Viel Platz für Daten, hübsch anzusehen, einfach zu bedienen: Als Tony Fadell vor gut 15 Jahren Steve Jobs die Idee für ein kleines, leichtes digitales Speicher- und Abspielgerät für Musik vorstellte, das bald als iPod millionenfach verkauft werden sollte, legte er die Basis für die Umwälzung des Musikgeschäfts – und die Transformation Apples vom Computerhersteller zum erfolgreichsten Unterhaltungselektronikhersteller der Welt.
Geht es nach dem heute 45-jährigen Ingenieur, könnte sich die Geschichte wiederholen – auf dem Energiesektor.
Der Auslöser: Als Fadell vor einigen Jahren einen Heizungsregler in seinem Energiesparhaus am Lake Tahoe installierten wollte, stellt er fest: Die existierenden Produkte waren alles andere als bedienerfreundlich. Also gründete Fadell im Mai 2010 mit seinem Ex-Apple-Kollegen Matt Rogers NestLabs.
3,2 Milliarden Dollar Kaufpreis
Das wichtige Produkt des Startups: ein einfach zu bedienender und selbstlernender Heizungsregler, der sich an die Temperatur-Vorlieben seiner Besitzer anpasst. Statt durch eine Armada von Knöpfen wird das Gerät über einen Ring gesteuert und zeigt die eingestellte Temperatur klar und deutlich auf seinem runden Display an.
Trotz eines stolzen Preises von 250 Dollar fand Fadells Idee viele Käufer in den USA – darunter einen mit besonders tiefen Taschen: 3,2 Milliarden Dollar bezahlte Google Mitte Januar für das Start-up – für den Internet-Riesen die Eintrittskarte in den Markt für Heimautomatisierung, der durch Internet und Smartphones gerade neu definiert wird – von intelligenten Heizungsreglern über Rauchmelder bis hin zu fernsteuerbaren Türschlössern.
Das gilt nicht nur in dieser Branche. Ob Luftfahrtgesellschaften, Banken oder Handelskonzerne: Die digitale Transformation stellt unsere tradierten Vorstellungen von Wirtschaft mehr und mehr auf den Kopf – vergleichbar mit den ökonomischen, sozialen und politischen Umwälzungen der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert. Längst geht es nicht mehr darum, mit Kollegen oder Kunden über soziale Netzwerke auf Augenhöhe und in Echtzeit zu kommunizieren. Auch sind es nicht nur traditionelle Buchhändler, Plattenläden, Supermärkte oder Textilketten, deren Existenz durch den Siegeszug des Online-Marktplatzes Amazon gefährdet ist.
Alle Bereiche erfasst
Die digitale Revolution hat alle Branchen ergriffen und ist dabei, in Windeseile alle Glieder der Wertschöpfungskette von Unternehmen zu verändern – vom Vertrieb übers Marketing bis zur Produktion und Personalauswahl, vom Konzern über den Mittelständler bis zum Handwerker vor Ort.
Der Umsatz mit Produkten, die verknüpft sind mit der Erfassung, Speicherung und Auswertung großer Mengen digitaler Daten wird laut IT-Branchenverband Bitkom in diesem Jahr auf 73,5 Milliarden Euro wachsen – ein Plus von 66 Prozent gegenüber dem Vorjahr, 2016 sollen Geschäfte mit Big-Data-Produkten mehr als 160 Milliarden Euro erlösen. „Es gibt mittlerweile kein IT-Projekt mehr, in dem wir mit dem Kunden nicht über die Cloud sprechen“, sagt Reinhard Clemens, CEO von T-Systems.
Gleichzeitig ist durch die digitale Revolution laut einer Untersuchung der Universität Oxford in den USA fast jeder zweite Arbeitsplatz bedroht. „Die digitale Transformation ist wie ein reißender Strom“, sagt Roman Friedrich von der Unternehmensberatung Strategy&, „Wer mitschwimmt, kann weit kommen, wer sich sträubt oder in die Gegenrichtung möchte, läuft Gefahr, unterzugehen.“
Treffen kann es alle: Selbst für Handelsriesen wie den 1949 gegründeten und als Katalogversender groß gewordenen Otto-Konzern, der heute die Hälfte seiner zwölf Milliarden Euro Umsatz über seine mehr als 100 Online-Shops erwirtschaftet, ist nicht ausgemacht, ob er gegen junge Konkurrenten wie Zalando oder Amazon bestehen kann.
Hilflose Dinosaurier
Auf das Aufweichen scheinbar in Stein gemeißelter Branchengrenzen und Regeln reagieren die Branchendinosaurier zunehmend mit Aktionen, die vor allem ihre Hilflosigkeit deutlich machen: Im vergangenen Sommer etwa verhüllten Einzelhändler aus Tönnisvorst am Niederrhein aus Protest gegen die wachsende Online-Konkurrenz einfach ihre Schaufenster mit schwarzer Folie.
Oder sie berufen sich auf den Schutz durch althergebrachte Gesetze, die der digitalen Transformation kaum mehr gerecht werden – wie jüngst die Taxilobby im Kampf gegen Start-ups wie den Limousinenservice Uber oder etablierte Hotelketten, die sich gegen neue Konkurrenten wie Online-Wohnraumvermittler Airbnb wehren.
Dass es auch anders geht, zeigt Schrauben- und Werkzeughändler Adolf Würth – der 79-Jährige, der aus der Hinterhofwerkstatt seines Vaters einen Milliardenkonzern geformt hat, gilt nicht nur selbst als ständiger Nutzer elektronischer Medien. Er hat vor Kurzem seine 30.000 Vertriebler mit Tablet-Computer ausgestattet. Auf diesen können sie ihren Kunden vor Ort die stets aktuellste Variante der Produktpalette vorführen und bei Bedarf direkt im Netz bestellen.
Das Motto: In 60 Sekunden bestellen, in 60 Minuten liefern.
Wie Ihr Unternehmen digital fit wird
Machen Sie die Digitalstrategie zur Chefsache. Entwickeln Sie ein Gespür dafür, wie sich veränderte Kundenerwartungen auf Ihr Geschäft auswirken. Transportieren Sie dieses Bewusstsein ins Unternehmen.
Wie sieht Ihr Unternehmen in fünf Jahren in einer digitalisierten Welt aus? Machen Sie sich klar, wie Sie künftig mit Kunden interagieren, welche Innovationen Sie bis dahin eingeführt und wie sich Ihre internen Prozesse geändert haben müssen.
Sobald Sie Ihre Strategie entwickelt haben, starten Sie mit der Umsetzung – mit kleinen, schnellen Schritten und überschaubaren Projekten. Schaffen Sie Inseln mit optimiertem organisatorischem, technologischem und kulturellem Rahmen – inklusive neuer Anreizsysteme, die die Ziele Ihrer Digitalstrategie unterstützen.
Messen Sie die Effekte Ihrer Projekte, und kommunizieren Sie Erfolge nach innen und außen.
„Das Besondere an der Transformationsphase, die wir gerade durchleben, ist nicht der technologische Wandel vom analogen ins digitale Zeitalter, sondern die Geschwindigkeit, mit der sich die Dinge verändern“, sagt Karl-Heinz Land, Gründer der auf digitale Transformation spezialisierten Unternehmensberatung Neuland. Habe es im 19. und 20. Jahrhundert noch Jahrzehnte gedauert, bis sich grundlegende Transformationen sichtbar durchgesetzt hätten, vollzögen sich diese heute innerhalb weniger Jahre. „Unternehmen, die jetzt den Anschluss verpassen, werden den Rückstand nicht mehr aufholen und riskieren den Untergang.“
Digitaler Reifegrad
Das zeigt auch ein Blick auf den Digital Readiness Index (DRI), den das Beratungsunternehmen Neuland entwickelt hat, um den digitalen Reifegrad einzelner Branchen deutlich zu machen, den sie anhand von 150 unterschiedlichen Faktoren analysiert hat: Während etwa die Automobilbranche den Wandel schon recht weit vorangetrieben hat, hinken in der Industrie viele Unternehmen hinterher.
„Die Digitalisierung aller Lebens- und Wirtschaftsbereiche vollzieht sich in atemberaubendem Tempo. Die Zukunft unseres Landes hängt mit davon ab, wie die Gesellschaft diese digitale Revolution annimmt. Wir wollen die Chancen auf Innovation, Fortschritt und neue Beschäftigung nutzen und Deutschland zu einem führenden digitalen Standort in Europa ausbauen“, sagt Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur und Schirmherr des Digital Transformation Awards, den die WirtschaftsWoche aus der Taufe gehoben hat, um gemeinsam mit prominenten Partnern wie den Beratungsunternehmen Strategy& oder T-Systems sowie einer hochkarätigen Jury die besten digitalen Projekte und Strategien von Unternehmen in Deutschland auszuzeichnen.
Wer die Zeichen der Zeit erkannt und die digitale Initiative ergriffen hat, wer hinterherhinkt und kurz davor ist, Opfer des digitalen Darwinismus zu werden, oder vom digitalen Tsunami bereits überwältigt wurde.
Pharmabranche: Bayer hui, Grünenthal pfui
Vorreiter Deutschland: Bayer
Alle Proteine einer Kartoffel analysieren, Eigenschaften von Bakterien erforschen oder die Daten des menschlichen Erbguts komplett erfassen: Forscher bei Bayer haben verschiedenste Aufgaben zu bewältigen, um den Pflanzenschutz voranzutreiben, die Qualität von Saatgut zu verbessern oder neue Medikamente gegen Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer zu entwickeln. Studien, bei denen Unmengen von Daten anfallen.
„Diese Datenmengen müssen wir bewältigen“, sagt Bayer-Manager Felix Reichel, „um zielgerichtet zu forschen und zufällige Experimente zu vermeiden, um so einen Mehrwert für unser operatives Geschäft zu schaffen.“
Also hat der Pharma- und Chemiekonzern nicht nur seine Rechenzentren leistungsfähiger gemacht und Forscher besser untereinander vernetzt, sondern auch begonnen, IT-Spezialisten in Biowissenschaften zu schulen. „Die Grenzen zwischen IT und Forschung verschwimmen“, sagt Reichel.
Zum Beispiel über das Programm IT4omics, in dem Fachleute aus drei verschiedenen Sparten Wissenschaftler mit maßgeschneiderten IT-Lösungen dabei unterstützen, etwa Gene und Proteine von Pflanzen und Menschen zu erforschen. „Ohne diese hochkomplexen, digitalen Analysewerkzeuge und organisationsübergreifende Zusammenarbeit“, sagt Reichel, „wäre zeitgemäßes Arbeiten für unsere Forscher gar nicht mehr möglich.“
Das gilt auch für eine wichtige Klientel des Leverkusener Konzerns – die Landwirte. Die können über eine Bayer-App nicht nur einen Blick aufs kommende Wetter werfen – es gibt auch Tipps zum Einsatz von Düngemittel oder Saatgut.
Und wenn trotzdem eine Frage bleibt? „Dann“, sagt Bayer, „ist der nächste Vertriebsmitarbeiter nur einen Knopfdruck entfernt.“
Nachzügler Deutschland: Grünenthal
Vergangenen Herbst holte das Unternehmen die Vergangenheit wieder einmal ein – diesmal jenseits der deutschen Grenzen: 204 Millionen Euro sollte Grünenthal an 180 Spanier zahlen, die Grünenthal in Madrid verklagt hatten. Der Vorwurf: Der Konzern habe auch in Spanien Medikamente mit dem Contergan-Wirkstoff Thalidomid vertrieben, obwohl er von der Schädlichkeit gewusst habe.
„Nachlässiges Verhalten“, so das Urteil der Richterin, die den Opfern Entschädigung zubilligte: 20.000 Euro musste der Mittelständler aus der Nähe von Aachen einigen Klägern bezahlen – pro Prozentpunkt ihrer Behinderung, die diese vor Jahrzehnten durch das zweifelhafte Medikament mit dem schädlichen Wirkstoff erlitten hatten.
Neben dem finanziellen Schaden auch ein Kommunikations-GAU für die westfälischen Pillendreher: Nicht einmal eine Pressemitteilung zum Urteil findet man auf der Homepage, geschweige denn Infos auf Twitter, Facebook oder YouTube, wo sich seit Jahren Interessengruppen über die Politik des Unternehmens beschweren. Auf diesen Kanälen, die für das Gros der Konkurrenten längst zum kleinen Einmaleins zeitgemäßer Kommunikation zählen, ist Grünenthal schlicht nicht vertreten.
Einziges Zugeständnis ans digitale Zeitalter: ein paar Podcasts, aufgenommen in holprigem Englisch – zum Schmerzgedächtnis oder einem Stipendium für junge Wissenschaftler, die zum Thema Schmerz forschen.
Pionier International: 23andMe
Was etablierte Konkurrenten wie Bayer als Zukunft der Medizin beschreiben, ist für Anne Wojcicki längst Realität – und lukratives Geschäftsmodell: Die Gründerin des kalifornischen Start-ups 23andMe setzt seit acht Jahren auf den wachsenden Wunsch von Patienten, Medikamente und ärztliche Behandlungen genau auf ihre Bedürfnisse zuschneiden zu lassen.
Voraussetzung für solch personalisierte Gesundheitsservices: ein Gentest, der Patienten, Ärzten und Pharmaunternehmen eine genaue Vorstellung davon vermittelt, wie es um die körperliche Konstitution einer Person bestellt ist. Und auf Basis von Speicheltests herausfindet, ob ein erblich bedingtes erhöhtes Risiko vorliegt, an Krankheiten wie Alzheimer oder bestimmten Krebsarten zu erkranken.
Genau solche Gentests bietet 23andMe an: Verbraucher können sie auf der Internet-Seite des Start-ups bestellen, mit einer Speichelprobe zurückschicken. Und die Ergebnisse online abrufen.
Kosten: 99 Dollar, Informationen über die Abstammung der Testperson inklusive.
Erbgutanalysen von rund 650.000 Kunden hat das Start-up von Wojcicki, Ex-Frau von Google-Mitgründer Sergey Brin, dessen Unternehmen an 23andMe beteiligt ist, schon in seiner Datenbank angesammelt.
Dass vorerst keine dazukommen, weil die US-Gesundheitsbehörde FDA im November 2013 die Tests vorerst stoppte und ihr Kritiker moralische Bedenken vorhalten, ficht die 40-jährige Amerikanerin nicht an. Weil sie zumindest ihre bestehende Datenbank weiter nutzen darf, treibt sie ihr Geschäft voran. Wissenschaftlern und Pharmaunternehmen hat Wojcicki bereits Einblick in ihre Datensammlung verschafft, sie wird auch künftig Gespräche mit potenziellen Partnern aus aller Welt führen.
„Personalisierte Medizin ist die Zukunft“, sagte Wojcicki auf dem Gründerfestival South by Southwest im März – die Privatsphäre ihrer Kunden sieht sie nicht in Gefahr. Datenschutz sei zwar notwendig, „aber Menschen wollen ihre Informationen mit anderen teilen – nicht unbedingt auf Facebook, aber mit Ärzten und ihrer Familie.“
Ihr nüchternes Fazit: „Das heutige System ist zum Kotzen – unser Ziel ist es, das zu ändern.“ Ihr nächstes Projekt: die Analyse der Darmflora.
Versicherungen: Allianz ist top, HDI ein Flop
Vorreiter Deutschland: Allianz
Mal ist sein Hund in der Badewanne zu sehen, mal warnt er vor Giftködern, mal postet er ein Selfie mit Pferd: Keine Frage, Volker Büscher ist Tierfan. Und beliebt: Knapp 4400 Likes hat er auf seiner Facebook-Seite eingesammelt – für seinen Job: Büscher arbeitet als Allianz-Vertreter in Köln und ist Spezialist für den Schutz von Tieren.
„Sehr freundlich und sympathisch“, schreibt Lisa Habeck an Büschers Pinwand. „Nicht so ein ,Versicherungsgesabbel‘, sondern absolut persönlich und nett!“
Bernd Heinemann mag solche Nachrichten. „Wir lernen so ganz unaufdringlich, wofür sich Menschen interessieren“, sagt der Marktmanagement-Vorstand der Allianz Deutschland, „diese digitalen Spuren sind für uns wirtschaftlich relevant.“
Mehr als die Zahl der Apps, Facebook- oder Twitter-Fans der Allianz interessiert Heinemann der Austausch mit Kunden entlang der digitalen Wertschöpfungskette – vom Erstkontakt bis zur Betreuung nach der Unterschrift. „So lernen wir, was Kunden in ihrer Lebensphase akzeptabel finden und was sie nicht wollen.“
Derzeit wertet die Allianz Daten eines Mitarbeiterversuchs aus, die deren Fahrverhalten analysieren. Und warum, so Heinemann, kann nicht bald ein Teil der konventionellen Gesundheitsprüfung entfallen angesichts der vielen Messungen, die wir heute freiwillig vornehmen – vom Pulsschlag bis zur Zahl unserer täglichen Schritte?
Nachzügler Deutschland: HDI
Die Nachricht war eindeutig: „Seit mittlerweile 3 Wochen versuche ich vergeblich, Ihr Service-Center zu erreichen“, schreibt Bernd Rücker an die HDI-Facebook-Pinwand. „Es kann doch nicht sein, dass ein Kunde entweder 20 min hingehalten wird, um dann aus der Leitung geworfen zu werden ... so was geht ja gar nicht!“
Reaktion der Versicherung an dieser Stelle: Fehlanzeige.
Offenbar kein Einzelfall, wie die Recherchen der Kölner Unternehmensberatung Neuland zum Digital Readiness Index feststellten: Wochenlanges Schweigen auf Kundenanfragen, die genervt den Wechsel zum Wettbewerber ankündigen, keine Anbindung zwischen Homepage und sozialen Medien. Die Quittung: Versicherer HDI zählt zu den Nachzüglern im digitalen Wettbewerb.
Einziger Lichtblick: ein gut funktionierender Beitragsrechner und die Möglichkeit, eine Police zum errechneten Tarif in wenigen Schritten online abzuschließen.
Ein neues Paket könnte dazu beitragen, Image und Wertschöpfung in der digitalen Welt zu verbessern: Über eine Kooperation mit der Telekom bietet HDI seit Kurzem Kurzzeit-Kranken-, Haftpflicht- und Diebstahlpolicen an. Die lassen sich innerhalb von 24 Stunden auch per Mobiltelefon abschließen – etwa für einen spontanen Wochenendtrip ins Ausland.
Pionier international: Oscar
Das Unternehmen ist nicht mal ein Jahr alt – und zählt nach Meinung des US-Magazins „Fast Company“ bereits zu den Unternehmen mit der größten Sprengkraft für die amerikanische Wirtschaft: Oscar, ein New Yorker Start-up, das Krankenversicherungen anbietet.
Die Gründer wollen nichts weniger als den US-Gesundheitsmarkt umkrempeln – vor allem mittels digitaler Technologie: Auf einer personalisierten Web-Site können Oscar-Kunden Arztvisiten und Medikamentenkäufe einsehen, eine Suchmaschine gibt erste Diagnosehinweise bei körperlichen Beschwerden, verbunden mit Empfehlungen für Arztpraxen und Kliniken in der Umgebung – Angaben zu mutmaßlichen Kosten einer Behandlung inklusive. Auch Online-Visiten sind möglich.
Sicher kein Angebot, das allen schmeckt – aber doch ein Blick in eine mögliche Zukunft des Gesundheitswesens, auch in Deutschland.
Zumindest die Investoren sind überzeugt: Innerhalb weniger Monate konnte Oscar 75 Millionen Dollar Startkapital einsammeln.
Industrie: Bosch macht's gut, K+S schlecht
Vorreiter Deutschland: Bosch
200 Apps, 350 digitale Kanäle für Personalmarketing, Vertrieb, Markenführung, 500 Micro-Web-Sites, Blogs und Online-Communities für Heimwerker, Autofahrer, Werkstätten: Bosch ist in der digitalen Welt angekommen – laut Digital Readiness Index so gut wie kein Industrieunternehmen in Deutschland.
„Die Anforderungen unserer Kunden und Mitarbeiter zur Nutzung von Social Media sind enorm gestiegen“, sagt Social-Business-Manager Rüdiger Schönbohm. „Aber das ist nur ein Aspekt.“
Viel wichtiger für den Bosch-Manager: das Projekt Enterprise 2.0, das die interne Vernetzung der weltweit 290.000 Konzernmitarbeiter vorantreibt.
Das Ziel: die interne Kommunikation intensivieren, Doppelarbeit vermeiden, gute Ideen transparent machen, Projekte effizienter managen, Hierarchien abbauen. Statt per E-Mail kommunizieren inzwischen 120.000 Mitarbeiter über die interne Plattform Connect, Ende 2014 sollen es fast doppelt so viel sein.
„Digital sein heißt nicht nur, neue Technologien zu benutzen“, sagt Schönbohm. „Es geht darum, eine Organisation durchgängig zu vernetzen.“
Mit Erfolg: Dauerte es früher bis zu acht Wochen, komplexe Kundenanfragen etwa zum Aufbau eines neuen Produktionsstandorts zu prüfen, fällt die Entscheidung heute innerhalb von sechs Arbeitstagen. Nicht zuletzt steigert die interne Transparenz den Umsatz.
Die Erkenntnis: Produkte und Dienstleistungen, die einst etwa exklusiv für Automobilhersteller entwickelt wurden, können teils durchaus für Minen- und Kanalbetreiber oder beim Bau von WM-Stadien relevant sein.
Nachzügler Deutschland: K+S
Zwei Follower, kein Foto: Wer den Düngemittelanbieter K+S auf Facebook sucht, bekommt nicht viel geboten.
Twitter? Fehlanzeige.
Nur auf Xing ist der Dax-Konzern präsent. „Wir sind in den sozialen Medien nicht stark vertreten“, heißt es. „Ein höherer Aufwand in diesem Bereich würde uns keinen nennenswerten Mehrwert bringen.“
Die Folge: K+S gehört nicht nur in der Industrie, sondern auch branchenübergreifend zu den Schlusslichtern in Sachen digitale Transformation.
Das könnte sich bald ändern, denn über das Sparprogramm „Fit für die Zukunft“ steht gerade jeder Prozess auf dem Prüfstand. Gut möglich, dass neben der etablierten internetbasierten Auftragserfassung und sensorgesteuertem Lagermanagement weitere Prozesse digitalisiert werden – auch wenn ein rein maschinengesteuerter Abbau der Rohstoffe im Bergwerk illusorisch ist, wie ein Test jüngst zeigte.
Doch bei der Förderung von Salzen sollen statt aufwendiger Probebohrungen künftig verstärkt digital gestützte Analysen helfen, die Qualität des Rohstoffs zu erkennen. Und um rasch zu wissen, ob sich die Ausbeutung einer Fundstelle lohnt.
In einem Kali-Bergwerk in Sachsen-Anhalt testet K+S derzeit außerdem, wie sich der Einsatz von Maschinen und Mitarbeitern zentral online steuern lässt.
„Rohstoffe fördern und verarbeiten ist nun mal etwas anderes als ein Auto zusammenbauen“, so die K+S-Devise. „Wir werden wohl nie eine Smart Factory, aber wir wollen jede Möglichkeit der digitalen Welt nutzen, um unsere Abläufe weiter zu optimieren.“
Pionier international: Quirky
Immer wenn er ins Büro kam, ärgerte er sich über seine kaputte Klimaanlage. Also entwickelte Garthen Leslie einfach seine eigene: Die sollte nicht nur zuverlässig arbeiten, sondern gut aussehen, wenig Platz und Energie benötigen und bequem per Smartphone zu steuern sein. Seine Entwürfe schickte Leslie an Quirky – das Start-up bietet Hobbydesignern an, ihre Ideen für 99 Dollar auf seine Plattform zu laden.
Kommt ein Vorschlag bei der Quirky-Fangemeinde an, entwickelt Quirky daraus ein verkaufsfähiges Produkt, kümmert sich um Marketing, Preis, Lieferkette, Vertrieb. Oder bietet es in seinem Online-Shop an.
Zwischen 70 und 90 Prozent des Erlöses bleiben beim Start-up, der Rest geht an den Ideengeber. Ein Modell, das sich auch für Leslie lohnen könnte: 300 Dollar kostet die von ihm entwickelte Klimaanlage Aros, produziert wird sie in Kooperation mit General Electric, seit Ende April ist sie im Handel – und könnte das Zeug zu einem Verkaufsschlager haben. „Ich lebe seit zehn Jahren in New York“, schreibt etwa User Christopher auf der Quirky-Website. „So eine Klimaanlage habe ich mir immer gewünscht.“
Energie: RWE spitze, Thüga hinkt hinterher
Vorreiter Deutschland: RWE Energie
Ein Energieversorger, der dazu aufruft, eine Stunde lang das Licht auszuknipsen? Anlässlich der „Earthour“, eine Umweltschutzaktion, die sich für das Energiesparen und die Reduzierung von Treibhausgasen einsetzt, forderte RWE seine Facebook-Fans zur Teilnahme auf. In der Netzgemeinde kommt das gut an. Knapp 40.000 Likes hat der Energieriese auf Facebook.
Um diese bei Laune zu halten, postet der Konzern jeden Tag einen neuen Beitrag. Ob als kurzes Quiz, Video oder Mitmachaktion – besonders beliebt sind grüne Themen wie Elektromobilität.
Doch nicht nur beim Posten ist RWE flott, auch auf Fragen der User wird in der Regel schnell geantwortet. So bekam Dennis Buntrock schon drei Stunden später eine erste Rückmeldung auf die Frage, welche Kraftwerke er denn besichtigen könne.
Das gilt allerdings nicht für Kritik. Gerade in den letzten Tagen häufen sich die Einträge zu den Kosten für die Endlagerung des Atommülls.
Doch auf Kommentare à la „Jahrelang abkassieren und jetzt die Steuerzahler bluten lassen“ folgte bislang keinerlei Reaktion von Seiten des Konzerns.
Nachzügler Deutschland: Thüga Gruppe
Nur 18 Nutzer interessieren sich für die Thüga Gruppe – zumindest auf YouTube. Und das obwohl der Energieversorger rund 3,5 Millionen Strom-Kunden hat und mit einem Verbund aus 100 Stadtwerken das größte Netzwerk kommunaler Energie- und Wasserdienstleister Deutschlands ist.
Aber auch drei Millionen Kunden lassen sich nicht mit ein paar YouTube-Videos locken, in denen Männer in grauen Anzug vor grauem Hintergrund über die Energiewende in den Kommunen sprechen.
Hinzu kommt: Die Kontaktaufnahme zur Thüga Gruppe in der digitalen Welt ist fast unmöglich. Der Energieversorger hat keine Facebook-Seite, keinen Twitter-Account, selbst Kunden können sich online nicht registrieren. Unter dem Menüpunkt Service erscheint neben Ansprechpartner für Presse und Investoren lediglich eine info@-Adresse.
So verwundert der digitale Reifegrad der Thüga Gruppe wenig: Nur 26 Punkte erreichte das Unternehmen in digitalen Reife-Index und fällt damit in die Kategorie Nachzügler.
Pionier International: Nest Labs, Palo Alto
Tony Fadell, 45, hat ein Talent, Märkte nicht nur zu entdecken, sondern sie auch zu besetzen. Vor knapp fünfzehn Jahren machte der Ingenieur keinen Geringeren als Apple-Gründer Steve Jobs die Idee schmackhaft, ein portables Musik-Abspielgerät zu entwickeln. Sogenannte MP3-Player gab es zwar bereits, aber Apples Interpretation brillierte durch großes Fassungsvermögen, elegantes Aussehen und einfache Bedienung. Der iPod ebnete den Wandel von Apple vom Computerhersteller zum erfolgreichsten Unterhaltungselektronikhersteller der Welt und stellte die Musikbranche auf den Kopf. Von dem Ruhm hätte Fadell bis an sein Lebensende zehren können. Doch er hatte schon den nächsten vernachlässigten Markt entdeckt – den der Heimautomatisierung. Wie damals bei den portablen Musik-Abspielgeräten gab es eine Reihe von Anbietern. Doch ihre Produkte waren alles andere als bedienerfreundlich wie Fadell feststellte, als er Heizungsregler in seinem Energiesparhaus am Lake Tahoe installierten wollte. Im Mai 2010 – anderthalb Jahre nach seinem Abschied bei Apple – gründete Fadell mit seinem Ex-Kollegen Matt Rogers in Palo Alto das Unternehmen NestLab. Dessen wichtiges Produkt: Ein einfach zu bedienender und selbstlernender Heizungsregler, der sich an die Temperatur-Vorlieben seiner Besitzer anpasst. Statt einer Armada von Knöpfen wird das Gerät über einen Ring gesteuert und zeigt die eingestellte Temperatur klar und deutlich auf seinem runden Display an. Trotz eines stolzen Preises von 250 Dollar fand Fadells Schöpfung viele Käufer in den USA. Darunter einen mit besonders tiefen Taschen. Für 3,2 Milliarden Dollar erwarb Google Mitte Januar das Startup. Auch wegen Fadells Händchen für Trends und Bedienerfreundlichkeit. Er hilft nun dem Internet-Konzern, stärker Fuß im Markt für Heimautomatisierung zu fassen, der durch das Internet und Smartphones gerade neu definiert wird – von intelligenten Heizungsreglern, über Rauchmelder bis hin zu fernsteuerbaren Türschlössern.
Banken: Deutsche Bank jubelt, Santander trauert
Vorreiter Deutschland: Deutsche Bank
Ob klassisches Mobile-Banking, ein Magazin für Führungskräfte international agierender Mittelständler oder auch eine App über die Kunstsammlung der Deutschen Bank – gleich 16 verschiedene mobile Anwendungen bietet das Geldinstitut seinen Kunden an.
Die Deutsche Bank erreichte mit ihrem Engagement 252 Punkten im Digital Readiness Index und belegt damit den Spitzenplatz. Kunden des Geldinstitutes können papierlos so gut wie alle ihre Geschäfte regeln: Wer eine vorgedruckte Überweisung zugeschickt bekommt, fotografiert sie einfach ab, über eine App wird ein Scan angefertigt und direkt bearbeitet.
Nachzügler Deutschland: Santander
Sie nennt sich „Consumer“, also „Verbraucher Bank“, doch davon kann zumindest in der digitalen Welt keine rede sein. So verfügt die Tochter der spanischen Banco Santander zwar über Online Banking, aber das war es dann fast auch schon.
Das Geldinstitut hat keine Apps, ist auf keinem der sozialen Netzwerke vertreten und auch der Kontakt mit den Kunden ist alles andere als verbraucherfreundlich. Die bietet bei Fragen weder einen Chat mit Mitarbeitern, noch gibt es ein Forum oder FAQs. Dieses schwache Engagement bringt der Bank im Digital Readiness Index lediglich 46 Punkte ein und fällt damit in die Kategorie der digitalen Nachzügler.
Pionier International: Square
Eigentlich hat Jim McKelvey Informatik studiert. Aber das Blasen von Glas faszinierte ihn schon seit seiner Kindheit. Seine Spezialität sind Wasserhähne aus Glas. Eigentlich waren sie mehr als Hobby gedacht, doch plötzlich interessierten sich Käufer dafür.
McKelvey lernte dabei zwei Dinge. In den USA wollen Käufer am liebsten mit Kreditkarte zahlen. Doch die dazu nötigen Terminals kosteten monatliche Gebühren, egal ob man etwas verkaufte oder nicht. Zudem schauten sie wie überdimensionierte Taschenrechner aus den siebziger Jahren aus und ließen sich auch noch schwer bedienen.
Warum, so fragte sich McKelvey, kombiniert man nicht einfach ein Smartphone mit einem Kartenleser? Monatliche Gebühren wären nicht nötig, da Smartphone-Besitzer ja ohnehin schon für Internet-Verbindung via Datenvertrag bezahlten. Und wenn Karten am Magnetleser durchgezogen werden und die Transaktion online abgewickelt, so erfuhr McKelvey bei der Recherche, liegt das Risiko beim Kreditkartenanbieter.
Gemeinsam mit seinem Schulfreund Jack Dorsey, Mitgründer des Kurznachrichtendienstes Twitter, und dem iPhone-Programmierer Tristan O’Tierney startete McKelvey vor fünf Jahren den Zahlungsanbieter Square. Sein erstes Produkt war ein aufsteckbarer Kreditkartenleser fürs iPhone.
Die Nachfrage nach dem quadratischen weißen Plastikaufsatz war enorm, nicht nur weil seine Gründer das Gerät kostenlos abgaben. Auch weil keine monatlichen Gebühren verlangt wurden, sondern nur eine Gebühr von 2,75 Prozent pro Verkauf. Plötzlich konnte jeder iPhone-Besitzer Kreditzahlungen akzeptieren.
Besonders auf Jahrmärkten und Kunstmessen wurde Square schnell populär. So rasant breitete sich Square aus, dass nicht nur die Kreditkartenunternehmen, sondern auch Online-Zahlungsanbieter wie Paypal kalt erwischt wurden.
Squares Unternehmenswert wird mittlerweile auf fünf Milliarden Dollar geschätzt. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen Transaktionen im Wert von zwanzig Milliarden Dollar abgewickelt.
Ob Square eigenständig bleiben kann, ist umstritten. Die 2,9 Prozent Gebühren werden fast vollständig an die Kreditkartenanbieter weitergereicht. Der Rest hat bis heute nicht ausgereicht, um schwarze Zahlen zu schreiben. Doch der Wert von Square liegt in seinem Kundenbestand – Google und Facebook sollen Interesse an einer Übernahme haben.
Öffentliche Einrichtungen: Bundeswehr gut, Bundesregierung schlecht
Vorreiter Deutschland: Bundeswehr
Für wie viele Jahre muss ich verpflichten? Und werde ich in Kriegsgebiete geschickt? Einer Karriere bei der Bundeswehr stehen häufig Zweifel und Ängste im Weg. Um den Nachwuchs trotzdem von ihren Qualitäten als Arbeitgeber zu überzeugen, bietet die Bundeswehr persönliche Beratungsgespräche an. Und dafür muss sich der Bewerber noch nicht einmal von der heimischen Couch weg bewegen, denn sie finden ganz bequem per Videochat statt. Dafür steht ein ganzes Team von Karriereberatern an jedem Wochentag bereit.
Wer möchte kann sich nach dem Gespräch noch einen Überblick über die verschiedenen Karrieremöglichkeiten bei der Bundeswehr machen. Um ein möglichst realistisches Bild vom Alltag zu bekommen, finden sich auf der Webseite eine Reihe von Online-Tagebüchern, in denen Soldaten von ihren Einsätzen erzählen.
So berichtet Hauptfeldwebel Rüdiger Prangenberg über seine Zeit als Berater in Äthiopien, oder Kapitänleutnant Günter D. über seinen Einsatz in der Westsahara.
Nachzügler: Bundesregierung
Angela Merkel prägte das Wort „Neuland“ als Synonym für das Internet. Diese Einstellung spiegelt sich auch in den Online-Aktivitäten der Bundesregierung wieder.
So verfügt die Regierung weder über Blogs, noch werden Fragen von Usern in den sozialen Netzwerken beantwortet. Der einzige Twitter-Account, auf den von der Webseite verlinkt wird, ist der des Regierungssprechers Steffen Seibert.
Auf YouTube ist die Regierung allerdings besser aufgestellt. Über 10.000 Abonnenten interessieren sich dort für die Arbeit von Merkel und Co. Auf dem Videokanal stehen über 200 Clips zur Verfügung, es gibt Podcasts und die Kanzlerin gibt sogar privates unter „Einblicke“ preis.
Telekommunikation: O2 vorbildlich, Nettokom weniger
Vorreiter Deutschland O2
Hast du eine Idee für uns? 02 will besser werden – und zwar mithilfe der Kunden. Auf dem Ideenportal können User ihre Vorschläge posten.
Und davon gibt es einige: Ob ein Anreizsystem für bestehende Kunden, ein unkompliziertes Upgrade der Surfgeschwindigkeit oder dass auch Flatrate-Kunden jederzeit anschauen können, wieviel sie schon telefoniert haben. Alle diese Ideen kamen von 02-Kunden und wurden vom Anbieter umgesetzt.
Das ist leicht zu erkennen, denn jede eingetragene Idee wird automatisch mit einem Status versehen. Zum Beispiel „neue Idee“ „in Prüfung“ oder „umgesetzt“. Die User können aber nicht nur eigene Vorschläge einstellen, sondern auch schon bestehende Ideen bewerten. Je besser die Bewertung, desto höher die Chance auf Umsetzung.
Doch damit nicht genug, der „02 Guru“ bietet unkomplizierte Hilfe bei Fragen rund ums Smartphone und Co. So können Termine mit einem Experten in der nächsten Filiale oder auch direkt im Live-Chat verabredetet werden. Antworten auf häufig gestellte Fragen findet man jederzeit abrufbar auf der Webseite.
Es gibt sogar einen eigenen Video-Kanal. Dort finden sich Clips rund um das Thema Smartphone: Dazu gehören die besten Bundesliga-Apps genauso wie die Antwort auf die Frage, wie man ein nasses Handy am besten trocknet.
Nachzügler Deutschland: Nettokom
Ihr Geschäft ist die Vernetzung der Menschen, doch für Nettokom und Co. selbst scheint das kein Maßstab zu sein. Unter den Telekommunikationsanbietern befinden sich die meisten digitalen Nachzügler, zehn Unternehmen dieser Branche haben großen Nachholbedarf.
Besonders auffällig ist die hohe Anzahl der Discounter. So sind Aldi Talk, Penny Mobil, Nettokom und Lidl Mobile unter den Unternehmen mit dem schlechtesten digitalen Reifegrad vertreten. Nettokom zum Beispiel hat keine Webseite, die für mobile Geräte optimiert wurde – und das als Anbieter für Handyverträge. Facebook? Twitter? YouTube? Fehlanzeige.
Wer mit Nettokom in Verbindung treten möchte, dem bleibt lediglich ein Kontaktformular. Doch bis man eine Antwort erhält, dauert es. Das Unternehmen benötigt in der Regel über 48 Stunden zur Beantwortung.
Pionier International: Skype
Claudius ist ein beliebter Mann – knapp 7.000 Kudos besitzt der Community-Manager bei Skype. Kudos ist die Währung, in der bei Skype Wertschätzung gemessen wird. In der Skype Community helfen sich die Nutzer bei technischen Problemen oder Fragen zur Abrechnung gegenseitig weiter. Kennt niemand die Lösung, springt ein Mitarbeiter wie Community-Manager Claudius ein. War Claudius Antwort hilfreich, kann der Nutzer ihn mit einem Kudo belohnen.
Davon profitieren auch die anderen Mitglieder, denn die bekommen die besten Einträge direkt angezeigt. Die Selbsthilfe per Schwarmintelligenz scheint zu funktionieren, nach eigenen Angaben hat die Community zwei Millionen Nutzer.
Automobil: Audi überholt
Vorreiter Deutschland: Audi
Das Traumauto, zusammengestellt mit wenigen Klicks – Audi macht es möglich. Mithilfe der Konfigurator-App können sich Autonarren ihr eigenes Modell zusammenstellen und anschließend auf Facebook und Co. teilen und bewerten lassen. Bleiben Fragen oder Wünsche offen, hilft die Online Beratung des Autobauers aus Ingolstadt weiter. Täglich von neun Uhr morgens bis zehn Uhr nachts können sich Kunden per Videokonferenz oder Text-Chat beraten lassen.
Pionier International: Ford USA
Acht Millionen Klicks bei YouTube, knapp sieben Millionen Likes alleine für das Modell Mustang bei Facebook und 500 000 Anhänger bei Twitter. Der amerikanische Autobauer Ford versteht es, die sozialen Netzwerke zu nutzen – und erreicht so die Spitzenposition unter den Autobauern mit 313 Punkten.
Hinzu kommt ein umfangreiches E-Commerce-Programm. Fans der Marke können sich in einem üppig ausgestatteten Shop austoben. Ob Kapuzenpulli mit Mustang-Emblem, Spielzeugmodell oder Schlüsselanhänger – dort gibt es alles was das Ford-Herz begehrt und verhilft dem Unternehmen nebenbei zur digitalen Spitzenposition.
Luftfahrt: Lufthansa hebt ab, Ryanair lahmt
Vorreiter Deutschland: Lufthansa
Von den Besten lernen – diesen Grundsatz hat die Lufthansa fest verinnerlicht, vor allem im Bezug auf die Digitalisierung des Unternehmens. So können Kunden der Lufthansa Cargo den Transport ihrer Waren live verfolgen. Und das unternehmensübergreifend. So endet die Warenverfolgung nicht etwa auf dem Zielflughafen, sondern kann auch beim Weitertransport durch LKW oder Bahn beobachtet werden.
Diesen Service kennt fast jeder – allerdings nicht von Fluggesellschaften, sondern von Zalando, Amazon und Co. „Früher haben sich Unternehmen nur an den Konkurrenten innerhalb der Branche orientiert“, sagt Roman Friedrich von der Strategieberatung Strategy&, „aber der Kunde unterscheidet nicht mehr zwischen E-Commerce im Handel oder im Luftverkehr – er wünscht sich immer den besten Service“.
Die Lufthansa hat das erkannt. Das spiegelt sich auch in ihren Social Media Aktivitäten wieder. So ist die Facebook Seite der Lufthansa perfekt auf die junge Zielgruppe abgestimmt. Anstatt trockener Unternehmensberichterstattung dreht sich auf der Seite alles um das Entdecken fremder Welten.
Zum Beispiel konnten die User unter #Lifeisajourney ihre Reisefotos posten. Die schönsten Bilder wurden in ein kleines Video eingebettet und mit fröhlicher Musik untermalt. Unter den Clip postet Andreas Kornblum am 27. April um 21. 45 Uhr: Wie heißt der überragende Song?
Schon am nächsten Morgen antwortete die Lufthansa mit dem Namen des Liedes.
Nachzügler: Ryan Air
Die Fluglinien sind insgesamt gut aufgestellt, so gibt es keine Nachzügler in dieser Branche. Die Unternehmen mit dem schlechtesten digitalen Reifegrad sind Ryanair und China Southern Airlines. Beim Billiganbieter Ryanair können Fluggäste nicht per Smartphone einchecken, außerdem gibt es keinerlei Treueprogramm. Auch die Kommunikation in den sozialen Netzwerken ist ausbaufähig. So wurde etwa der Facebook-Account nach einem Shitstorm einfach abgeschaltet.
Pionier International: Southwest Airlines
Southwest Airlines ist ein Novum. Seit 40 Jahren schreibt die texanische Billigfluglinie Gewinne, und das inmitten in einer von Pleiten, Krisen und Notübernahmen geprägten Branche. Selbst die Terrorattacken von 2001 und die Rezession nach dem Platzen der Immobilienblase konnten Southwest nichts Anhaben.
Ihre legendäre Effizienz erreicht die Fluggesellschaft vor allem deshalb, weil sie ihre Buchungen konsequent aufs Internet verlagert hat, sich aus Online-Flugticketbörsen zurückgezogen und Preise sowie Ausstellen der Tickets vollständig kontrolliert. Nicht nur sind deshalb die Preise transparent und nachvollziehbar – je näher das Datum rückt, umso teuer werden die Flüge. Die Tickets können auch jederzeit einfach via Internet selbst umgebucht werden. Weil dafür nur die Mehrkosten für den Flugpreis berechnet werden, aber keine zusätzlichen Gebühren, ist Southwest bei vielen Geschäftsreisenden populär.
Zudem hat die Fluglinie eine innovative Lösung gefunden, um die langen Schlangen beim Einstiegen ins Flugzeug zu vermeiden. Wer sich rechtzeitig am Computer oder Handy eincheckt, kann als einer der ersten in den Flieger steigen. Wer ein Geschäftsticket kauft oder einen geringen Obolus bezahlt, ist automatisch ganz vorn dabei.
Zu der digitalen Innovation kommt eine manuelle: Um die drei Einsteige-Gruppen zu organisieren, stellt die Fluglinien Pfosten mit Sitzreihennummern auf, neben dem sich die Fluggäste aufstellen müssen.
Weil jeder weiß, wo und wann er sich in die Schlange stellen muss, bleibt genügend Zeit ruhig zu warten und seinen Kaffee zu genießen. „Dafür mussten wir am Anfang herbe Kritik einstecken“, sagt Southwest-Chef Gary Kelly. „Heute ist es einer der Gründe, warum Fluggäste uns wählen.“