Eliten-Chronistin Friedrichs "Schockiert haben mich private Kindergärten"

Die 29-jährige Journalistin Julia Friedrichs über ihre verzweifelte Suche nach den Spitzenkräften von morgen, den Missbrauch des Elite-Begriffs und den fehlenden Zusammenhalt in der Gesellschaft.

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Die Journalistin Julia Friedrichs, 29, reiste durch die Eliten-Institutionen in Deutschland. Quelle: Gerrit Hahn

WirtschaftsWoche: Sie hatten vor zwei Jahren ein Angebot von McKinsey: 67.000 Euro plus Dienstwagen. Sie haben abgelehnt. Warum?

Friedrichs: Ich recherchierte damals über Unternehmensberatungen und bewarb mich bei McKinsey, um die Welt der Berater kennen zu lernen. Ich merkte schnell, dass das nicht meine ist. Der Aufnahmetest fand in Griechenland statt und immer wieder war von ‚Elite' die Rede: ‚Wir suchen Elite, wir bilden Elite, wir sind Elite’.

War das nur bei McKinsey so?

Nein. Bei McKinsey war das am offensichtlichsten. Bei den anderen hieß es nur anders: etwa ‚Ihr werdet Leader sein’.

Das ist doch nichts Verwerfliches, oder?

Grundsätzlich nicht. Aber die Art und Weise, mit welchem Selbstverständnis die Bewerber und auch viele Teilnehmer sich als Elite identifizierten, ist nicht meine. Die Welt wurde einfach in Verlierer und Gewinner unterteilt. Und dann hieß es: 'Sieh zu, dass Du zu den Gewinnern zählst'.

Das Thema hat Sie seitdem nicht mehr losgelassen. Sie sind durch Deutschland gereist, haben Institutionen wie die Bayerische Elite-Akademie, die European Business School, den Kindergarten Villa Ritz und das Internat Schloss Salem besucht. Haben Sie die Elite gefunden, die Sie gesucht haben?

Ich habe ja nicht nach der Elite gesucht, sondern wollte wissen, wie sich die, die Elite werden wollen, selber sehen. Und da habe ich so viele unterschiedliche Definitionen gehört, dass ich fast den Eindruck hatte, dass jeder den Begriff Elite so nutzt, wie er ihn braucht. Um sich selbst aufzuwerten, um sich von anderen abzugrenzen.

Es kann doch auch gut sein, wenn die Gesellschaft unverkrampfter mit dem Begriff Elite umgeht.

Das stimmt. Aber ich halte es für falsch, wenn der Begriff instrumentalisiert wird und für Marketingzwecke genutzt, zum Teil auch missbraucht, wird. In den vergangenen Jahren wurde der Begriff ständig wiederholt und jeder nutzt ihn anders. Eigentlich müssten die Schüler auf den Internaten von einer ‚Geld-Elite’ reden, stattdessen sprechen sie von einer ‚Verantwortungs-Elite’. Wenn man den Leistungsgedanken von der sozialen Herkunft abkoppeln könnte, wenn jeder weiß, dass wenn er sich besonders anstrengt, er eine Chance auf besondere Förderung bekommt, dann fände ich den Begriff Elite in Ordnung.

Also darf der Begriff gar nicht benutzt werden? 

Doch. Aber erst, wenn wir eine gesellschaftliche Debatte darüber geführt haben. Im Moment ist der Begriff nur ein Schlagwort, das in die Runde geworfen wird und viele Hintergründe verschleiert.

Wie würden Sie denn Elite definieren?

Der Beste in jedem Bereich, also eine reine Funktionselite. Wenn sich der Begriff darauf beschränkt, also dass die Besten auch nach Leistung gewertet werden, dann hätte ich damit kein Problem. Aber das sehe ich so nicht.

Haben Sie irgendwo die Elite gefunden, die Sie gesucht haben?

Am ehesten an der Bayerischen Elite-Akademie. Dort war zu spüren, dass sich die Leute wirklich Mühe bei der Auswahl geben, vielfältigste Kriterien anlegen und bewusst auch Leute nehmen, die nicht ins Schema passen, beispielsweise Kinder von Alleinerziehenden, die noch keine Praktika und keine Auslandsaufenthalte gemacht haben. Viele Studenten dort hatten aber Probleme mit dem Begriff, weil sie eben nicht so diesem klassischen Elitebild entsprachen. Ich hatte das Gefühl, man müsste die Studenten vor einem Stigma bewahren, also davor, dass sie sich ein Leben lang rechtfertigen müssten, warum sie Elite sind. Die Akademie bemängelte zudem, noch zu wenige ‚Spinner' und ‚Außenseiter' in ihren Reihen zu haben.

Und was hat Sie enttäuscht?

Am meisten schockiert haben mich einige private Kindergärten. Da werden zwei- bis fünfjährige Kinder speziell gefördert, um ihre langfristigen Erfolgschancen zu optimieren. Wenn die Eltern so viel Geld reinstecken, erhöht das den Druck auf die Kleinen. Kinder haben das Recht, Kinder zu sein und sind keine Anlagewerte, in die man Geld steckt und am Ende sollen die einen bestimmten Gewinn abwerfen. Wenn sie vom zweiten Lebensjahr an zudem nicht mehr mit ‚normalen' Kindern zusammen sind, haben sie irgendwann kein Verständnis mehr für die Probleme anderer. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Wenn sich das fortsetzt, dann fehlt der Gesellschaft jeglicher Zusammenhalt.

Was ist daran schlimm, wenn man seinen Kindern das Optimale will?

Zum einen bezweifle ich, ob das überhaupt optimal ist. Gegen eine Extra-Stunde Englisch oder Chinesisch ist natürlich nichts einzuwenden. Aber das Kind spürt, dass es eine Sonderrolle einnimmt, dass die Eltern für das Kind einen besonderen Weg planen. Und wenn das Kind die Erwartungen nicht erfüllt, bekommt es eventuell Probleme.

In Frankreich, England oder Amerika ist gezielte Eliteförderung Usus. Übertreiben Sie da nicht mit Ihrer Skepsis?

Auf das Ausland zu zeigen, ist zu kurz gesprungen. Die Franzosen etwa haben mit der Eliteerziehung massiv Probleme. Die Eliteschule ENA ist kürzlich von Paris nach Straßburg umgezogen, weil Frankreich Probleme hat mit Verfilzung und Vernetzung in Politik und Wirtschaft. Gerade die Franzosen schauen nach Deutschland und nach Skandinavien, wo es besser läuft. Die Briten haben auch Probleme, etwa sind die Kindergärten sehr teuer.

Dürfen 20-Jährige zur Elite gehören?

Nein. Man weiß ja gar nicht, ob ein 20-Jähriger gut ist, ob der was erreichen wird. Vielleicht macht er in seinem Leben auch kriminelle Sachen. Das Label Elite dürfte eigentlich eher am Ende eines Lebens vergeben werden, wenn jemand viel geleistet hat und etwas für die Gemeinschaft bewegt hat.

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