Freiheit findet jeder gut. Niemand sagt, dass sie verzichtbar ist. Aber die Freie Demokratische Partei halten offensichtlich viele für verzichtbar. Ihre Wahlkatastrophe ist vielleicht auch dadurch zu erklären, dass die Freiheit des Produzierens und Konsumierens, für die sie steht, sehr viel von ihrer politischen Attraktivität eingebüßt hat.
Im Zeitalter des Burnout empfinden viele freiheitsliebende, gebildete, gut verdienende Menschen das Erwerbsleben nicht mehr in erster Linie als Raum der Entfaltung eigener Fähigkeiten, sondern als Zwangssystem, das sie einem zunehmenden Druck zur dauernden Anpassung an immer höhere Anforderungen unterwirft. Auch die Konflikte um die Erweiterung des Frankfurter Flughafens und andere große Infrastrukturprojekte zeigen, dass die Freiheit zur ökonomischen Expansion in einer begrenzten Welt von immer mehr Bürgern als Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit empfunden wird.
Selbst der Konsum wird – erst Recht in der Vorweihnachtszeit – von vielen nicht mehr als Akt gelebter Freiheit empfunden, sondern als endloses Hase-und-Igel-Rennen, das nie zu gewinnen ist. Werbung und das Vorbild der Nachbarn schaffen immer neue Begierden. „Keeping up with the Joneses“, nennt man das in den USA: Die Jones von nebenan haben immer ein größeres Auto, ein schickeres Sofa, eine bessere Espresso-Maschine. Die Freiheit, aus einer immer weiter wachsenden Zahl von Konsummöglichketen wählen zu dürfen, wird so schnell „lächerlich“, wie Norbert Bolz in seinem „Konsumistischen Manifest“ schreibt.
Das triste Warenangebot der realsozialistischen Mangelwirtschaft wünscht sich niemand zurück. Neue Konsummöglichkeiten sind zunächst immer verlockend. Aber ihre befriedigende Wirkung verpufft schnell, wenn sie nur als Kompensation für den Verlust an Zeit und Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes "gutes Leben" wahrgenommen werden.
Viele mündige, gebildete Bürger, die wohlhabend genug sind, um den Zucker des Konsums ausgiebig gekostet zu haben, empfinden ein deprimierendes Völlegefühl. Sattheit breitet sich in westlichen Gesellschaften aus: Es ist genug.
„Suffizienz“ lautet das neue Zauberwort, Genügsamkeit. Einer der erfolgreichsten Vordenker der Suffizienz ist der britische Ökonom Robert Skidelsky, der gemeinsam mit seinem Sohn Edward, einem Philosophieprofessor, den Bestseller „Wie viel ist genug?“ geschrieben hat. Es ist nur eines von immer zahlreicher werdenden Büchern, die den Weg „Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens“ aufzeigen.
Was ein „gutes Leben“ genau ist, muss natürlich jeder für sich selbst herausfinden. Glaubt man dem Soziologen Hartmut Rosa, so empfinden die meisten Menschen „Resonanzerfahrungen“ als die zentrale Voraussetzung eines „guten Lebens“: Sich in Beziehung zur Welt, zur Natur und vor allem zu anderen Menschen erleben. Den Test darauf kann jeder machen, der sich mit alten Menschen unterhält, die auf ihr Leben zurückblicken. Sie berichten, wenn man sie nach den positiven Höhepunkten ihres Lebens fragt, meist nicht von ihren Autos oder von der ersten Million, die sie erwirtschafteten, sondern von der ersten Liebe oder Erlebnissen mit ihren Kindern.
Politisch bedeutsam ist nicht das individuelle Glück, sondern das kollektive. Und das scheint durchaus genügsam zu sein. Die Zufriedenheit der Menschen in einer Gesellschaft steigt ab einem gewissen Wohlstandsniveau mit weiterem Wirtschaftswachstum und zusätzlichem Konsum nicht weiter. Das sogenannte "Easterlin-Paradox" ist durch unzählige sozialwissenschaftliche Untersuchungen belegt. Dieses Niveau haben wir in den westlichen Industrienationen vermutlich schon seit Jahrzehnten überschritten. Das Wachstum des BIP hat jedenfalls, wie eine Umfrage des DIW zeigt, keinen Einfluss mehr auf die Lebensqualität der Deutschen.
Eine Politik der Genügsamkeit hätte nicht mehr Wachstum um des Wachstums Willen zum Ziel, sondern Entfaltungsmöglichkeiten für ein „gutes Leben“, das weder das Leben der anderen noch die Ressourcen der Natur beschädigt. Eine genügsame Politik bedeutet daher nicht Verzicht, sondern eher das Abschütteln eines Zwanges und den Rückgewinn von Freiheit. Eine solche Politik würde Porsche nicht verbieten, immer breitere SUVs herzustellen, die den Fahrern kleiner Wagen den Parkraum nehmen, aber sie würde für Rahmenbedingungen sorgen und für ein gesellschaftliches Klima streiten, in dem die Produktion solcher Wagen nicht attraktiv ist. Sie würde vor allem den Flächenverbrauch drastisch einschränken, weil eine zersiedelte Landschaft nicht nur hässlich ist, sondern auch weniger Raum für Naturerfahrung lässt.