Design aus China? Damit verbinden die meisten Menschen außerhalb des Landes selber kleine Buddhas, Seidenblusen, dekorative Schriftzeichen und viel Chrom an den Autos. Und wenn es nicht Winkekatzen sind, dann sind Produkte aus Chinas Unternehmen oft welche, die dem westlichen Betrachter verblüffend bekannt vorkommen. Eine Reihe von Autos, die spielend jeden Tatbestand des Plagiats erfüllen, zeigen, dass das Land seiner Tradition entsprechend zunächst von Vorbildern lernen will, bevor es selber zur Meisterschaft gelangt. Für die Designer aus aller Welt ein Ärgernis, dass sich viele Unternehmen mindestens einmal frech bedienen an der Formensprache der zeitgenössischen Industrie- und Produktdesigner.
Umso überraschender war der Name des Gewinners des Preises "designteam of the year" des Jahres 2013 - in direkter Folge auf Porsche. Die internationale Jury kürte das Unternehmen Lenovo und schwärmte von „beispielhafter Designarbeit“ und einer „Unternehmensstrategie, in der innovative und hochwertig gestaltete Produkte den wirtschaftlichen Erfolg nachhaltig prägen“. Ist das bereits die Wende vom Billigmachen zum Bessermachen?
Lenovos Designchef und Vice President Yao Yingjia nutzte die Preisverleihung für eine selbstbewusste Ankündigung: "Lenovo hat sich zum Ziel gesetzt, weltweit führend im PC-plus-Zeitalter zu werden - der Ära der Tablets, Smartphones, Smart-TVs und PCs." Die Auszeichnung sei eine "großartige Ermutigung, weiter Teil der globalen Designentwicklung zu sein - oder gar die Führung zu übernehmen". An Selbstbewusstsein mangelt es nicht.
Die Führung? Das sehen Kollegen aus Europa noch kritisch. Lenovo mache "cleanes Design, das aber nicht über das Gestaltungsniveau anderer Hersteller herausrage oder in dieser Branche Impulse setzt", meint Tom Schönherr, Managing Partner von Phoenix Design aus Stuttgart, die unter anderem aus Loewe eine Premiummarke formten.
Die chinesischen Unternehmen gewichten jedoch den Wert eigenständigen Designs immer stärker. Statt erfolgreiche Konzepte forsch zu adaptieren, setzen sie auf Hilfe aus Europa oder den USA. Der Autohersteller Quoros holte den erfahrenen Designer Gert Hildebrand, der unter anderem den Golf 3, einige Modelle bei Opel mitgestaltet hat und Chefdesigner bei Mini war.
Der Computerhersteller Lenovo zumindest meldete das beste Quartal der Firmengeschichte. Der Umsatz stieg auf ein Rekordhoch von 9,4 Milliarden Dollar. Ein Plus von zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Gestaltung ist seit der Übernahme der IBM-PC-Sparte ein Thema, und hier gehen die Chinesen mittlerweile eigene Wege. Bewusst hat der Hersteller darauf verzichtet, dem Idol Apple nachzueifern. Statt ausschließlich auf monochromes Alufinish zu setzen, verwenden sie frische Farben und Gerätehüllen, die zugleich an Leder und Gummi denken lassen - wie es Apple nun in der jüngsten Generation der iPhones tut.
Design aus Shanghai
Dahinter steht Yao Yingjia, 40, der als ausgesprochen kreativ, ja künstlerisch und teamfähig gilt. Yao tauscht sich regelmäßig mit internationalen Gestaltern aus, nicht nur im eigenen Haus, sondern auch in zahlreichen Workshops. Der Design-Manager und Absolvent der China Europe International Business School (CEIBS) in Shanghai arbeitet seit 1996 bei Lenovo. Dort stellte er das erste Industriedesignteam des Landes zusammen. Seine Designhaltung fasst der perfekt Englisch sprechende Yao so zusammen: "SUV, Simple, Unique, Valuable", also einfach, einzigartig, wertvoll. Für Yao findet Gestaltung längst auf globaler Ebene statt. "Design muss internationales Denken widerspiegeln."
China bewegt sich weg von der Werkbank der Globalisierung. Die Kommandobrücke lockt. Ganz Asien saugt Designwissen aus Amerika und Europa auf. Das Modell heißt Frontalunterricht. Als der ehemalige Audi-Designer Peter Schreyer zu KIA wechselte, wurden selbst die Chefs in Ingolstadt und Wolfsburg nervös. Schreyer bringt seinen koreanischen Kollegen gerade bei, wie Produktfamilien funktionieren und dass Design-Strategien immer über das einzelne Auto hinausgehen. Das ist ein Wissenstransfer vergleichbar dem in anderen Feldern. Nur mit größeren Auswirkungen. Wann werden also die nächsten Premiummarken auftauchen?
Die nächsten Jahre werden chinesische Unternehmen mehrheitlich darauf angewiesen sein, mit westlichen Designern zusammenzuarbeiten, mutmaßen viele Experten. Möglicherweise ein gravierender Irrtum. Während Europa das Verschwinden der Dinge feiert und zugleich die Produktionsbasis schwindet, wächst in Asien der größte Markt der Welt. Konsum hat Vorrang in China. Dafür werden Tausende von Designstudenten an Universitäten ausgebildet.
Markengestaltung ist der Schlüssel für langfristigen Unternehmenserfolg. Dabei fallen entscheidende Unterschiede zwischen Ost und West auf. In Amerika dient Design der Gewinnmaximierung, in Europa wird es unter Qualitätsgesichtspunkten betrieben. China hingegen kopiert, lernt, entwickelt sich. Nur wenige Global Player beherrschen das Zusammenspiel von Marken- und Produktdesign perfekt, allen voran Apple, Google und deutsche Autobauer. Letztere beweisen immer wieder, dass jedes Fahrzeug Teil eines Ganzen ist, der Marke, und genau das ist es, was Konsumenten vor allem in Asien anspricht. Chinesen gelten als besonders markenbewusst, Markendenken aber scheint den chinesischen Unternehmern abzugehen. "Momentan kann man nur von Lippenbekenntnissen sprechen, wenn es um die Designanstrengungen vieler chinesischer Hersteller geht", bestätigt Peter Zec, geschäftsführender Gesellschafter von red dot. "Ihnen fehlt oftmals eine Designphilosophie - noch!"
Gestalter brauchen Freiheit
Mit Billigware, die aus jedem Kaufhaus quillt, wird sich China nicht mehr lange abgeben. Premiummarken sind das Ziel. Bisher haben es in Asien nur japanische Unternehmen geschafft, Marke und Design zusammenzubringen. Korea und Taiwan ziehen gerade nach. Und China? Das Reich der Mitte denkt langfristig. Erst gehe es darum, in einigen Feldern die technische Vorrangstellung zu gewinnen, sagt Zec: "China wird sich bestimmte Industrien vornehmen, um dort eine technologische Führerschaft zu erreichen. Dann kommt es darauf an, ob chinesische Designer in der Lage sein werden, neue Technologien in eine neue Produktkultur umzusetzen." Elektromobilität, Werkstoff- und Umwelttechnik: das könnten Themen sein, die Schlachtfelder des 21. Jahrhunderts. Wo immer neue Technologien auftauchen und bestehende infrage stellen, liegt Chinas Chance.
Kopieren ist schon lange kein Thema mehr
Design wird getrieben durch Innovationen in Fertigung und Material. Wer technologisch an der Spitze steht, bestimmt mittelfristig auch die Formen und Gewohnheiten der Technologien. Das war beim Computer so, mit Maus und Tastatur, beim Internet, mit Klammeräffchen, Blogs und Kurznachrichten, und schließlich auch beim Mobilfunkmarkt mit SMS und mobilen sozialen Netzwerken. Amerika hat die Welt der Kommunikation geprägt. Mitbewerber müssen sich, ob sie wollen oder nicht, an seinen Standards orientieren.
Viele Gestalter, die in Asien tätig sind, erkennen einen solchen Paradigmenwechsel. Bernd Eigenstetter von Designit Munich sieht in Korea längst Design als Wirtschaftsfaktor in Industrie und Bevölkerung fest verankert. "Koreanische Unternehmen haben es auf hervorragende Weise geschafft, sich vom europäischen Designdogma freizuschwimmen und einen eigenen Stil zu schaffen. Ich würde diesen Stil als poetisch feminin bezeichnen."
Erst wachsen, dann gestalten
Langfristig reichen selbst die fortschrittlichsten Technologien nicht, um an der Spitze zu bleiben. Gutes Design braucht auch eine offene Gesellschaft. Zec formuliert das diplomatischer: "Man muss frei denken, um zu Spitzenleistungen zu gelangen." In China gilt aber noch immer das Senioritätsprinzip: der Ältere hat das Sagen. Und die Partei. Hemmnisse auf dem Weg zum Designolymp. Wer sieht, wie radikal die Ulmer Hochschule für Gestaltung die Welt der Dinge und die Gesellschaft selbst infrage stellte und wie frei die Lehre dort ablief, wird verstehen, dass hier Grundlagen für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg der alten Bundesrepublik gelegt wurden. Nicht nur die Marke Lufthansa profitiert noch heute von Otl Aichers Gestaltung.
Um an die Spitze zu gelangen, gibt es freilich noch einen anderen Weg: Wachstum. In Deutschland übernahm Lenovo vor zwei Jahren Medion für über 600 Millionen Euro, einen Discounter, der bislang kaum durch außergewöhnliches Design aufgefallen war. Marktanteile um jeden Preis auszubauen passt aber nicht unbedingt zur Strategie einer qualitativ hochwertigen Designmarke. Lenovo befindet sich an einer Weggabelung. Die Zukunft wird zeigen, ob Designchef Yao Yingjia genug Freiraum behält, die Firma im Premiumsegment weiterzuentwickeln. Das Potenzial ist da. Bernd Eigenstetter prognostiziert chinesischem Produktdesign "eine glänzende Zukunft. Kopieren ist schon lange kein Thema mehr. In den Schulen wird Innovation gepredigt." Klingt so, als liefe die Zeit amerikanisch-europäischer Designdominanz schneller ab, als manche hoffen.