Freizeittrend Malen ist das neue Meditieren

Aufwendige Malbücher für Erwachsene werden zu Bestsellern. Vor allem eine Britin verdient an der neuen Lust zur Selfmade-Kunst.

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Johanna Basfords

Vermutlich war es nur eine Frage der Zeit, bis der Retro- und Selbermachtrend in den Besser-Wohnen-Vierteln westlicher Metropolen von echtholzgetäfelten Handwerksbäckereien, kernigen Craft-Beer-Verkäufern und heimeligen Wochenmärkten auch in die Wohnzimmer überschwappt und dort neumodische Freizeitvertreiber wie das iPad oder die xBox zurückdrängt. Dennoch überrascht es, mit welcher Dynamik in den vergangenen Monaten ein irgendwo in der Kindheit zurückgelassen geglaubtes Relikt wie das Malbuch in die Welt gestresster Kopfarbeiter Einzug gehalten hat. Das ist mit dem Namen Johanna Basford, auf die noch zurückzukommen sein wird, verbunden, und mit einer wachsenden Sehnsucht nach Ruhe und Entschleunigung.

Und so freut sich die des Fröhlichen in den vergangenen Jahren nicht allzu verdächtige Buchverlagsbranche in diesem Frühsommer über einen schönen neuen und bestens verkäuflichen Trend: Malbücher für Erwachsene. Nein, kein Malen nach Zahlen, wie es in den Neunzigern mal unter nicht ganz so Kunstbegabten, die sich dennoch über hübsche Bilder Marke Eigenbau freuen wollten, beliebt war. Sondern edle, meist in Schwarz- oder Tintenblauweiß gehaltene Bücher, deren vorgezeichnete Seiten Hipster in Prenzelberger Cafés genauso mit Farben ausfüllen wie mittagspausierende Investmentbanker in London beim Versuch, kurz herunterzukommen.

Fan-Post von Anwälten und Bankern

Star der Szene ist die 32-jährige Britin Johanna Basford, deren Erstlingswerk „Mein verzauberter Garten“ sich in 14 Ländern 1,5 Millionen Mal verkaufte und derzeit bei vielen Buchhändlern zwei- bis vierwöchige Lieferzeiten hat, weil der Druck der Nachfrage hinterherhinkt. 1,5 Millionen in einer Branche, in der knapp sechsstellige Verkaufszahlen schon als Bestseller gelten. Kein Wunder, dass allerlei aufs eher Kreative spezialisierte Verlage nun nachziehen und zum Teil mit Autoren-Malbüchern, zum Teil mit No-Name-Nachmacherprodukten auf Leser- beziehungsweise Malerfang gehen.

Das sagen ihre Kritzeleien über Sie aus

Die Frau, die den Trubel entfacht hat, ist eigentlich Werberin – und verlor in den Nachwehen der 2008er-Banken-und-Finanzkrise ihren Job. Sie hatte zuvor Kampagnen für internationale Konzerne von London aus entworfen. Wer ihre Bücher als klassischen Geschenke-Nippes abtut, der zwar hübsch aussieht, aber beim Beschenkten dann schnell ungenutzt verstaubt, dem hält sie ihre zahlreiche Fan-Post entgegen. Insbesondere gestresste Banker und Superanwälte aus der Londoner City würden ihr schreiben, sagt Basford. Das ruhige Ausfüllen der vorgegebenen Fläche wirke nahezu meditativ. Ganz ähnlich übrigens wie das ebenfalls in den einschlägigen Berufsgruppen beliebt gewesene Origami-Falten.

Mit dem "Zauberwald" runter vom Adrenalin

Und das Bedürfnis, sich von vorgezeichneten Büchern wie Basfords Zweitwerk „Mein Zauberwald“ oder eben „Mein verzauberter Garten“ vom Alltags-Adrenalin herunterholen zu lassen, verspüren viele. Mehr vor allem als jemals gedacht. Der Knesebeck-Verlag, der die Basford-Bücher in Deutschland herausgibt, hat Probleme, mit dem Erfolg schrittzuhalten. Kein Wunder, nach der weltweiten Millionenauflage von Basfords Erstling hat auch „Mein Zauberwald“ mehr als 250.000 Exemplare verkauft. Dabei ist es auch hier nicht einfach, an ein Exemplar zu kommen. Das Buch ist meistens ausverkauft. Die Startauflage von „Mein Zauberwald“ war nach drei Wochen vergriffen. Der Verlag hatte eigentlich damit gerechnet, dass sie mindestens ein halbes Jahr hält. Nun wird nachgedruckt.

„Ink Evangelist“ nennt Basford sich in Anspielung an die Tinte, mit der sie ihre Manuskripte zeichnet. Und Jünger hat sie schon evangelistengleich. Genau wie Trittbrettfahrer. Fernsehserien wie „Game of Thrones“ lassen sich genauso im Malbuch nachzeichnen wie die Seiten autorenloser Malbücher, die nun die Buchhandlungen fluten. Was ihnen meist gemein ist: Farbig zu füllen sind allerlei Blümchen, Blätter und sonstige Heile-Welt-Insignien.

Der Neo-Biedermeier springt nun also nach der Populär-Innenarchitektur und der Bahnhofs-Zeitschriftenhandlung in die Sphäre von Kunst und Literatur. Schlimm, wie erste Kulturpessimisten fürchten? Vermutlich nur ein Trend.

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