"Führen, Gestalten, Bewegen" Dalai Lama: Exklusiver Vorabdruck

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Die Führungspersönlichkeit

Die Hauptaufgaben der Führungskraft bestehen (...) darin, Leitbilder vorzugeben, Werte zu definieren, Vertrauen zu schaffen und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die meisten Menschen würden vermutlich zustimmen, dass die Qualität des Top-Managements einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für ein Unternehmen ist. Doch wer eignet sich am besten für diese Position? (...)

Führen erfordert Risikobereitschaft. Wenn sich eine Entscheidung als falsch erweist, trägt der Manager die Verantwortung. Eine neue Führungskraft stellt sehr schnell fest, dass alle strittigen Entscheidungen auf ihrem Schreibtisch landen und sie sehr viel Mut benötigt.

Wenn Sie nach den Prinzipien der rechten Anschauung und des rechten Handelns vorgehen, betrachten Sie eine Frage von unterschiedlichen Seiten und bedenken die Konsequenzen jeder möglichen Entscheidung für das Unternehmen und seine Stakeholder. So verringern Sie das Risiko, denn Sie wissen, dass Sie den richtigen Entschluss treffen.

Bei einem äußerst erfolgreichen niederländischen Unternehmen erörterten die Mitglieder des Vorstands jede wichtige Entscheidung aus unterschiedlichen Perspektiven und diskutierten dabei gelegentlich heftig. Doch sie machten es sich zur Regel, den Entschluss selbst erst am darauffolgenden Tag zu treffen, wenn sich die Gemüter wieder beruhigt hatten. (...)

Ein nützlicher Leitfaden des Buddhismus sind die „sieben Eigenschaften eines idealen Menschen“. Wie der Dalai-Lama zeigt, treffen diese Eigenschaften auch auf die ideale Führungspersönlichkeit zu:

1. Kenntnis der Prinzipien und Ursachen: Führungspersönlichkeiten sind sich bewusst, welche Aufgaben und Verantwortungen ihre Rolle beinhaltet und vor welchen Herausforderungen sie stehen. Sie sollten in der Lage sein, die Ursachen von Problemen zu erkennen und zu wissen, welche Prinzipien zu deren Lösung angewendet werden sollten. Beispielsweise könnte die Ursache eines Problems in der mangelnden Selbstdisziplin liegen. In diesem Fall sollten Führungspersönlichkeiten wissen, was sie tun können, um das Problem zu beheben.

2. Kenntnis der Ziele und Ergebnisse: Führungspersönlichkeiten kennen die Bedeutung und den Zweck der Prinzipien, nach denen sie handeln, sie verstehen die Aufgaben, die sie angehen, und sie kennen den Grund für ihr Handeln. Sie wissen, welche Konsequenzen ihre Handlung in der Zukunft hat und ob sie gute oder schlechte Ergebnisse erbringt. Diese Art der Voraussicht ist wichtig, wenn sie Entscheidungen treffen wollen, die erst in der Zukunft Ergebnisse zeitigen, oder wenn sie unpopuläre Maßnahmen ergreifen wollen.

3. Selbsterkenntnis: Führungspersönlichkeiten wissen um ihre Stärken, Talente, Fähigkeiten, Tugenden und um ihre Kenntnisse, und sie sind in der Lage, sich selbst zu korrigieren und zu verbessern. Sie wissen auch, wie begrenzt ihr Wissen über die Abläufe des Unternehmens ist und wie sich die Handlungen des Unternehmens auf die zahlreichen Stakeholder auswirken. Sie müssen bereit sein, viel zu lernen.

4. Kenntnis der Zurückhaltung: Führungspersönlichkeiten verstehen, sich in Worten und Taten zurückzuhalten. Sie handeln im Wissen um den Zweck und den zu erwartenden tatsächlichen Nutzen. Sie handeln nicht im Eigeninteresse, sondern im Interesse des Unternehmens, für das sie Verantwortung tragen.

5. Kenntnis des effektiven Umgangs mit der Zeit: Führungspersönlichkeiten wissen, wann der rechte Zeitpunkt für eine Handlung gekommen ist und wie viel Zeit sie darauf verwenden sollten. Sie wissen, was wie zu tun ist, sie tun es rechtzeitig und pünktlich. Dazu gehört die richtige Zeitplanung und -einteilung. Außerdem benötigen sie Urteilsfähigkeit, um die wichtigsten Fragen zu erkennen und sich auf sie zu konzentrieren. Es ist äußerst wichtig, keine Zeit mit Banalitäten zu verschwenden.

6. Unternehmenskenntnis: Führungspersönlichkeiten wissen, dass die Mitarbeiter eines Unternehmens Regeln und Vorschriften haben, dass sie eine Kultur und Traditionen haben und dass sie Bedürfnisse haben, auf die das Unternehmen in geeignetem Maße eingehen muss. Sie müssen den Charakter des Unternehmens verstehen und erkennen, dass sie dafür verantwortlich sind, diesen Charakter zu entwickeln und, wenn nötig, in einigen Aspekten zu verändern.

7. Menschenkenntnis: Führungspersönlichkeiten wissen, dass jeder Mensch anders ist. Sie können effektiv Beziehungen zu Menschen herstellen, wissen, was sie von anderen lernen können und wie sie Mitarbeiter loben, kritisieren, beraten oder anleiten sollten.

In Hunderten von Büchern wird beschrieben, welche Eigenschaften eine Führungskraft haben sollte und wie wir lernen können, eine „große“ Führungspersönlichkeit zu werden. Jedes dieser Bücher bietet andere Rezepte. Tatsache ist jedoch, dass jeder anders führt und dass es keine Patentrezepte gibt, nach denen sich Führung erlernen lässt. Der Dalai- Lama ist aber überzeugt, dass Menschen, die über das richtige Potenzial verfügen und vor allem lernen, mit geschultem Geist zu denken und zu handeln, ihre Führungsqualitäten erheblich steigern können. (...)

In der buddhistischen Lehre gibt es zahllose Listen, die beim Umgang mit verschiedenen Problemen helfen sollen. Wir haben eine ausgewählt, die für Führungskräfte besonders hilfreich ist, die sogenannten Acht Weltlichen Belange. In dieser Liste geht es um Zustände oder Ereignisse, die jeder von uns kennt: Lob und Kritik, Erfolg und Misserfolg, Gewinn und Verlust, guter Ruf und schlechtes Renommee.

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