Deutscher Architekturpreis Die stille Schönheit aktueller Architektur

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"Vernünftige Wohnungen zu bezahlbaren Preisen"

„Vernünftige Wohnungen zu bezahlbaren Preisen“ – das sei ein „Riesenthema, quantitativ wie qualitativ“, sagt Matthias Sauerbruch, der mit seiner Partnerin Louisa Hutton vor zwei Jahren für die Immanuel-Kirche in Köln-Stammheim den Deutschen Architekturpreis erhalten hat. Sauerbruch verweist auf die Münchner Wohnsiedlung wagnisART, die mit den Bewohnern als Genossenschaftsprojekt entwickelt wurde: 138 Wohnungen, ein Mix aus Wohngemeinschaften und kleinen wie großen Familien, in fünf unregelmäßig zugeschnittenen Häusern, mit gemeinsam genutzten Dachterrassen, die über eine schmale Brücke wie durch einen Laubengang ringförmig miteinander verbunden sind.

Ein neues „partizipatives Finanzierungsmodell“ und ein familiäres „Quartier im Stadtquartier“, das mit seinen öffentlichen Höfen und halb öffentlichen Galerien an eine Theaterarena erinnert.

Ein „eigenwilliges Projekt“, findet Sauerbruch, ebenso wie, auf diskretere Weise, der Nagler-Kaufmann’sche Schulbau – und der Cinnamon-Turm im Hamburger Überseequartier: Hier ist ein schlanker Turm entstanden, ein „Pin auf der Piazza“, wie ihn die Architekten Bolles+Wilson nennen, der sich selbstbewusst, aber keineswegs autistisch im Hamburger Überseequartier reckt. Mit seinen je nach Lichteinfall changierenden Dunkelrottönen reagiert der frei stehende Campanile auf die klassische Klinkerfassade des Alten Hafenamts nebenan. Eine „eher skulpturale Form“, die Sauerbruch in ihrer „Sinnlichkeit“, ihrer „Farbenfreude“, ihrem „Respekt vor der städtebaulichen Situation“ bewundert.

Das Erbe der berühmten Architektin
Im Alter von nur 65 Jahren ist Zaha Hadid unerwartet verstorben. Der Welt hinterlässt sich wundervolle Gebäude, die fließen und zu schweben scheinen. Etwa das Heydar Aliyev Center in Baku (Aserbaidschan), das 2012 fertiggestellt wurde. Unter anderem beherbergt es eine Konferenzhalle, eine Galerie und ein Museum. Quelle: PR
London Aquatics Centre Quelle: PR
Guangzhou Oprea House Quelle: PR
Jockey Club Innovation Tower Quelle: PR
Messner Mountain Museum Corones Quelle: PR
Innsbrucker Nordkettenbahn Quelle: PR
Serpentine Sackler Gallery Quelle: PR

Es ist das „verspielteste Projekt mit den größten künstlerischen Ambitionen“ – neben der Deutschen Schule in Madrid: Das Architekturbüro Grüntuch Ernst hat mit dem Neubau im Stadtteil Montecarmelo gezeigt, wie unterschiedlich große Baukörper und Innenhöfe durch die vieleckige Geometrie der Dachlandschaft zu einer reizvollen ästhetischen Einheit gebracht werden können.

Warum es Eigenwille nicht immer leicht hat in Deutschland? Weil er, so Sauerbruch, schnell als „aufschneiderisch“ wahrgenommen wird, als „zwanghaftes Originell-sein-Wollen“. Der sprichwörtliche Bilbao-Effekt, der noch vor 15 Jahren bewundert wurde, ist in Verruf geraten, gerade bei jüngeren Architekten, die auf der Suche nach einer neuen Normalität sind, nach Selbstverständlichkeiten fern aller marketingträchtigen Sensationshascherei. Florian Nagler etwa will von der stilistischen „Löwenpranke“ nichts wissen. Er macht lieber das Naheliegende, bewegt sich „behutsam am Ort“, geht „sensibel“ auf die Bestände ein, auf die „Dinge, die da sind“.

Nicht das Neue um des Neuartigen willen, sondern das Spiel zwischen Alt und Neu, das Weiterbauen im Sinne des Weitererzählens ist für ihn erste Architektenpflicht.

Matthias Sauerbruch sieht diese Tendenz mit gemischten Gefühlen: Die „deutsche Konsenskultur“ prämiere den Hang zum Machbaren, zum Pragmatischen, den Sinn für wichtige Tugenden wie Solidität und Diskretion. Sie meidet aber Extreme und fördert das „Mittelmaß auf hohem Niveau“. Die Folge: Eine Debatte um Bauästhetik findet „fast gar nicht statt“, man rede lieber über Erschließungsflächen als über die Eleganz einer Fassade. Auch Markus Allmann vermisst manchmal den Wagemut, die Lust am Experiment: Man gehe in Deutschland dem Risiko aus dem Weg zugunsten des Kompromisses. Allmann geht es ums „dialektische Prinzip“: Die gute Regel des Bauens sei auch auf die Ausnahme angewiesen, auf die Lust am Außergewöhnlichen.

Dass Ausnahmearchitektur möglich ist, die sich innerhalb der Regeln bewegt, zeigt nicht nur der Diedorfer Schulbau, sondern auch die Bremer Landesbank des Architekturduos Caruso St John: Der Neubau in Nachbarschaft von Dom und Rathaus zitiert den norddeutschen Backsteinexpressionismus, ohne ihn zu imitieren; er reizt mit seiner gewellten Fassade das plastische Potenzial des Klinkers aus; und er schafft Reminiszenzen, einen historischen Hall-Raum, der vom Hamburger Chilehaus bis zur Postmoderne reicht. Historismus ante portas? Eine Wiederauflage des postmodernen Spiels? Hoffentlich kein Trend von übermorgen.

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