Siemens zum Beispiel liefert 16 Turbinen für Wasserkraftwerke, die mit Geldern der Weltbank und irakischen Öl-Millionen gebaut werden. Fritsche hat dem deutschen Industrieriesen nach monatelangem Lobbying den Auftrag vermittelt, an dem die Münchner 1,5 Milliarden Euro verdienen. Und das ist erst der Anfang.

Vor ein paar Wochen gründete Daimler ein Lkw-Joint-Venture im Irak. Beim Konkurrenten MAN diskutiert der Vorstand, dem Beispiel zu folgen. BASF-Tochter Wintershall überlegt, bei der Vergabe einer lukrativen Ölförderlizenz mitzubieten.

Auch beim Bau von Kliniken, der Anschaffung von Röntgengeräten oder neuer Dienstwagen für die Regierung kommen deutsche Unternehmen zum Zuge - nicht zuletzt, weil sich die Bundesregierung aus dem Irakkrieg im Jahr 2003 herausgehalten hat und deutsche Technik im Nahen Osten seit Jahrzehnten einen ausgezeichneten Ruf genießt.

Keine Spiel- und Spaßveranstaltung

Für Strohmänner wie Arndt Fritsche ist der Wiederaufbau im Golfstaat ein Bombengeschäft. "Im Irak gibt es Großaufträge, die in Deutschland ganze Standorte auslasten können", sagt der Lobbyist.

Trotzdem trauen sich bisweilen nur wenige Unternehmer in die Region. Von den 60 Staatsbürgern, die auf der Krisenvorsorgeliste der deutschen Botschaft stehen, sind die meisten irakischer Abstammung. Es sind miserable rechtsstaatliche Bedingungen, ausufernde Korruption und vor allem die prekäre Sicherheitslage, derentwegen viele Deutsche um den Irak einen großen Bogen machen.

Zu Recht. "Das ist hier keine Spiel- und Spaßveranstaltung", sagt Fritsche, "wir arbeiten in einem Krisengebiet und haben es jeden Tag mit Entführungen und Terroranschlägen zu tun."

Erst vor ein paar Wochen ist nicht weit von Fritsches Haustür eine Haftbombe hochgegangen.

Jeder, der im Irak Geschäfte machen möchte, müsse exorbitante Profite und massive Sicherheitsrisiken gegeneinander abwägen. "Wir haben zum Glück noch keine Mitarbeiter verloren", sagt Fritsche, "aber wir mussten vor allem in den Jahren 2006 und 2007 einige freikaufen."

Nicht nur seine Expats sind gefährdet, sondern vor allem Mitarbeiter irakischer Subunternehmer und Partner.

Die Entführer wissen, dass bei Ausländern Geld zu holen ist.

Jeden Tag zählen die Sicherheitskräfte allein in Bagdad rund 50 Vorfälle - Entführungen, Terroranschläge, Raketendetonationen oder bloß die Entschärfung eines Sprengsatzes.

Kein Wunder, dass Fritsche seit sieben Jahren nicht mehr ohne Waffe aus dem Haus geht und sich nur mit Wachleuten und gepanzerten Wagen außerhalb des streng bewachten internationalen Korridors bewegt.

Korruption und Entführungen In Turkmenistan knallt es nicht. Aber in Sachen Rechtssicherheit und Korruption kann die zentralasiatische Diktatur mit dem Irak mithalten.

Bei Studien zu politischen Freiheiten und Investitionssicherheit rangiert der patriarchalisch geführte Kontrollstaat regelmäßig am untersten Ende der Skalen. Das Land am Kaspischen Meer verfügt über erhebliche Öl- und Gasvorkommen, weshalb westliche Unternehmen an ihm nicht vorbeikommen.

Und für die Wirtschaft ist in Turkmenistan vor allem einer zuständig - Zahnarzt Gurbanguly Berdymuchammedow. Der Mann, dessen Namen selbst Russisch sprechende Zeitgenossen nicht aussprechen können, führt als Präsident Turkmenistans ein hartes Regiment.

Amerikanischer Soldat in Quelle: REUTERS

Einer der ersten Deutschen, die nach Turkmenistan zogen, ist Stefan Padberg vom Energiekonzern RWE. Der 31-Jährige übernimmt die Vorhut, wenn Top-Manager des Essener Unternehmens in die Region reisen. Unter der Federführung des Konzerns lässt die EU-Kommission die Pipeline Nabucco bauen, durch die ab 2015 zentralasiatisches Gas nach Europa strömen soll.

Die Röhre, für die Exaußenminister Joschka Fischer seit Kurzem als Lobbyist die Trommel rührt, ist politisch gewollt. Mithilfe von Nabucco könnte die EU größere Mengen Gas unter Umgehung Russlands beziehen und so Europas Abhängigkeit vom Lieferanten Gazprom reduzieren.

Doch ohne die Turkmenen wäre das Megaprojekt längst gestorben: Aus ihren Feldern will die EU einen Großteil ihres Gases beziehen, durch die turkmenische Wüste soll die Pipeline verlaufen. Doch Padberg, der Vorbereiter aus Essen, stellte schnell fest: Er muss Zugang zum Präsidenten bekommen, sonst kommt das Projekt nicht voran.

Nur wie?

Stefan Padberg fing ganz unten an. Er lud Bürokraten aus dem Mittelbau des mächtigen Staatsapparats immer wieder zu Fortbildungen nach Essen ein. Seine Leute fingen bei Adam und Eva an, stellten ihren Konzern vor, gaben Marktüberblicke, erklärten die Geheimnisse westlicher Gewinn-und-Verlust-Rechnung, begründeten, warum man in Deutschland für Energie Geld verlangt.

"Nicht zu flexibel denken"

"Solch eine Art des kooperativen Austauschs kannten die Turkmenen noch nicht", sagt Padberg. Doch er trägt Früchte: "Wenn wir in Turkmenistan sind, will uns immer irgendjemand der ehemaligen Schüler treffen."

Und so verschafften sich die RWE-Manager langsam Respekt beim Präsidenten und Zugang zu den obersten Machtetagen, um das Nabucco-Projekt zum Laufen zu bringen.

Inzwischen werden die RWE-Leute wie Superstars empfangen: Als Padberg mit einer Delegation vor einigen Monaten in die frisch gegründete Gasstadt Turkmenbaschi kam, standen jubelnde Menschen am Straßenrand und schwenkten deutsche Fähnchen. Es sah auffällig vorbereitet aus, meint Padberg, "aber ich hatte nicht den Eindruck, dass die Leute gegen ihren Willen jubeln mussten".

Die Jubelaktion von Turkmenbaschi ist ein Zeichen, dass die Deutschen willkommen sind. Das war nicht immer so.

Bei einer seiner ersten Reisen, erinnert sich Padberg, habe er für den ersten Tag des Aufenthalts kein gültiges Visum im Pass gehabt. Da halfen selbst die frisch geknüpften Kontakte in die Präsidialverwaltung nicht.

"Die Passkontrolleure haben mir zwar Decken und Kaffee gebracht, aber ich musste mit der nächsten Maschine zurück nach Deutschland fliegen."

Padberg nahm seine Lage gelassen. In Turkmenistan dürfe man "nicht zu flexibel denken", sagt er, den kleinen Dienstweg gibt es nicht.

Das gilt auch für Afghanistan. Markus Schulz, dem deutschen Mobilfunk-Manager in Kabul, stehen angesichts der permanenten Betrugsversuche oft die Haare zu Berge: "An jeder Straßenecke versuchen sie, dich übers Ohr zu hauen", moniert er noch immer.

Schulz erzählt Räuberpistolen wie am Fließband. Einmal hat er Server in Indien bestellt, die nie angekommen sind. Ein andermal haben seine Mitarbeiter chinesische Ersatzteile in die Toyota-Dienstwagen eingebaut, nach ein paar Tagen sprang der halbe Fuhrpark nicht mehr an.

Heute lässt er sämtliche Ersatzteile einfliegen: Werkzeug bestellt er bei Obi in Deutschland, Computer liefert Fujitsu aus der Nahost-Zentrale in Dubai, Server kommen aus den USA. Trotz der hohen Transportkosten sei das unterm Strich billiger, als vor Ort einzukaufen.

Autobombe Irak: Risiko wird Quelle: dpa

"Wir haben hier Indien, China und Pakistan um die Ecke, da wird alles gefälscht, was nicht niet- und nagelfest ist", sagt Schulz.

Noch aufwendiger ist es, in den Regionen die Sicherheit zu gewährleisten. Es reiche nicht, die Sendemasten im Land bloß zu umzäunen und Wachen zu postieren. "Wenn 50 schwer bewaffnete Gangster eine Anlage angreifen, laufen unsere Sicherheitsleute davon", hat Schulz festgestellt. Anschließend pumpen die Banditen den Dieseltank leer, nehmen die Generatoren mit, "der Rest wird angezündet".

Leben im goldenen Käfig

Deswegen bindet er heute nach Möglichkeit Ortsansässige als Wachleute ein, denn die genießen im Land noch am ehesten Autorität. Mit ihrer Begleitung traut sich Schulz auch alle paar Wochen in Provinzen wie Mazar-e-Sharif und Kunduz im Norden, wo die Bundeswehr mit Anschlägen zu kämpfen hat. Dort ist Afghanistan landschaftlich schöner ist als in der Hauptstadt Kabul. Die wildesten Provinzen sind die im Süden, wo es es alle paar Tage zu Terroranschlägen, die die US-Truppen treffen sollen. Dort fühlt sich auch Markus Schulz nicht sicher – und macht einen großen Bogen um die Gegend.

In der Hauptstadt selbst lebt der Deutsche wie im goldenen Käfig: Mit anderen Managern von Afghan Wire- less teilt er sich eine großräumige Villa im Stadtzentrum - mit Koch, Kellner, Chauffeur und einem Swimmingpool im Garten.

Klar, das Leben in einem kriegsbelasteten Entwicklungsland wie Afghanistan sei voller Entbehrungen. In Kabul gibt es zwar schöne Kneipen und Restaurants, aber weder Kino noch Theater nach westlichen Standards.

Trotzdem ist er zufrieden: "In den vergangenen Jahren sind Supermärkte wie Pilze aus dem Boden geschossen. Ich kriege hier Cornflakes aus England, Langnese-Bienenhonig aus Deutschland, Nivea-Creme aus Japan, Käse aus Holland oder der Schweiz", sagt er, "ich muss nur richtig suchen, dann finde ich hier alles."

Ausgewandert sei der Betriebswirt letztlich aus nur einem Grund: "Mir war es in Deutschland zu langweilig."

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