Begräbnisriten "Der Schmerz soll in Watte gepackt werden"

Der Theologe Ansgar Franz erklärt, warum Trauern heute schwieriger geworden ist und Begräbnisriten nicht erfunden werden können.

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Quelle: Getty Images

Herr Professor Franz, wir haben in den vergangenen Jahren eindrucksvolle Demonstrationen kollektiver Trauer erlebt, zuletzt nach dem Absturz der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen. Andererseits werden immer mehr Menschen anonym beigesetzt, ohne Trauerfeier und markiertes Grab. Wer sich nicht sicher ist, wie er von einem lieben Menschen Abschied nehmen soll, findet Hilfestellung bei einer florierenden Ratgeberliteratur oder er hält sich, sofern er Christ ist, an die Ritualangebote der beiden großen Kirchen. Ist es schwieriger geworden zu trauern und der Bestattung eine Form zu geben?

Ansgar Franz: Abschiednehmen war schon immer eine schwierige Sache. Der Tod bedeutet eine Erschütterung, für den einzelnen Hinterbliebenen und für das Familiensystem. Aber ich denke, dass die verschiedenen Formen des Umgangs mit Tod und Sterben, die wir heute erleben, tatsächlich etwas Neues darstellen: Sie sind Ausdruck der gesellschaftlichen Pluralisierung. Die tradierten Formen der Trauer verstehen sich nicht mehr von selbst. Was einst an Verhaltensmustern vorgegeben wurde, etwa dass die Witwe schwarz trägt, dass die Hinterbliebenen für eine gewisse Zeit auf Tanzvergnügen und Theaterbesuche verzichten, das wird heute nicht mehr von der Gesellschaft erwartet. Die Trauernden sind in viel stärkerem Maße aufgefordert, ihren eigenen Ausdruck der Trauer zu finden. Insofern ist das Trauern schwieriger, anspruchsvoller geworden.

Vita: Franz, 56, studierte in Mainz und Rom Katholische Theologie, Geschichte und Italienistik. Von 2000 bis 2004 war er Professor für Liturgiewissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, seither ist er Professor für Liturgiewissenschaft und Homiletik (Predigtlehre) an der Johann-Gutenberg-Universität Mainz und Leiter des Mainzer Gesangbucharchivs. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Traditionen und Riten im Umfeld von Sterben und Begräbnis.

Was ist der entscheidende Unterschied zu früher?

Früher waren die Kirchen mit ihrem Riten-Monopol für den Tod zuständig. Der Einzelne war eingebettet in ein festes Normen- und Ritualsystem und musste sich über die Gestaltung seines Begräbnisses keine Gedanken machen. Heute beginnt die Trauerarbeit damit, dass man sich informiert und aus dem breiten Angebot der Bestatter das Passende heraussucht. Wir finden immer mehr Menschen, die schon zu Lebzeiten bestimmen, ob sie nach ihrem Tod verbrannt oder in der Erde bestattet werden – oder ob ihre Asche ausgestreut wird. Die anonyme Bestattung geht in den meisten Fällen nicht auf den Wunsch der Angehörigen zurück, sondern auf den der Verstorbenen. Mit anderen Worten: Die Frage, wie wir eines Tages aus der Welt der Lebenden gehen, die ist heute viel präsenter als in früheren Zeiten.

Dabei wird immer wieder behauptet, Sterben und Tod würden in unserer Gesellschaft tabuisiert.

Das ist Unsinn, wir erleben doch einen deutlichen Wandel. Im Maße der Pluralisierung der Lebensformen und religiösen Präferenzen beschäftigen wir uns notgedrungen viel stärker mit Sterben und Tod als unsere Vorfahren. Der Einzelne ist heute in seiner Trauerkompetenz gefordert.

Manchmal auch überfordert?

Sicher, der Freiheitsgewinn ist mit einem Verlust an Handlungssicherheit verbunden. Man kann sich auch für das Falsche entscheiden…

…oder ganz auf Riten verzichten. Ist die Zunahme anonymer Beisetzungen ein Zeichen des Niedergangs der Bestattungskultur?

So sehen das vielleicht die Bestattungsunternehmer. Auf jeden Fall ist sie ein Zeichen des Wandels der Bestattungskultur. Das hat auch mit der wachsenden Mobilität zu tun. Wem ist es heute noch vergönnt, in der Nähe des Familiengrabs zu leben, da, wo die Eltern bestattet sind? Die räumliche Trennung der Generationen macht die Grabpflege nicht nur teuer, sondern lässt sie vielfach auch unsinnig erscheinen. Da wird das anonyme Ausstreuen der Asche auf der Wiese zur willkommenen Alternative, zumal die Uniformität vieler kommunaler Friedhöfe mit ihren trostlosen Reihengräbern eher abschreckend wirkt. 

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