Europa geht der eigene Nachwuchs aus. Derzeit bekommen 100 Frauen in Europa im Laufe Ihres Lebens etwa 140 Kinder. Um die Bevölkerungszahl stabil zu halten, müssten es etwa 210, also im Schnitt 2,1 Kinder pro Frau sein. Die Geburtenzahlen sind fast überall in Europa zu niedrig, doch es gibt Länder, in denen die Lage sehr viel weniger dramatisch ist - zum Beispiel Frankreich - als in Deutschland und einigen anderen, besonders unreproduktiven Staaten. Bei Ländern mit vergleichbarem Wohlstand und kulturellem Hintergrund sind demografische Unterschiede vermutlich nicht zuletzt auf sozialpolitische und gesellschaftliche Strukturen zurückzuführen.
Die "BAT-Stiftung für Zukunftsfragen" ist in ihrer neuesten Europauntersuchung der Frage nachgegangen, für wie "kinderfreundlich" Menschen ihr Land halten. Sie hat repräsentativ über 11.000 Europäer ab 14 Jahren in zehn Ländern befragt. Das Ergebnis: Mit großem Abstand rangiert Dänemark beim Thema Kinderfreundlichkeit an erster Stelle. Neun von zehn Dänen stufen ihre Heimat als kinderfreundlich ein. Für Deutschland ist das Ergebnis erschütternd. Während immerhin noch knapp die Hälfte der Spanier, Niederländer und Griechen dies über ihr Land behauptet, ist es in Deutschland nur etwa jeder siebte Bürger, der Kinderfreundlichkeit in der Gesellschaft wahrnimmt.
Unter Kinderfreundlichkeit werden sowohl die sozialpolitischen Rahmenbedingungen verstanden als auch das gesellschaftliche Klima und die Alltagskultur. Beides wird offenbar von den Deutschen als besonders kinderunfreundlich wahrgenommen.
Ostdeutsche und Großstadtbewohner besonders kritisch
Nur 15 Prozent der befragten Deutschen nehmen ihr Land als kinderfreundlich wahr. Die Deutschen zeigen sich in dieser Hinsicht zudem auch gespalten. So bewerten Westdeutsche und Landbewohner die Kinderfreundlichkeit deutlich positiver als Großstädter und Bürger im Osten der Republik. Und auch beim Alter zeigen sich große Unterschiede – je älter, desto negativer wird die Kinderfreundlichkeit wahrgenommen. Dennoch bleibt der Wert, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Einkommen oder anderen Unterscheidungsmerkmalen, in allen Untergruppen gering.
"In Deutschland ist Angst sehr verbreitet", sagt Ulrich Reinhardt, Wissenschaftlicher Leiter der BAT-Stiftung, "Angst ums Geld, um die Freiheit und die Karriere." Die bereits seit Jahrzehnten niedrige Geburtenrate und die Abnahme der Präsenz von Kindern im Alltag, hat auch zu einer Entwöhnung des Umgangs mit Kindern geführt. Ein sich selbst verstärkender Prozess.
In Deutschland, so Reinhardt, müsse vor allem die gesellschaftliche Anerkennung von Familien mit Kindern steigen. "Wir haben uns als Gesellschaft nicht weiterentwickelt. Noch immer definieren wir unseren Erfolg über den materiellen Lebensstandard, statt über die Lebensqualität." Das sei vermutlich entscheidender als politische Rahmenbedingungen. "Mehr Krippenplätze und Ganztagsschulen, Einführung eines Betreuungsgelds oder gesplittetes Elterngeld – dies alles hilft zweifellos vielen Familien. Doch solche Maßnahmen sagen nichts über die Kinderfreundlichkeit im Alltag unserer Gesellschaft aus. Diese würde mit einer Infrastruktur beginnen, die nicht nur auf Erwachsene ausgerichtet ist, sondern stärker auf die Bedürfnisse von Familien und Kindern eingeht sowie einer Arbeitswelt, die die Vereinbarung von Beruf und Familie zulässt. Kinderfreundlichkeit im Alltag umfasst aber auch Kleinigkeiten, von der Wurstscheibe beim Metzger bis zum Nachbarn, der sich nicht gleich beschwert, wenn es nebenan einmal lauter zugeht", sagt Reinhardt. Allen solle stets bewusst sein, dass Kinderlärm unsere Zukunftsmusik sei.
Die große Zufriedenheit der Dänen erklärt Reinhardt unter anderem mit dem hohen Emanzipationsgrad im Königreich Dänemark: "Egal, ob man sich den Anteil von berufstätigen Frauen, die Quote von weiblichen Führungskräften, die Anzahl von Krippenplätzen oder die Möglichkeit, Beruf und Familie miteinander zu verbinden, anschaut – überall liegt Dänemark deutlich über dem europäischen Durchschnitt. Zudem ist aber auch der hohe Stellenwert von Familien sowie deren gesellschaftliche Anerkennung ausschlaggebend für den hohen Wert."