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Liegt in der Share Economy die letzte Chance zur Herrschaft aller über die Produktionsmittel? Oder gibt ausgerechnet der digitale Plattform-Kapitalismus der solidarischen Gesellschaft den Rest? Ein Blick in die Kugel von Dieter Schnaas

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App von Uber Quelle: dpa

Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst der Share Economy. Es tritt (noch) nicht wirklich als realwirtschaftliche Tatsache in Erscheinung. Aber es geistert als Ideologie schon mächtig durch die Köpfe der Zukunftsdeuter. Um die Herrschaft über den Begriff streiten sich auf der einen Seite grüne Nachhaltigkeitsfreunde und netzromantisch bewegte Nerds, die im Teilen von Files und Creative Commons das bessere Haben erblicken. Sie schwärmen von Zugang, Mitsprache, Transparenz und Emanzipation – und erblicken im „What’s mine is yours“ die Chance, die Herrschaft aller über die Produktionsmittel zu erreichen und damit (endlich!) den Kapitalismus zu überwinden. Sie träumen von einer dezentralen Welt der schlanken Technologien und billig vernetzten Kommunikation (Smartphone-Apps), in der sich lauter Selbst-Unternehmer und Ich-Konsumenten wechselseitig ins Fußballstadion fahren, mit Strom vom Hausdach versorgen und ihre selbst ausgedruckten Wohnungen tauschen.

Auf der anderen Seite haben wir es mit Deregulierungspredigern alter Schule zu tun, die sich von Internet-Plattformen wie Uber (Vermittlung von Fahrten) und Airbnb (Vermittlung von Wohnraum) frischen Innovationswind versprechen. Sie schelten den bürokratischen „Verbotsstaat“, freuen sich über jeden Angriff auf „verkrustete Strukturen“ am Arbeitsmarkt und sehnen sich im Namen des Wettbewerbs den Todesstoß für alles zünftig Organisierte herbei. Die kreative Freiheit von Jungunternehmern, die Regeln brechen und alte Geschäftsmodelle zerstören, geht ihnen über alles: Joseph Schumpeter lebe hoch!

Man sieht: Beide Denkbewegungen zeichnen sich vor allem durch Überspanntheit aus. Spätestens seit dem NSA-Skandal wissen wir, dass das Netz kein digitaler Kirchentag ist, auf dem sich lauter Wohlgesinnte ihrer St.-Martins-Solidarität versichern, sondern ein konzernkapitalistischer Machtraum, in dem es um die marktferne Konzentration von Kundendaten geht. Was also kommt tatsächlich auf uns zu? Worauf haben wir uns einzustellen? Eine Antwort in fünf Thesen.

Fünf Thesen zur Share Economy

1. Share Economy heißt: Privatisierung und abnehmende Sichtbarkeit ökonomischer Transaktionen. Plattformen, die Privatkunden vernetzen, vermitteln ein Geschäft zwischen zwei Ich-AGs, die an keine branchenüblichen Qualifikationsniveaus gebunden sind. Dafür streichen die Betreiber eine Provision ein, während es dem Staat überlassen bleibt, die (steuerliche) Rechtmäßigkeit des Geschäfts zu kontrollieren. Das läuft einerseits auf einen Machtzuwachs der intermediären Ebene hinaus: Die Plattformen vermitteln, ohne verantwortlich zu sein – und werden eben dafür vom Kunden gemocht. Und das hat andererseits einen Macht- und Ansehensverlust des Steuerstaates, der Gewerkschaften und der Industrieverbände zur Folge: Die Verbindlichkeit institutionell verankerter Regeln erodiert – Regularien werden vom Kunden nur noch als Störfaktor wahrgenommen.

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2. Plattform-Unternehmen behaupten: „Wir sind besessen vom Kunden.“ Das ist ehrlich. Denn besessen von Produzenten und Mitarbeitern sind die meisten Digitalhändler nicht. Musiker schimpfen über kleine Honorare, Schriftsteller fürchten die Flat-Tax für Bücher, Uber-Fahrer begehren gegen Minilöhne auf. Entspricht also das Wohl des Kunden im Plattform-Kapitalismus dem Wehe von Angestellten und Content-Lieferanten? Sicher ist, dass sich der Zielgruppenkonflikt zwischen Wirtschaft und Politik verschärfen wird. Politik kennt keine Kunden. Sie ist Bürgern verpflichtet.

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3. Der Verbilligung des Konsums entspricht die Verbilligung der Arbeit. Beispiel Crowd Sourcing. Auf Internet-Plattfomen wie Freelancer, Clickworker oder Amazons Mechanical Turk werden Tätigkeiten angeboten und gekauft. Für den klassischen Arbeitgeber bedeutet das: Er kann schnell und preiswert auf Know-how und Ressourcen zugreifen, muss keine Gebäudekosten, Steuern, Rentenbeiträge zahlen. Der Vorteil für den Ich-Unternehmer: Er verdient sich was dazu, stellt sein Können unter Beweis und arbeitet selbstbestimmt – theoretisch. Denn klar ist auch: Die Konkurrenz schläft nicht und könnte sein Angebot unterbieten.

4. Führt also die Share Economy dazu, dass sich der Niedriglohnsektor ins Reich der Akademiker ausbreiten wird? Dagegen sprechen die Demografie und der Fachkräftemangel. Eher wird sich die Kluft zwischen zwei Klassen von Beschäftigten vergrößern. Zwischen dem Sonnendeck-Arbeitnehmer, der in einem Konzern beschäftigt ist, reichlich Geld verdient und den Smartphone-Kapitalismus als Freiheitsgewinn genießt. Und dem Maschinenraum-Arbeitnehmer, der sich täglich als Ware seiner selbst zu Markte trägt, mit anderen Ich-Unternehmern in einem ruinösen Wettbewerb steht und die digitale „Freiheit“ als alltäglichen Zwang empfindet.

5. Die Plattformen sind in diesem Spiel paradoxerweise allgegenwärtig und unsichtbar zugleich. Sie eröffnen ihren Kunden rund um die Uhr Zugänge und enthalten sich ansonsten jeder Teilnahme. Sie sind das Medium, das an allen Kollektivinteressen vorbei eine Verständigung zwischen Ichlingen ermöglicht. Für den Maschinenraum-Arbeitnehmer heißt das auch, nicht mehr Teil einer sozialen Gruppe (der Belegschaft) zu sein. Er ist in der Share Economy der Ich-Unternehmer, der mit seinen Konkurrenten nur noch eines teilt: die Sorge um den nächsten Auftrag.

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