Bis zum Berliner Mauerfall hätte es für Hans-Jürgen Stöhr kaum besser laufen können. Nach dem Studium der Philosophie und Biologie in Ostberlin wechselte er in den 70er-Jahren zur Uni Rostock. 18 Jahre lang forschte und lehrte er dort – mit der Aussicht auf einen eigenen Lehrstuhl.
Doch dann kam die Wende – für Deutschland, aber auch für Stöhr selbst. Für Philosophen aus dem Osten gab es keine Lehrstühle mehr. Die bekamen neu angestellte Philosophen aus Westdeutschland. "In diesem Moment stand ich vor der Entscheidung, ob ich den Kopf in den Sand stecke oder mir neue Handlungsoptionen überlege", sagt Stöhr, der heute als Coach tätig ist.
Stöhr durchlebte das, was der deutsche Philosoph Karl Jaspers bereits vor fast 100 Jahren in seiner "Psychologie der Weltanschauungen" beschrieb: Menschen geraten in ihrem Leben immer wieder in Grenzsituationen, in denen ihre Grundüberzeugungen über den Haufen geworfen werden. "In unserem Dasein sehen wir hinter den Grenzsituationen nichts anderes mehr", schrieb Jaspers. "Sie sind wie eine Wand, an die wir stoßen, an der wir scheitern."
Diese guten Vorsätze hatten die Deutschen für 2016
Seit Jahren führt der gute Vorsatz "Stress vermeiden oder abbauen" die Liste der guten Vorsätze bei den Deutschen an. 2016 wollten 62 Prozent Stress reduzieren. In den vergangenen Jahren wollten das 60 beziehungsweise 57 Prozent. Offenbar hat es bis dato also nicht so geklappt mit dem Neujahrsvorsatz.
Quelle: Forsa-Umfrage im Auftrag der DAK
Ebenfalls seit Jahren hoch im Kurs: Im neuen Jahr mehr Zeit mit der Familie beziehungsweise mit Freunden verbringen. Für 2016 hatten sich das 61 Prozent vorgenommen. In den letzten Jahren waren es 55 Prozent (2015) und 54 Prozent (2014).
Der Klassiker: Im nächsten Jahr wird sich endlich mehr bewegt: Statt mit dem Auto geht es mit dem Fahrrad zur Arbeit, im Büro nimmt man die Treppe statt dem Lift und am Wochenende wird gejoggt. Das planten 59 Prozent. Vermutlich war es kurz nach Vertragsabschluss mit dem Fitness-Studio aber auch schon wieder vorbei mit der Euphorie. Schließlich wollten die Deutschen schon die letzten Jahre mehr Sport treiben.
Außerdem sollten im letzten Jahr bei 51 Prozent die eigenen Bedürfnisse stärker beachtet und man selbst mehr in den Vordergrund gerückt werden. Für 2015 hatten das 48 Prozent geplant und auch schon 2014 wollten sich 47 Prozent der Deutschen endlich mehr Zeit für sich selbst nehmen. Hat offenbar nicht geklappt.
Ebenfalls 51 Prozent wollten sich 2016 gesünder ernähren.
Gewicht reduzieren wollten 35 Prozent. Auch das Bedürfnis nach einer schlankeren Taille ist über die Jahre eher noch gestiegen: 2015 war "abnehmen" der Neujahrsvorsätze von 34 Prozent der Deutschen, 2014 wollten nur 31 Prozent abspecken.
31 Prozent wollten im letzten Jahr weniger Geld ausgeben.
18 Prozent hatten sich vorgenommen, öfter mal die Glotze auszulassen.
16 Prozent wollten weniger Zeit mit dem Starren auf irgendwelche Bildschirme und der Nutzung sozialer Netzwerke verbringen.
Das Bierchen zum Feierabend, der Wein zum Abendessen und am Wochenende ein paar Cocktails mit Freunden: 14 Prozent wollten weniger Alkohol trinken.
Noch ein Klassiker zum Schluss: Zehn Prozent wollten 2016 mit dem Rauchen aufhören.
Auch wenn Jaspers' Theorie über das Scheitern mittlerweile ein Jahrhundert alt ist, so ist sie laut Stöhr und der Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, Andrea Abele-Brehm, heute noch gültig. Egal ob beruflich oder privat: Auch heute noch stoßen Menschen in ihrem Leben im übertragenen Sinn an eine Wand. Die Ziele, die sie sich gesetzt hatten, können sie nicht mehr erreichen – sie scheitern.
Die Gründe dafür können vielfältig sein, weiß Abele-Brehm: "Manchmal scheitern Menschen, weil sie sich überschätzen, es nicht wahrhaben wollen und deshalb die Augen vor der Realität verschließen. Manchmal sind auch einfach die äußeren Bedingungen ungünstig, ohne dass sie dafür verantwortlich sind."
Hinzu kommt: "Gerade technische Entwicklungen verlangen uns immer häufiger komplexe Entscheidungen ab und stellen uns vor neue Herausforderungen", sagt Stöhr. Ein simples Beispiel: Etwa 4000 Gegenstände gibt es laut Stöhr in einem durchschnittlichen Haushalt. Schon nach dem Aufstehen bedienen wir gleich mehrere zur gleichen Zeit: die Kaffeemaschine, den Toaster, den Herd, die Spülmaschine – und verlieren so schnell den Überblick.
Dann kann es durchaus passieren, dass die Kaffeemaschine weiter läuft und der Herd an bleibt, obwohl man schon längst das Haus verlassen hat. Mehr Entscheidungen bergen auch mehr Fehlerquellen.
Scheitern ist immer noch ein Tabu-Thema
Genauso wenig wie an der Gültigkeit von Jaspers' Theorie aus dem Jahr 1919 hat sich etwas an der Einstellung der Gesellschaft zum Scheitern hierzulande geändert. Während es in den USA sogar reihenweise Kongresse zum Thema Scheitern gibt, wird in Deutschland höchstens unter vorgehaltener Hand über dieses Thema gesprochen. "Die gesellschaftlichen Normen sind darauf ausgelegt, dass wir uns als kluge und durchsetzungsstarke Menschen zeigen", sagt Abele-Brehm.
Das sind die Top-Karriereziele der Deutschen für 2016
Mehr als ein Drittel der Deutschen haben sich zum Ziel gesetzt, nach Feierabend besser abzuschalten, um sich ihrem Privatleben widmen zu können. Das ist das Ergebnis der Studie „Karriereziele 2016“ des Personaldienstleisters ManpowerGroup Deutschland.
Mehr Gelassenheit im Job nehmen sich 32 Prozent vor. Sie wollen ihre Arbeit künftig lockerer nehmen.
17 Prozent wollen 2016 effizienter arbeiten.
15 Prozent wollen weniger arbeiten, um mehr Freizeit zu haben. Ebenfalls 15 Prozent gaben an, im kommenden Jahr den Arbeitgeber wechseln zu wollen.
Jeweils zwölf Prozent gaben an, die Zusammenarbeit mit den Kollegen verbessern zu wollen und ihre eigenen Kompetenzen selbstbewusster präsentieren zu wollen.
Elf Prozent wollen sich 2016 im Job stärker engagieren.
Jeweils zehn Prozent gaben an, im kommenden Jahr mehr Zeit in ihre Karriere investieren zu wollen beziehungsweise ein Studium oder eine Ausbildung beginnen/fortzuführen zu wollen.
Jeweils neun Prozent wollen mehr netzwerken beziehungsweise sich neben dem Job weiterbilden.
Sieben Prozent wollen sich um eine Beförderung bemühen.
Jeweils fünf Prozent wollen im kommenden Jahr innerhalb ihres Unternehmens die Position wechseln beziehungsweise eine berufliche Auszeit nehmen.
Da bleibt kein Raum fürs Scheitern. "Wer einmal scheitert, dem wird oftmals nachgesagt, dass er es einfach generell nicht drauf hat", sagt Coach Sandra Masemann. Nach ihrer Meinung greifen in Deutschland auf diese Weise relativ schnell und gnadenlos Abwertungsmechanismen: Die gesamte Person werde in Frage gestellt und der soziale Status herabgestuft.
Auch deshalb taten sich ihrer Meinung nach die Top-Manager des Volkswagenkonzerns so schwer, Fehler rund um den Abgas-Betrug öffentlich zuzugeben. Die Unternehmenskommunikation in der Diesel-Affäre wird aus ihrer Sicht dem Autobauer nachhaltig schaden. "Wer immer nur das preisgibt, was er sowieso nicht mehr leugnen kann, dem vertrauen die Menschen nicht mehr", sagt Masemann.
So gehen Sie am besten mit Niederlagen um
Besser gemacht hat es in den 90er-Jahren Mitbewerber Daimler, der in die Schlagzeilen geriet, weil die Mercedes-A-Klasse beim sogenannten Elch-Test auf die Seite kippte. Zwar stürzte sich die Presse auf diesen Skandal, Daimler reagierte darauf – im Gegensatz zu VW – mit einer offensiven Werbekampagne mit dem Slogan: "Stark ist, wer keine Fehler macht. Stärker, wer aus seinen Fehlern lernt." Der Konzern bekannte sich nicht nur zum Scheitern, sondern hielt die Öffentlichkeit auch auf dem Laufenden darüber, wie er den Fehler beheben konnte. Obwohl das Unternehmen zunächst gescheitert war, wurde daraus im Nachhinein keine Niederlage, sondern ein Sieg.
Für Stöhr gehören das Scheitern und der Erfolg unmittelbar zusammen. "Im Erfolgreich-Sein steckt auch die Gefahr des Scheiterns. Gleichzeitig kann das Scheitern aber auch die Quelle des Erfolgs sein", meint der Philosoph. Denn: Nur wer bereit ist, zu scheitern, wird sich weiterentwickeln und so lernen, erfolgreich zu sein – so wie es bereits der irische Schriftsteller Samuel Beckett formulierte: "Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Versuche es wieder. Scheitere besser."
Natürlich steht am Anfang des Versagens erst einmal die Enttäuschung, vielleicht auch die Wut – aber vor allem die Scham gegenüber dem Umfeld. "Die Menschen brauchen in dieser Situation erst einmal Zeit, die negativen Emotionen zu verarbeiten", sagt Abele-Brehm.
Doch anstatt unbeirrt fortzufahren und die Niederlage zu verdrängen, sollten die Betroffenen laut Abele-Brehm ihr Scheitern nach der emotionalen Verarbeitung auf ehrliche Weise analysieren – allein, aber auch mit Freunden oder Familienmitgliedern. "Man sollte sich darüber im Klaren werden, wie es dazu kommen konnte, inwieweit man selbst dafür verantwortlich ist und wie man es beim nächsten Mal besser macht."
In manchen Fällen gelingt es sogar, dass endgültige Scheitern noch kurzfristig abzuwenden. Denn Menschen versagen nicht von heute auf morgen. Wenn sie eine Niederlage erleben, ist dieser laut Stöhr ein schleichender Prozess vorausgegangen, der verschiedene Phasen durchläuft.
In den meisten Fällen, weiß Stöhr, deutet sich der potenzielle Misserfolg bereits unterschwellig an – der Betroffene ist vielleicht etwas unsicher, aber er nimmt die Gefahr noch nicht bewusst als ein mögliches Scheitern wahr. Dann, in der nächsten Phase, registriert er das potenzielle Scheitern. Die dritte ist die Entscheidungsphase, in der die Weichen für das zukünftige Handeln zu stellen sind. Die zwei Grundoptionen sind: "Halte ich weiter an meinem Ziel fest – weil ich beispielsweise schon Zeit und Geld investiert habe? Oder gebe ich das Ziel auf und stelle neue Weichen, verliere dabei allerdings die bereits eingesetzten Ressourcen?"
Als Stöhr nach der Wende in der DDR selbst vor dieser Entscheidung stand, entschied er sich für die zweite Option: Er verließ die Uni, absolvierte eine Management-Ausbildung, machte sich als Trainer selbstständig und gründete seine "Philosophische Praxis" – mit der er heute noch erfolgreich ist.