Disruption als Lebensaufgabe "Ich habe keine Lust Regeln zu befolgen."

Elvir Omerbegovic verdiente mit Musik Millionen, als die Branche tot schien. Und ständig hat er neue Geschäftsideen, mit denen sich der Mainstream schwer tut. Unterwegs mit einem, der Disruption als Lebensaufgabe sieht.

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Elvir Omerbegovic Quelle: Selfmade Records/Lars Laion

Wenn Elvir Omerbegovic eine Bühne betreten hat, macht er das Publikum erst mal klein. Das geht dann so: „Ich habe heute Morgen beim Frühstück überlegt, was ich euch jetzt erzähle. Eine Präsentation hab ich nicht mehr geschafft.“ Oder wie an einem Herbsttag in der Köln-Arena, wo ihn die Moderatorin während eines Gründerkongresses auf die Bühne gerufen hat. „Ich hab nicht zugehört, als du mich angekündigt hast.“ Er trägt einen schwarzen Pulli, Sneaker, eine Jogginghose. Die Reihen sind nicht sehr gefüllt. Omerbegovic spielt ein Video ab und stellt sich einfach an den Rand. Das ist unterhaltsam, aber eine Unverschämtheit. Schließlich ist keiner hergekommen, um einen Film zu schauen.

Das Video endet, und Omerbegovic plaudert so drauflos. Wie er, heute 37, aus einer Sozialwohnung bei Düsseldorf zu einem der gefeiertesten Musikunternehmer in Deutschland wurde, wie er in den vergangenen drei Jahren seine Künstler mit neun Alben an die Spitze der Charts brachte und schließlich ein Joint Venture mit dem Branchenriesen Universal einging, wie er das so erworbene Kapital nicht nur in Porsches und Ferraris, sondern in den Bau eines kleinen Unternehmensreichs investierte – Klamotten, neuerdings ein Alcopop-Eis. Minütlich füllen sich die Reihen wieder. Am Ende des Vortrags, die Stuhlreihen sind nun gut mit faszinierten Zuhörern gefüllt, blendet Omerbegovic ein Chart ein, das für sein Eis werben soll, und doch so viel mehr sagt.

„Danke, ihr Lutscher.“

Das soll witzig sein.

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René Obermann, einst Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom, gründete während des Studiums ein eigenes Start-up Quelle: Sebastian Muth für WirtschaftsWoche

Das ist aber auch wieder eine Publikumsbeschimpfung, bei der man sich seiner Stärke sehr sicher sein muss. Und deswegen lohnt es, sich mit diesem Omerbegovic zu beschäftigen, der sein Publikum scheinbar nicht so richtig ernst nimmt und doch genau damit erfolgreich wurde: indem er sein Publikum ernst nimmt, brutal ernst.

Das deutsche Gründerwesen leidet ja unter zwei Vorurteilen: Spannend ist, wer irgendwas digitalisiert. Und aus Deutschland kommen keine Gründungen, die ein Geschäftsmodell disruptiert hätten. Omerbegovic kümmert beides nicht. Den deutschen Rap dominiert er. Von dort aus streckt der ehemalige Profibasketballer seine Arme in alle möglichen Branchen aus, die Menschen unter 25 interessieren. Immer mit dem Ziel, zu wiederholen, was ihm in der Musik gelang: sich mit den Kunden so zu verbünden, dass man die Gesetzmäßigkeit ganzer Geschäftsmodelle auseinandernehmen und dann neu zusammensetzen kann. Wie das geht?

Vor mehr als zehn Jahren, während seines Studiums, hat Omerbegovic ein Musiklabel gegründet, Selfmade Records. Er baute die Künstler auf, die heute wie Kollegah, Casper oder aktuell die 257ers zu den Dauergästen in den Charts gehören; er organisierte die Konzerte, die Studioaufnahmen, die Videodrehs. „Ich habe mir in den ersten sieben Jahren keinen Tag frei genommen und, weil es mir Spaß gemacht hat, auch nicht richtig bemerkt“, sagt er. „Ich wollte nicht irgendwas machen, ich wollte der Beste in dem sein, was mir Spaß macht. Und das wirst du nur als Workaholic.“

Alles geht, wenn man hart genug drauf ist. Und man kann alles optimieren. Gerade auch sich selbst. Mittlerweile lässt Omerbegovic regelmäßig sein Blut von Schadstoffen sauber spülen, sich selbst ständig checken. In den Zeiten dazwischen ernährt er sich von Eiweiß und Vitaminen; kein Alkohol, kaum Kohlehydrate. Das Ergebnis ist jedenfalls, dass Omerbegovic auch nachts um halb drei noch Mails schreibt, als sei es am helllichten Tag, und rund um die Uhr so zuverlässig schnurrt wie der Turbo seines Porsches. Allerdings auch ähnlich bescheiden. Der Beste oder nichts.

Für das nicht ganz so zurückhaltende Ziel gab es schon bessere Zeiten als Omerbegovics Gründerzeit. Als er Selfmade Records schuf, kämpften die großen Plattenfirmen gegen Raubkopien im Netz. Geld verdiente niemand mehr. Und dann kam dieser Omerbegovic und stellte Videos seiner Künstler, die er für gut 4000 Euro das Stück aus eigener Kasse produzieren ließ, auf YouTube. Kostenlos!

Chirurg der deutschen Musikbranche

Omerbegovic ahnte, dass es nicht damit getan ist, das Zeug seiner Künstler einfach ins Netz zu stellen. Nach der Veröffentlichung hing er Nächte in Foren, wertete aus, wie seine Sachen dort diskutiert wurden. Heute macht das eine eigene Software. Was ankommt, wird ausgebaut, vermarktet auf allen Kanälen. Was nicht funktioniert, stirbt. Für jeden Bedarf, den er in den Weiten des Netzes erkennt, formt er eigene Künstler. „Dementsprechend ist Selfmade viel breiter aufgestellt und zeigt, was Rap sein kann: nämlich alles“, wird der Hip-Hopper Jan Delay später über ihn sagen.

Omerbegovics Leute werden Stars einer eigenen Welt: Für Menschen unter 25 formt er Helden, Menschen über 30 dürften Künstler und Marken nichts sagen. Im Jahr 2013 wurden die Videos aller Selfmade-Künstler 100 Millionen Mal angesehen. Dem Label gelangen mal acht deutsche Nummer-eins-Alben hintereinander. Die Firma hat die Rechte an 1,9 Millionen verkauften Platten und mehr als sieben Millionen Singles. Die „Süddeutsche“ nannte Omerbegovic den „Chirurgen“ der deutschen Musikbranche: Er zerschneide Altes und setze es erfolgreich neu zusammen. Rolf Schrömgens, Gründer des Reiseportals Trivago und ein Geschäftsfreund, sagt über Omerbegovic: „Er ist ein Typ, der sich nicht mit vermeintlichen Wahrheiten oder Gegebenheiten zufrieden gibt. Er fragt immer: Muss das so sein oder kann man das nicht auch anders machen?“

2013 meldete sich der Plattenmulti Universal bei Omerbegovic. Man wolle viel Geld für die Rechte an einem von Omerbegovics Künstlern zahlen. Aber so läuft das nicht in dessen Welt. Omerbegovic gibt nicht gerne die Kontrolle ab. Fast ein Jahr zogen sich die Verhandlungen, am Ende begab sich der Multi in ein Joint Venture: Man schließt sich zusammen für eine Zeit, teilt die Erlöse, aber Omerbegovic behält die Rechte. Ein Deal, wie ihn Große mit Kleinen nur eingehen, wenn sie verzweifelt sind. Universal-Europachef Frank Briegmann scherzte nach dem Deal, Omerbegovic habe ihn nicht nur damit beeindruckt, „schon mittags sehr große Steaks in sehr kurzer Zeit zu essen. Sondern vor allem auch mit seiner strukturierten Denkweise und seiner klaren Vorstellung davon, wie die Zukunft der Musikindustrie aussehen sollte.“

„President of Rap“ nennt Universal seinen Neuzugang, der sagt, das Geschäft habe ihn finanziell in die „Safety-Zone“ gebracht. Ins Tagesgeschäft des Konzerns hat er sich dennoch nie integriert. „Ich habe viel über die Corporate-Welt gelernt dadurch, und ich bin definitiv kein Typ dafür.“ Unternehmen wissen nicht, was cool ist. Unternehmen wissen nicht, was lustig ist. Unternehmen kommen nicht damit klar, wenn ein Manager wie Omerbegovic ab dem späteren Abend wieder an seinem Schreibtisch sitzt und aus einem Tag zwei Arbeitstage macht. Entweder in seinem Büro in einem ganz und gar nicht glamourösen Düsseldorfer Geschäftshaus, wo einige Goldene Platten an den Wänden hängen, oder in seiner sehr schlichten Wohnung in einem sehr noblen Düsseldorfer Vorort, an deren Wände Pin-ups der Sorte betont ästhetisch hängen. Abends checkt Omerbegovic von dort die Zahlen des Tages. Albenverkauf, YouTube-Aufrufe, Likes auf Facebook. Läuft etwas nicht, seziert der Chirurg das Problem.

Erfolg lässt sich nicht erzwingen?

„Es gab viele Situationen in meiner Kindheit, in denen ich Existenzangst für meine Familie und mich empfunden habe“, sagt Omerbegovic. „Das waren unschöne Erfahrungen, aus denen ich gelernt habe, dass das Leben ein Kampf ist.“ Und dieser Kampf endet in so einer Weltsicht nicht.

Es geht immer weiter. „Wir hatten über unsere Musiker ziemlich Reichweite, die aber nicht annähernd erschöpfend vermarktet.“ So klingt das bei Omerbegovic, und so lernt er es in den Managementbüchern, die er in seinen schlaflosen Nächten verschlingt. Was nicht in den Büchern steht, sie aber ziemlich gut ergänzt: Er trifft den Geschmack junger Leute. Und rund um die baut er eine Verwertungskette auf. Fans kleiden sich gerne wie ihre Idole. Also hat Omerbegovic Pusher Apparel gegründet, eine Streetwear-Marke. Musikfans gehen gerne auf Festivals, also denkt sich Omerbegovic Suck-it aus, das alkoholische Wassereis, das sich auf Festivals verkaufen lässt. Schrömgens sagt: „Er hat ein echtes Gespür dafür, was Menschen mögen, er drückt da auf die richtigen Knöpfe.“

Und wenn eine Idee nur gegen Widerstände umgesetzt werden kann, dann wird sie eben gegen Widerstände durchgesetzt. Etwa das Ding mit den Alcopops auf Eis. Omerbegovic wollte was im Getränkebereich machen. Er traf sich mit einem Großbrauerei-Chef, man redete. Ideen trafen auf Vorbehalte, und irgendwann hatte der Düsseldorfer keine Lust mehr. „Der hat mich nicht verstanden, wie ich das produzieren und präsentieren wollte. Dann hab ich eben gesagt: Fuck it.“

„Elvir“, sagt ein Geschäftspartner, „ist direkt ehrlich, auch wenn es für andere dadurch unangenehm werden sollte.“

Die "Höhle der Löwen"

Im Fall des Eises riskiert Omerbegovic es dann eben selbst. Er trifft sich mit Marco Knauf, dem Gründer der Smoothie-Firma True Fruits. „Ich wollte eigentlich nur Geld geben, habe mich dann aber doch stärker engagiert als ursprünglich geplant“, sagt Knauf heute. Mittlerweile läuft das Geschäft ganz ordentlich, dieses Jahr hat sich der Eisabsatz verdoppelt, man macht siebenstelligen Umsatz. Omerbegovic lässt auch Werbung für das Eis schalten: „Lutsch meine Melonen“.

Äh ...?

Ein Abend im Herbst. Omerbegovic und Suck-it-Geschäftsführer Max Scharpenack treten in der Fernsehsendung „Die Höhle der Löwen“ auf. Dort dienen Gründer Investoren Teile ihrer Unternehmen an, um Kapital zu bekommen. Omerbegovic betritt die Szene in Jogginghose, T-Shirt, auf dessen Rücken „Billionaire Boys Club“ steht, und Sneakern. Er überlässt dem Geschäftsführer die Show. „Ich vermarkte Marken, nicht mich“, wird er später sagen. Erst als Juror Frank Thelen Zweifel an der Anzüglichkeit des Eisnamens äußert, mischt sich Omerbegovic ein: „Das ist rein deskriptiv zu verstehen.“ Thelen wirft sich weg vor Lachen.

Die Mischung aus dem anstößigen Namen und dem Alkoholgehalt des Produkts lässt die Juroren das Geschäftsmodell ablehnen. Aber unter jungen Menschen ist die Vox-Sendung ein Quotenbringer. Zehn Minuten Werbezeit in der Kernzielgruppe, kostenlos.

Eis Suck it Quelle: PR

Medien werden später über das „Porno-Eis“ berichten. Omerbegovic mag das nicht. Weggefährten und Geschäftspartner beschreiben ihn als gleichermaßen reflektiert wie stilsicher. Andererseits: Muss ein Wassereis so einen Namen haben? Muss man, wie auch geschehen, Hitler in Rap-Videos schneiden? Wo verläuft die Grenzen zwischen auffällig werden und ausfällig werden? Was Omerbegovic perfekt verinnerlicht hat: Wenn du Aufmerksamkeit willst, handele entgegen den Erwartungen. Wo er noch die richtige Formel sucht: Wie man dabei immer den richtigen Ton trifft. „Ich mag es, Produkte zu emotionalisieren“, sagt er. „Und ich habe keine Lust, Regeln zu befolgen. Dann geht der Spaß verloren.“

Noch mal zurück nach Köln. Omerbegovic möchte ein weiteres Video vorführen. Doch dann geht der Ton nicht, das Bild nicht, und irgendwann bricht das Video ab. Es läuft nicht nach Plan. Und der Mann, der immer vorgibt, keinen Plan zu haben, reagiert unwirsch, wenn es nicht nach Plan läuft. Er schimpft auf die Technik, auf die Organisatoren, und gerade, bevor die Stimmung kippt, läuft das Video. Omerbegovic lächelt.

Er begegnet Menschen mit Wärme und Großzügigkeit; das betonen alle in seinem Umfeld. Aber wenn es um seine Ansprüche geht, ist das verflogen. „Ich hab das zwar nur ein oder zwei Mal erlebt: Aber Elvir kann sehr hart sein“, sagt sein Kompagnon Knauf.

Akribie, er nennt es Fokus, prägt seine ganze Arbeit. Die zehn Jahre Musikbusiness hat der Mann, der sagt, er ginge unvorbereitet auf eine Bühne, in zig Ordnern und Dateien archiviert. Wenn Omerbegovic auf eine Veranstaltung geht, sieht er aus wie andere Menschen in der Freizeit, hat sich aber auf alle wichtigen Gäste akribisch vorbereitet. True-Fruits-Gründer Knauf sagt: „Wenn er etwas macht, will er es auch richtig machen.“ „Obsessive compulsive“ nennt man das. „Dinge, die mich nicht interessieren, will ich gar nicht anfassen. Deswegen bin ich sehr gut in Dingen, die mich interessieren“, sagt Omerbegovic. So entstehen Unternehmen nach Plan und ein gutes Netzwerk.

Nach dem Auftritt im Fernsehen übrigens haben sich eine Reihe Leute bei Omerbegovic gemeldet, die investieren würden in das Eis. Fonds, Private Equity, so was. Frisches Geld wäre nicht schlecht, Omerbegovic will das Eis nächstes Jahr auf den US-Markt bringen. Bisher sind dennoch alle abgeblitzt. „Wir suchen einen strategisch sinnvollen Partner, nicht einfach Geld.“ Aber das ist eben nicht so einfach. Zur Not muss er es so machen. Irgendjemanden jedenfalls kann man nicht nehmen, findet er: „Cool oder witzig zu sein kannst du schwer lernen.“

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