Je nach Perspektive ist der Januar der schönste Monat im Fitnessstudio - oder der schrecklichste. Die Betreiber freuen sich über zahlreiche neue Mitglieder, die sich fürs neue Jahr vorgenommen haben, gesünder und fitter zu werden. Langjährige Mitglieder hingegen stöhnen, dass dann für einige Wochen alle Geräte besetzt und die Kurse überfüllt sind.
Etwa drei Monate später kommt die Stunde der Wahrheit: viele Neuzugänge geben auf, der teure Vertrag läuft weiter, doch sie setzen keinen Fuß mehr ins Studio. Damit diese Drop-Out-Quote niedrig bleibt, lässt sich die Fitnessindustrie immer etwas Neues einfallen. Auch 2016 gibt es einige Innovationen, die Couch-Potatoes ins Schwitzen bringen und demotivierte Mitglieder bei der Stange halten sollen. Klar ist: Nur mit Hantelbänken und Laufbändern kommen die Studios nicht mehr weit.
Stolperfallen im Fitnessstudio-Vertrag
Die meisten Fitnessstudios binden ihre Mitglieder mit langfristigen Verträgen. Monatlich kündbare Verträge sind unüblich. Je länger das Mitglied sich verpflichtet, desto geringer ist der monatliche Beitrag. Der Bundesgerichtshof entschied, dass eine Laufzeit von 24 Monaten nach Vertragsabschluss zulässig sei. Oft verlängern sich die Verträge von selbst, wenn sie nicht rechtzeitig gekündigt werden. Auch hier urteilte der BGH, dass es zumutbar ist, sechs Monate Verlängerung zu akzeptieren, selbst wenn der Beitrag bei monatlich 50 Euro liegt. (BGH-Urteil vom 04.12.1996, AZ: XII ZR 193/95)
Sollte man innerhalb der Grundlaufzeit feststellen, dass man das Studio zu selten oder nie nutzt, rät Verbraucherzentrale NRW den Vertrag auf jeden Fall zum Ende der Grundlaufzeit zu kündigen, damit der Betreiber nicht weiter abbuchen darf.
Wer bei Google das Wort "Fitnessstudio" eingibt, bekommt auf Platz 1 der Suchvorschläge die Kombination "Fitnessstudio kündigen". Offensichtlich möchten fast so viele Menschen aus dem Studiovertrag raus wie hinein. Das ist nicht so einfach. Die Verbraucherzentrale rät, die Kündigung auf jeden Fall mit Einschreiben mit Rückschein zu versenden oder sie persönlich abzugeben und sich den Empfang quittieren zu lassen. Die Kündigungsfrist steht im Vertrag.
Werden Sie krank oder wechseln den Wohnort, steht Mitgliedern ein Sonderkündigungsrecht zu. Aber auch im Falle der Änderung von Öffnungszeiten, die so verkürzt werden, dass man nicht mehr zum Training kommt, können ein Grund sein für eine Sonderkündigung. Wird das Angebot so verändert, dass es den Nutzen stark beeinträchtigt, muss das Mitglied dem Betreiber mit einer Frist die Gelegenheit geben, dies zu ändern. Wer länger krank ist, muss nicht zahlen. Derartige Klauseln sind laut Bundesgerichtshof unzulässig. Allerdings muss das Mitglied den Studiobetreiber unmittelbar über die Erkrankung oder Verletzung informieren und auf Verlangen gegebenenfalls ein Attest vorlegen. Wer einfach nur sechs Monate in Urlaub fährt, hat hingegen keinen Grund, aus dem Vertrag auszusteigen.
Veronika Pfeffer, National Group Fitness Manager bei Fitness First, einer der größeren Ketten in Deutschland, sieht das reine Gerätetraining auch 2016 weiter klar auf dem Rückzug. „Functional Training, also das Training mit dem eigenen Körpergewicht, sei es mit Tauen oder einem Schlingentrainer, wird sich als Trend verstärken“, erwartet sie. Für Studios sei das eine neue Situation, da ein freies Training ohne Geräte vor allem bei Anfängern mehr Betreuung benötige.
"Klappsches Kriechen" neu inszeniert
Die Kette nimmt zusätzlich zu den 50 bestehenden Kursen zwei weitere ins Programm auf. Besonders auffällig: Der Kurs "6.D". Er erinnert auf den ersten Blick an Bodenputzen auf allen Vieren: Die Teilnehmer bekommen vier kleine Teppiche in Form von Stoppschildern. Dann geht es hinab auf alle Viere: Die "Slider" genannten Sportteppiche werden bei den Übungen im Kurs auf dem Boden hin und her geschoben. Trainiert werden bei dieser "Friction Training" genannten Ertüchtigung (zu deutsch Reibungstraining) vor allem die Muskeln, die die klassischen Bauch-Beine-Po-Kunden gern kräftigen wollen.
Der Fitness-Experte Mark Maslow ist ein Freund dieser altgedienten Trainingsweise. „Viele der brandneuen Trend-Programme sind alter Wein in neuen Schläuchen“, meint er. Das „Friction Training“ habe es bereits 1905 gegeben - vereinfacht gesagt als eine Körperübung mit Putzlappen. Damals hatte der Chirurg Rudolf Klapp das "Klappsche Kriechen" zur Behandlung von Haltungsstörungen erfunden. Maslow empfiehlt, sich von verführerischem Marketing nicht blenden zu lassen und lieber auf bewährte Modelle zu vertrauen.
Den Trend zu Fitnesstraining mit freien Gewichten etwa sieht Maslow positiv: „Trainings-Maschinen wie Brustpressen oder Beinbeuger suggerieren, man könne nichts falsch machen. Aber ein verstelltes Polster oder eine falsche Sitzposition können die Übung beeinträchtigen“, erklärt er.
Gruppendruck im Fitnessraum
Die in Essen ansässige Kette FitX, die jährlich 20 neue Studios eröffnen möchte, setzt dieses Jahr vor allem auf innovative Technik: Die LCD-Wände in allen Studios werden dazu genutzt, Stimmung und Atmosphäre während des Kurses anzupassen. So werden bei Yoga-Kursen etwa ruhige Landschaftsbilder abgespielt, bei Spinning-Kursen hingegen rasante Fahrten auf der Straße simuliert.
Einen weiteren Teil der Neuerung sieht der Kunde nicht: Statt individueller, vom Trainer ausgewählter Musik wird von der Zentrale künftig die Beschallung über Server aufgespielt. Bei Yogakursen kommt die Stimme für die sogenannte „Schlussentspannung“ künftig ebenfalls von einem professionellen Sprecher vom Band. Zum einen ist so in allen Studios der Standard einheitlich. Zum anderen soll die gewünschte beruhigende Wirkung durch die Stimme eines professionellen Sprechers erhöht werden.
Yoga in der Schwebe
Wie viel Entspannung die Kunden des neuesten Yoga-Kurses der Holmes Place am Berliner Potsdamer Platz erleben, bleibt abzuwarten. AntiGravity Yoga nennt sich das jüngste Produkt, das Mitte Februar anläuft: Dabei schweben die Teilnehmer in einer Art Trapez über dem Boden.
So schaukeln die Entspannung suchenden Menschen frei in der Luft mit einer Trainingsmöglichkeit, die „zuvor für unsere Mitglieder weder sicher noch praktisch waren“, sagt Nadine Döring, Group Fitness Manager bei Holmes Place. Die Versprechungen sind groß: Angeblich verlassen die Teilnehmer den Kurs „und sehen gleich ein paar Jahre jünger aus“.
Ob AntiGravity Yoga, Zumba oder Jumping Fitness – eine Vielzahl von Innovationen sind Entwicklungen, die von den Studios über Lizenz eingekauft werden. Die Kundschaft braucht Abwechslung, um sich bei den im Prinzip immer gleichen körperlichen Anforderungen nicht zu langweilen. „Die Menschen möchten immer wieder neue Namen und Konzepte. Aus Sicht der persönlichen Motivation ist das auch gut“, sagt Alexander Pfitzenmeier, Geschäftsführer der Akademie für Fitness, Wellness und Gesundheit (IFAA) in Schwetzingen.
Fakten zu Studios
In Deutschland zählt die Fitnesskette Mrs.Sporty, die ausschließlich für Frauen zugänglich ist, die meisten Studios. Im Mai 2015 waren es 425 Stück. Auf dem zweiten Platz lag Clever Fit mit 228 Studios vor Bodystreet mit 195 Filialen. Erst auf Platz Vier landet der Branchenführer nach Mitgliedern, McFit, mit 166 Studios. Wenn alle Anlagen zusammengerechnet wurden, hatte Deutschland im Jahr 2014 mit 8000 Fitness-Anlagen vor Italien (6695) und Großbritannien (6112) die meisten in Europa.
Die deutsche Fitnesskette McFit hatte 2013 mit 1,2 Millionen Mitgliedern die meisten in ganz Europa. Darauf folgte mit nur noch 680.000 Mitgliedern Health City aus den Niederlanden.
In der Schweiz war 2013 der durchschnittliche Mitgliedsbeitrag von umgerechnet 78,4 Euro am höchsten in Europa, es folgen Italien mit 57,9 Euro und die Türkei mit 54,3 Euro. Deutschland liegt im Mittelfeld mit 47,3 Euro Monatsbeitrag.
Viele Menschen melden sich nicht mehr in einem Studio an, sondern versuchen sich mit Hilfe von Internetangeboten daheim fit zu halten. Im Jahr 2014 waren 385.000 Menschen bei einer Online-App gemeldet. Aktiv waren davon aber weniger als 65.000.
Wer zu langsam ist, lässt sein Team schwitzen
Neben neuen Namen kommen bisweilen auch neue didaktische Methoden hinzu. Auf die Motivation durch Gruppendruck setzt zum Beispiel das Programm ShockWave, das Fitness First nun erstmalig ins Programm aufnimmt. Kern des Kurses ist ein Waterrower: Eine Rudermaschine, die dank eines Wassertanks das Gefühl von Rudern auf Wassern imitiert.
In den Kursen gehören jeweils vier Teilnehmer zu einer Gruppe. Während ein Mitglied eine vorgegebene Distanz auf dem Rudergerät absolviert, müssen die anderen zum Beispiel Übungen mit Hanteln oder Liegestütze absolvieren. Je länger der Ruderer braucht, desto länger müssen die anderen ackern. Wer seine Team-Kameraden schonen möchte, muss also selber Gas geben. Veronika Pfeffer sieht darin die Chance, Mitglieder mit einem neuen Reiz die Freude an der Bewegung zu erhalten.
Trend zu superkurzem Intensivtraining
Viele Menschen würden gerne in weniger Zeit mehr erreichen. Dazu ist es aber nötig, sich innerhalb des Trainings stärker anzustrengen, so wie beim inzwischen weit verbreiteten High Intensity Interval Training. Nur 15 Minuten Training sollen reichen, um topfit zu werden. Vor allem in Großstädten verbreitet sich der Trend derzeit schnell. Anfänger oder Wiedereinsteiger sollten nach Ansicht von Ingo Froböse vom Zentrum für Gesundheit der Deutschen Sporthochschule Köln mit HIIT allerdings sachte beginnen: „Will man mit hoher Intensität trainieren, muss der Körper zunächst lernen, diese Belastung tolerieren zu können.“
Allen Neuerungen und Tricks der Fitness-Branche zum Trotz: Der innere Schweinehund ist bei vielen Deutschen übermächtig. "In der Tendenz wollen sich viele Deutsche nicht so richtig quälen", sagt Pfeffer. Das sei zum Beispiel in Australien anders, dort herrsche eine Kämpfermentalität: "Die kommen gut ins Schwitzen."
Für Fitness-Experte Maslow lässt sich der Kampf des Durchhaltens durch ein paar Tricks gewinnen. "Menschen brauchen ein klares Ziel", sagt er. Es reicht nicht, zu sagen, dass man abnehmen will. „Ein Ziel muss messbar sein. Woran würdest du merken, dass du Fortschritte machst?“, sagt Maslow. Wer Fett abbauen will, könne seinen Körperfettanteil verfolgen oder prüfen, ob die Lieblingshose wieder passt. Wer fünf Kilometer schneller laufen wolle, müsse sich auch eine Zielzeit setzen. "Alles andere ist Nebel in Tüten."
Info-Angebote für Sport-Muffel
Neben einem klar ausformulierten Ziel empfiehlt Maslow regelmäßiges Training. "Das ist wichtiger als seltenes, intensiveres Training."
Das wissen auch die Studioketten wie Fitness First, die Kunden kontaktieren, sobald sie feststellen, dass sie deutlich seltener kommen. Nicht immer sei es nötig, sich zu verausgaben, um seinem Körper etwas Gutes zu tun, so die Devise für Sport-Muffel. Daher bietet die Kette auch Theorieworkshops zu Themen wie Ernährung oder Rückengesundheit. Und diese werden immer besser angenommen, sagt Pfeffer. "Die Kunden wollen immer mehr wissen". Sie beschäftigten sich zum Beispiel mit Fragen, warum die Faszien, die die Muskeln umgeben, ein spezielles Training benötigen. Oder auch, wie Motivation aufrechterhalten werden kann.
Trainieren ja - aber bitte nicht mit zwanzig anderen schwitzenden Menschen in einem Raum? Auch für Studiomuffel hat die Fitnessindustrie ein neues Segment. Das sogenannte "Outdoor Gym", bei dem Training auch bei Regen und Kälte im Freien veranstaltet wird. Es handelt sich um ein Ganzkörpertraining, das nicht nicht nur Muskeln und Sehnen kräftigt, sondern auch das Immunsystem stärken soll. Für die Ende Januar in München beginnende Sportmesse ISPO hat der Sportwissenschaftler Felix Klemme eine Präsentation seiner Idee zu "Outdoor Gym" angekündigt.
Wem das zu hip ist, der schnürt einfach seine Turnschuhe und läuft im Wald einen Trimm-Dich-Pfad. Aber Achtung: Es könnte sein, dass eine Gruppe junger Menschen unter lauter Beschallung Turnübungen an den Geräten absolviert, wie man sie früher nur aus dem Zirkus von Artisten kannte. Sie sind Anhänger der Calisthenics, auch bekannt als Street Workout, Ghetto Workout oder Street Fitness, die aus New York stammen.
Vor der Vereinnahmung durch eine Subkultur ist eben nicht einmal der gute alte Klimmzug gefeit.