"Führen, Gestalten, Bewegen" Dalai Lama: Exklusiver Vorabdruck

Seite 3/3

Die Acht Weltlichen Belange werden in scheinbar verwirrender Form dargestellt, doch das ist Absicht. Sie bestehen aus vier Paaren, die einander zu widersprechen scheinen:

- Wir fühlen uns verletzt, wenn uns jemand beleidigt oder herabsetzt. Wir freuen uns, wenn uns jemand lobt.

- Wir sind niedergeschlagen, wenn wir einen Misserfolg erleben. Wir sind glücklich, wenn wir einen Erfolg erleben.

- Wir fühlen uns mutlos, wenn wir arm werden. Wir freuen uns, wenn wir reich werden.

- Wir ärgern uns, wenn man uns die Anerkennung verweigert. Wir sind zufrieden, wenn wir Berühmtheit erlangen.

Sehen wir uns das erste Paar an. Es erscheint uns völlig selbstverständlich, dass wir uns durch eine Beleidigung verletzt fühlen und uns über ein Lob freuen. Doch so natürlich diese Reaktion auch erscheinen mag, für einen Menschen mit geschultem Geist ist sie falsch. Wenn ein Mensch mit einem ungeschulten Geist herabgesetzt wird, empfindet er Schmerz oder Ärger. Ein Mensch mit einem geschulten Geist reagiert anders. Er fragt sich: „Was sind die Motive des Menschen, der mich herabsetzt? Ist er in der Lage, ein kompetentes Urteil zu fällen? Ist seine Meinung gerechtfertigt?“ Ist die Meinung tatsächlich gerechtfertigt, kann der Angesprochene etwas lernen und sollte einräumen, dass er bedauerlicherweise einen Fehler gemacht hat. Ist die Meinung nicht gerechtfertigt, sollte er dies begründen. Handelt der andere aus Boshaftigkeit, erkennt der Mensch mit dem geschulten Geist dies als Gelegenheit, zu überprüfen, inwieweit er in der Lage ist, ruhig zu bleiben und keine negativen Emotionen wie Ärger zu empfinden. Seine Reaktion sollte in jedem Fall davon abhängen, zu welchem Schluss er mit seinen Überlegungen kommt.

Dasselbe gilt für seine Reaktion auf Lob: Welche Motive hat der Mensch, der das Lob ausspricht? Kann er die Leistung tatsächlich beurteilen? Ist sein Urteil wertvoll, oder geht es ihm nur darum, eine Freude zu machen, oder schlimmer, sich einzuschmeicheln, um eine Gegenleistung zu erhalten? Lob und Kritik müssen leidenschaftslos nach ihrem tatsächlichen Wert beurteilt werden. Wir sollten nicht aus der Motivation heraus handeln, Kritik zu vermeiden oder Lob zu ernten, sondern um das Richtige zu tun.

Dieselben Überlegungen sollten im Falle der übrigen Paare angestellt werden. Es erscheint uns völlig selbstverständlich, dass wir uns niedergeschlagen fühlen, wenn wir einen Misserfolg erleben, oder dass wir glücklich sind, wenn wir einen Erfolg erleben. Doch Niedergeschlagenheit ist eine negative Emotion und hat keinerlei positiven Wert. Sie gibt uns keine zusätzliche Energie, um ein Problem zu lösen, sondern im Gegenteil, sie nimmt uns Energie. Ein Mensch mit geschultem Geist analysiert deshalb, ob der Misserfolg auf einen Fehler zurückgeht, den er selbst begangen hat, oder auf äußere Umstände. Wenn es sich um einen Fehler handelt, was lässt sich daraus lernen, um in Zukunft ähnliche Fehler zu vermeiden? Wenn wir uns über einen Erfolg freuen, dämpft dies unsere Energie nicht, sondern es steigert sie. Es besteht jedoch die Gefahr, dass wir meinen, der Erfolg sei allein unserer eigenen Genialität geschuldet, weshalb auch sämtliche zukünftigen Handlungen von Erfolg gekrönt sein müssten. Jeder Erfolg ist das Resultat eines Zusammenspiels verschiedener Ursachen. Unsere Entscheidung war möglicherweise nur einer von vielen Faktoren. Wir müssen den Beitrag anerkennen, den andere Menschen und verschiedene Umstände zu unserem Erfolg geleistet haben. Zudem wäre es gefährlich, zu glauben, dass wir mit allem Erfolg haben, was wir angehen, denn auf diese Weise entwickeln wir leicht Arroganz und falschen Stolz.

Auch das dritte Paar erscheint uns völlig natürlich: Wir fühlen uns mutlos, wenn wir arm werden, und freuen uns, wenn wir reich werden. Niemand tut etwas mit dem Vorsatz, arm zu werden. Oder aus unternehmerischer Sicht gesprochen, kein Unternehmen nimmt sich vor, Verluste zu erwirtschaften. Doch in der Realität kommt es natürlich gelegentlich vor, dass Unternehmen rote Zahlen schreiben. Die richtige Reaktion besteht darin, herauszufinden, wie sich diese Verluste wieder in Gewinne verwandeln lassen. Mutlosigkeit ist eine negative Emotion. Auch Freude über finanzielle und andere Erfolge eines Unternehmens ist natürlich. Doch es besteht das Risiko, zu meinen, der Erfolg müsse von Dauer sein. Wenn nicht die richtigen Entscheidungen getroffen werden, kann das Unternehmen in einigen Jahren Verluste machen. Es ist in Ordnung, sich über Gewinne zu freuen, solange wir nicht annehmen, dass unser Unternehmen weiterhin erfolgreich sein kann, wenn es sich nicht verändert.

Menschen, die sich freuen, wenn sie berühmt werden, haben diese Berühmtheit vermutlich gesucht. Berühmtheit ist wie Reichtum: Sie weckt leicht ein unersättliches Verlangen nach mehr. Dieses Verlangen hat zwei Probleme. Zum einen wird jemand mit einem unstillbaren Verlangen nach Prominenz nie glücklich werden, denn Bekanntheit hat ihre Grenzen. Es wird immer Menschen geben, die noch berühmter sind. Zum anderen ist Berühmtheit nur dann gut, wenn sie das Resultat rechten Handelns ist. Wird sie nur um ihrer selbst willen und ohne Rücksicht auf das Prinzip des rechten Handelns gesucht, ist sie schlecht. Ein ambitionierter Mensch benötigt einen starken Willen, um nicht der Ruhmsucht zu erliegen.

Aus diesen vier Paaren ergibt sich ein Muster: Wir können uns über positive Ereignisse freuen, doch wir sollten uns nicht von ihnen abhängig machen oder meinen, dass sie etwas über die Zukunft aussagen.

(...)

Was Unternehmen tun können

Im Buddhismus ist oft die Rede davon, dass Menschen sich von ihren Begierden freimachen sollen. Mit Begierden sind Bedürfnisse gemeint, die sich nicht befriedigen lassen. Buddha sagte: „Sei zufrieden mit dem, was du hast, aber nie mit dem, was du an Gutem getan hast.“

Buddhisten erkennen, dass der Erwerb von Wohlstand eine der grundlegenden Tätigkeiten des Lebens ist. Konsum und der Aufbau von Wohlstand sind natürlich, doch wenn sie auf verfehlte Art und Weise verfolgt werden, verursachen sie Leid. Jemand, der ohne Grenzen und nur um des Konsumierens willen konsumiert, wird kein Glück finden. Wenn der Wohlstand nicht ehrlich erworben wird, geht er mit Diebstahl oder anderen Formen des Leids einher. Wenn der Wohlstand nicht zum Nutzen anderer eingesetzt wird, macht er weder den Eigentümer noch andere Menschen glücklich. Wenn Wohlstand glücklich machen soll, muss er ehrlich erworben und gut eingesetzt werden.

Ich habe bei zahllosen Gesprächen zugehört und teilgenommen, in denen es um die Frage ging, ob der einzige Sinn eines Unternehmens in der Gewinnmaximierung besteht. Für mich ist die Antwort einfach: Gewinn ist eine überlebensnotwendige Voraussetzung, doch der Sinn eines Unternehmens besteht darin, zum Wohl der Gesellschaft als Ganzes beizutragen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%