Spätestens durch die digitale Revolution werde der Mensch zur Summe seiner Daten, sagte Fernsehphilosoph Richard David Precht in einer ZDF-Sendung Ende November. In „Herrschaft der Zahlen - Ist alles vermessbar?“ diskutierte er mit dem Physiker und Philosophen Harald Lesch, ob Zahlen – Big Data – wirklich der Schlüssel zu allem seien.
In der digitalen Welt, so Precht, versucht man sich mittels Datenanalyse an kurzfristigen Problemlösungen. Das gelte für die Politik genauso wie für die Wirtschaft.
Doch schaut man einmal genauer hin, scheint das noch nicht überall zu funktionieren:
Der Algorithmus von Facebook? Steht unter Dauerkritik.
Der Google-Algorithmus? Bringt verstörende Ergänzungen von Suchanfragen hervor.
Die Algorithmen bei Partnerbörsen? Sind oft unverständlich und immer unromantisch..
Die Algorithmen, die autonomes Fahren ermöglichen? Könnten ein Einfallstor für Hacker sein.
Was Hillary Clintons Wahlkampagnen-Algorithmus Ada ihr gebracht hat, ist bekannt.
Auch dass Algorithmen Meinungen und Stimmungen durch gezielte Streuung von Nachrichten beeinflussen können, wissen Experten nicht erst seit der jüngsten US-Wahl. Sind Algorithmen deshalb gefährlich? Ja und nein.
Die Wirtschaft kann durch den Einsatz von Algorithmen profitieren. Wenn ein sogenannter Office-Manager wissen möchte, wann es sich lohnt, den Brötchen-Lieferanten einzubestellen, kann er entweder alle Mitarbeiter befragen: „Wann kommen Sie denn ins Büro und wann haben Sie Hunger?“ oder die Daten der elektronischen Stechuhr auswerten lassen. Wenn vor elf Uhr ohnehin niemand da ist, müssen auch nicht um sieben schon Croissants geliefert werden.
Konkrete Big-Data-Beispiele
Im Gesundheitswesen werden wertvolle Informationen über Nebenwirkungen von Medikamenten und die Wirksamkeit neuer Behandlungsmethoden gewonnen, indem Erfahrungsberichte von Patienten und Ärzten im Internet anonym ausgewertet werden.
Die Stadt Stockholm realisiert ein intelligentes Verkehrsmanagement, um Staus und Unfälle zu vermeiden. Grundlage ist die Analyse von Verkehrs- und Wetterdaten.
Einen Beitrag zur Energiewende leistet die Messung und Analyse des Stromverbrauchs mit Smart Metern, um den Bedarf genauer vorherzusagen und den Verbrauch zu reduzieren.
Und wenn ein Verkehrsunternehmen wissen will, wann mehr Busse, Fahrer und Kontrolleure eingesetzt werden müssen, hilft ein Blick in die Bewegungsdaten der Passagiere anhand von Ticketverkäufen, App-Aufrufen und Co. Der passende Algorithmus filtert dann heraus, wann die meisten Menschen in der Region mit dem Bus fahren, welche Linien besonders stark genutzt und wo die meisten Schwarzfahrer erwischt werden. Die Alternative dazu wäre das Bauchgefühl eines Planers, das sagen könnte: Wenn es glatt ist, fahren sicher mehr Leute mit dem Bus, vermutlich fahren alle in die Innenstadt und zwar zwischen acht und neun Uhr morgens.
Die Pendler, die im Sommer um sieben Uhr ins Gewerbegebiet wollen, werden sich für diese Einschätzung bedanken.
Logik statt Gefühl
In Bereichen, in denen eine nüchterne Analyse effektiver ist als das Bauchgefühl, können Algorithmen entsprechend hilfreich für Unternehmen und deren Kunden sein. Im strategischen Einkauf beispielsweise können Algorithmen die Qualität der Kaufentscheidungen verbessern, wie Marcus Schüller, Einkaufs-Experte und Head of Operations Consulting bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, sagt. „Algorithmen sind eine logische und konsequente Weiterentwicklung der Automatisierung im Einkauf.“
So kann der Computer feststellen, wann der günstigste Zeitpunkt ist, Kupfer zu bestellen, damit weder das Lager aus allen Nähten platzt noch die Produktion ins Stocken gerät. Auch das Vergleichen der Preise, Lieferanten oder Produzenten beherrscht der Algorithmus sehr viel schneller als ein Mensch.
Schüller bestätigt: „Die analytischen Möglichkeiten einer Maschine sind um ein Vielfaches höher als die eines Menschen, der im Vergleich dazu nur in wenigen Szenarien gleichzeitig denken kann.“ Die Daten auswerten und sich entscheiden muss der aber immer noch selbst. Anders als der Computer entscheidet sich der Einkäufer dann vielleicht für den teureren Produzenten, weil der nützliche Geschäftskontakte verspricht.
Künstliche Intelligenz in Aktion
„White Collar“-Jobs sind keine Sperrzone mehr für Roboter. Bei der US-Anwaltsfirma Baker & Hostetler arbeitet der digitale Kollege Ross. Er kann mit Hilfe von Datenbanken eigenständig Schlüsse ziehen und Beziehungen herstellen. So liefert er seinen menschlichen Kollegen die nötigen Unterlagen und eine Einschätzung der Relevanz für die bei ihm in Auftrag gegebenen Fälle.
Das Londoner Unternehmen IntelligentX lässt Bier nach einer Rezeptur einer künstlichen Intelligenz brauen. Das Ganze funktioniert mit Hilfe einer App. Wer ein AI-Bier probiert hat, kann dort sein Feedback abgeben. Auf Basis der darüber gesammelten Daten und maschinellem Lernen wird die Rezeptur für das Bier verändert.
Das Berliner Start-up Parlamind arbeitet an einer Software, die bald schon Kundenanfragen beantworten soll. Nachrichten werden dabei automatisch gelesen, erkannt, gruppiert und kategorisiert.
Das Self-Service-Center ist heute schon gar nicht mehr aus der Bankfiliale wegzudenken. Der Trend geht noch viel weiter. Softwares wie etwa das Finanzhandel-Analyseprogramm mit dem Namen Kensho sollen Prognosen zufolge in den nächsten zehn Jahren etliche Angestellte ersetzen.
In japanischen Läden besteht durchaus die Chance auf Pepper zu treffen. Der weiße kleine Roboter begrüßt dort Kunden, und beantwortet Fragen oder nimmt Beschwerden entgegen. In den japanischen Filialen von Nescafé berät Pepper auch schon bei der Kaffeewahl.
Für einen Computer käme eine derartige Entscheidung nicht in Frage. Schließlich handelt der streng nach seiner Logik. Was in vielen Fällen deutlich besser sein kann. "Noch immer wird in Deutschland aus Bequemlichkeit oder weil man seinen Bauch fragt, Geld falsch angelegt. In teure Fonds, heiße Anlagetipps, in Lieblingsunternehmen oder aufs vermeintlich sichere Sparbuch", so Quirion-Chefin Anna Voronina.
Ganz uneigennützig ist diese Aussage allerdings nicht. Quirion ist ein sogenannter Robo Advisor, also ein algorithmusbasierter Vermögensberater mit computergestützter Portfolioverwaltung. Sprich: Einer der das Geld der Kunden anlegt, beziehungsweise Anlageempfehlungen ausspricht, ohne eigenen Interessen oder dem Herdentrieb zu folgen, in fallende Messer zu greifen oder sonstige typische Anlegerfehler zu machen. Oder wie Sven Korschinowski, Digital Banking-Experte und Partner bei KPMG, sagt: „Ein Algorithmus verkauft der 91-jährigen Oma keinen Bausparvertrag.“ Der Algorithmus hat zwar kein Mitgefühl, aber auch keine kriminelle Energie.
Die Entwicklungsstufen Künstlicher Intelligenz
Der britische Informatiker entwickelt den nach ihm benannten Test. Er soll ermitteln, ob eine Maschine denken kann wie ein Mensch. Ein russischer Chat-Roboter soll ihn 2014 erstmals bestanden haben.
Experten einigen sich auf den Begriff "Künstliche Intelligenz". Der Rechner IBM 702 dient ersten Forschungen.
Katerstimmung bei den Forschern: Die Fortschritte bleiben hinter den Erwartungen zurück. Computer sind zu langsam, ihre Speicher zu klein, um die Daten von Bildern oder Tönen zu verarbeiten. Budgets werden gestrichen, erst ab 1980 geht es wieder voran.
Der Supercomputer von IBM siegt im Schachduell gegen Weltmeister Garry Kasparov. Die Maschine bewertete 200 Millionen Positionen pro Sekunde. 2011 siegt IBMs Software Watson in der Quizsendung "Jeopardy".
Der KI-Forscher sagt in einem Buch für das Jahr 2045 den Moment der "Singularität" voraus: Die Rechenleistung aller Computer erreicht die aller menschlichen Gehirne. Seit 2012 arbeitet Kurzweil für Google an KI-Systemen.
Ein Google-Programm beschreibt präzise in ganzen Sätzen, was auf Fotos zu sehen ist. Nahrungsmittelkonzern Nestlé kündigt an, 1000 sprechende Roboter namens Pepper in seinen Kaffeeläden in Japan als Verkäufer einzusetzen. Physiker Stephen Hawking warnt: KI könne eines Tages superschlau werden – und die Menschheit vernichten.
Computer sind schlau wie Menschen – und machen sogar Witze. Fabriken, Verkehr und Landwirtschaft sind nahezu komplett automatisiert.
„Auf den ersten Blick macht der Gedanke an einen Robo Advisor vielleicht Angst, auf der anderen Seite ermöglichen Algorithmen und Robo-Advisor-Plattformen der breiten Masse die Geldanlage: Während klassisches Wealth-Management mit dem persönlichen Berater nur für wenige erschwinglich ist, kann man bei Robo-Advisor-Plattformen schon 10, 50, 1000 oder 10.000 Euro anlegen“, so Korschinowski. „Die Hürden für eine Anlage sinken dadurch erheblich. Ob ein Investment von zehn Euro sinnvoll ist, sei mal dahingestellt, aber den Gedanken finde ich eigentlich nicht schlecht.“
Roboter im Recruiting
Angst haben die Kunden von Salome Preiswerk, Gründerin und CEO beim Robo Advisor Whitebox, nicht. Dazu gebe es auch keinen Grund: „Mir ist kein Modell bekannt, wo ein Roboter etwas an Kundengeldern macht, wo nicht mindestens noch ein Mensch drüber schaut“, so Preiswerk.
Und auch Machine Learning und künstliche Intelligenz funktioniert nicht ohne die Kontrolle des Menschen: "Machine Learning entwickelt sich zu einer Schlüsseltechnologie, die den Menschen künftig nicht ersetzen, aber sehr stark unterstützen wird. In drei bis fünf Jahren werden Unternehmen aller Branchen damit arbeiten, ob sie nun ihre Kunden besser beraten oder aber ihre Prozesse effizienter gestalten wollen", sagt Dirk Ungemach-Strähle, Experte für das Thema Machine Learning bei der auf Finanzdienstleister spezialisierten Unternehmensberatung Cofinpro.
Selbst beim Recruiting, wo es mehrheitlich um Bauchgefühl geht, können Algorithmen die lästige Vorarbeit erledigen, wie Luuk Houtepen, Director Business Development bei der auf IT, Bankwesen, Technik und Energie sowie Life Sciences spezialisierten Personalberatung SThree, sagt. „Ich würde nicht sagen, dass man die Finger vom Robot Recruiting lassen sollte, denn Big Data kann den Auswahlprozess deutlich verbessern“, so sein Urteil.
Was Big Data im Personalwesen kann
Ein Großhandelsunternehmen nutzt für eine interne HR-Analytse Daten und Modelle über Stärken und Schwächen im Management und warum die Leistung der Mitarbeiter in den unterschiedlichen Niederlassungen unterschiedlich ist. Zusammen mit einem Überblick über die Kontrollreichweite der einzelnen Managementeinheiten und den unterschiedlichen Vergütungsvarianten aller Abteilungen und Teams im Unternehmen lässt sich darstellen, wo im Unternehmen sich Talente bewegen. Ob sie das Unternehmen verlassen oder wo die Mobilität der Talente in höhere Positionen gut oder weniger gut ausgeprägt ist. Das gibt der Unternehmensführung Erkenntnisse darüber, wann sie Organisationsprozesse konsolidieren oder erweitern und wann sie neue Führungskräfte fördern oder dort Strukturen reorganisieren sollen.
Quelle: Cornerstone OnDemand
Xerox konnte die eigene Mitarbeiterfluktuationsrate in allen seinen Callcentern um etwa 50 Prozent reduzieren, nachdem es Big Data im Rahmen der Überprüfung der Bewerbungen einsetzte. Das Unternehmen hatte bisher Personen basierend auf deren Praxiserfahrungen eingestellt. Doch die Daten zeigten, dass die Persönlichkeit eine größere Rolle spielt als die Praxiserfahrung. Während kreative Menschen meist für mindestens sechs Monate im Unternehmen bleiben, so dass das Unternehmen wenigstens die Investitionen in deren Ausbildung erwirtschaften kann, verlassen wissbegierige Menschen das Unternehmen.
In einem anderen Unternehmen war das Team der HR Analytiker aus ihrer ursprünglichen Aufgabe, der Personalplanung, herausgewachsen. Nach mehr als drei Jahren Analysen hatte das Team Rekrutierungs-Modelle entwickelt, die in der Lage waren, Arbeitsmarktdaten, Gehaltsdaten und Informationen über Fähigkeiten externer Personen miteinander zu korrelieren, um auf diese Weise lokale Rekrutierungsstrategien in der ganzen Welt zu entwickeln.
Und auch er ist überzeugt, dass der Algorithmus den Personaler oder Recruiter nicht überflüssig macht, sondern ihn nur unterstützt. Der müsse schließlich definieren, was ein Kandidat können muss, damit der Algorithmus anhand dieser Kriterien Karrierenetzwerke und eingesandte Lebensläufe auswerten und so die nötige Vorauswahl treffen könne. „Die eigentliche Auswahl eines Kandidaten ist und bleibt Menschenarbeit“, sagt Houtepen.
Dennoch sei man in Deutschland beim Einsatz von Algorithmen im Recruiting eher zurückhaltend. Wer das Vorsortieren von Lebensläufen & Co. abgibt, tut dies in der Regel in Call- und Back-Office-Center nach Ost-Europa und nicht an Roboter. Die Unternehmensberatungen EY und Gapgemini sind Beispiele für diese Art des Outsourcings. Oder der Chef kümmert sich gleich selbst. Houtepen: „Beim BDU, wo ich Mitglied bin, habe ich einmal ein Gespräch mitbekommen, wo ein Unternehmensberater den anderen fragte: ‚Nutzen Sie schon Xing?‘ und der andere antwortete: ‚Nein, ich rufe einfach an, ich hab doch die Kartei.‘“
Wahrscheinlichkeit, dass Menschen innerhalb von 20 Jahren ganz oder teilweise durch Maschinen ersetzt werden
Gesundheitsberater
Quelle: Frey/Osborne
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Dabei ist die Aufbereitung und Auswertung großer Datenmengen und sei es nur als digitales Netzwerk, gar nichts Neues, wie Stéphane Garelli erzählt. Der Ökonom ist Professor an der Schweizer Business Schule IMD und hat dort das IMD World Competitiveness Center ins Leben gerufen. „Seit 1995 ermöglicht es uns Big Data, Algorihmen zu kreieren, die den beeindruckenden Reichtum an Informationen nutzbar machen“, sagt er. Und das hat sehr viele Vorteile.
Ohne Menschen sind Algorithmen nichts
Aber ohne Menschen, die kritisch hinterfragen, die nicht nur im Jetzt, sondern auch vorausschauend denken und der Maschine die richtigen Fragen stellen, werden Algorithmen und Künstliche Intelligenz zu der Bedrohung, zu der sie derzeit hochstilisiert werden.
Denn der Algorithmus an sich denkt nicht in gut und böse beziehungsweise menschen- oder demokratiefeindlich. Er denkt in einem wenn-dann-Schema. Würde man einen Algorithmus zum Supermarkt schicken und ihm sagen: „Kaufe ein Brot. Wenn Äpfel da sind, dann bring fünf Stück mit“, würde er mit fünf Broten zurückkommen, wenn es in der Obstabteilung Äpfel gibt.
Vor so etwas braucht sich niemand fürchten. Man sollte seine Algorithmen nur nicht unbeaufsichtigt zum Einkaufen schicken oder Entscheidungen treffen lassen.