Morgens um acht Uhr geht es in der Kantine des Techno Campus Berlin normalerweise um die Wurst: Kantinenmitarbeiter Jeffrey Mann belegt Stullen mit Salami und Putenbrust und stapelt sie in der Verkaufsvitrine. Frühstück für die hier arbeitenden Techies. Heute beginnt der Tag für den jungen Koch jedoch an der Wokstation. Dort wartet schon ein großer Korb mit Zutaten: Zitronengras, Chinakohl, Pak Choi, Ingwer, Babymais. Zusammengestellt von Siripen Lingk.
Die 36-jährige Thailänderin ist hier, um den Kantinenköchen die Feinheiten ihrer Heimatküche zu demonstrieren. Im Herbst soll in der Kantine des ehemaligen Siemenswerks eine kulinarische Woche stattfinden. Motto: „Thailand – Kitchen of the World“. Lingk wird sie leiten.
Die thailändische Köchin ist die Chefin von „Glücksmädchen“, einem Berliner Cateringunternehmen. Seit 2015 bietet sie auch Kantinenworkshops an: eine Mischung aus Mitarbeiterschulung und Kochevent. Eine Woche lang bereitet Lingk gemeinsam mit zwei eigens dafür abgestellten Köchen dann jeden Tag ein typisch thailändisches Menü zu, das sie in der Kantine anbietet.
Zum Beispiel Phad Kiew Wan Gai, im Wok geschwenkte Nudeln mit Huhn und grüner Currysauce. Die Kantinenköche lernen, wie man Gemüse in Palmzucker karamellisiert und welche Konsistenz ein perfekter Klebreis haben sollte. 40 solcher Events hat die Thailänderin in den vergangenen 18 Monaten in Kantinen des Betreibers Aramark durchgeführt. Unter anderem bei VW in Sachsen und bei Vodafone in Düsseldorf. Jedes Mal erreicht sie damit Tausende Kantinengäste. Gebucht wird Siripen Lingk aber nicht vom Kantinenbetreiber. Ihr Auftraggeber ist die Königliche Thailändische Regierung. Mit ihren Messern und Zutaten ist Lingk in einer Art diplomatischer Mission unterwegs: Die Köchin promotet ihr Land – und seine Küche.
Häppchenweise Kultur
Experten sprechen von Gastrodiplomatie. Die findet immer dann statt, wenn das kulturelle Erbe einer Nation über ihre kulinarischen Spezialitäten bekannter gemacht wird. Oft geschieht das ohne politische Intention – wenn zum Beispiel Einwanderer Rezepte aus ihrer Heimat mit ins Land bringen. So wie in der Berliner Markthalle 9. Dort gibt es jeden Donnerstag Streetfood: koreanische Kimchi-Pfannkuchen, britische Pies, peruanische Ceviche, nigerianisches FuFu.
Besucher kommen so in Kontakt mit den Köchen und Küchen dieser Welt, häppchenweise, interessieren sich dadurch vielleicht mehr für die jeweiligen Länder, schauen sich mehr Filme aus Peru oder Nigeria an und überlegen, dort Urlaub zu machen. Oder versuchen, die Gerichte zu Hause nachzukochen, mit möglichst authentischen Zutaten. Wenn es den Kimchi nicht im deutschen Supermarkt gibt, kaufen sie den eben im koreanischen Lebensmittelgeschäft. Auf all diesen Wegen der Gastrodiplomatie wird Kultur transportiert und die Wirtschaft angekurbelt.
Zusammenarbeit als Weiterbildungsmaßnahme
Auch der Kantinenbetreiber Aramark kauft für die Kochevents mit Siripen Lingk original thailändische Zutaten ein: Kokosmilch ohne Zusatzstoffe zum Beispiel.
Für Eric Klemm, Leiter Eventcatering, kein Problem: „Wir sehen die Zusammenarbeit als eine Weiterbildungsmaßnahme für unsere Köche. Und als Angebot an unsere Gäste“, sagt er. „Die thailändische Küche ist ohnehin beliebt. Wenn Frau Lingk hinterm Counter steht, ist klar: Hier wird authentisch gekocht. Das kommt extrem gut an.“
Im Diplomatengepäck ist Gastrodiplomatie ein verhältnismäßig neues Werkzeug. Dabei beruht sie auf einer uralten Erkenntnis: Essen bringt Menschen zusammen. Und es fördert den Wohlstand. Die Römer belieferten die Germanen zum Beispiel mit Säcken voll Pfeffer und Gewürznelken und veränderten so deren Koch- und Lebensgewohnheiten. Seit einigen Jahren werden solche kulinarischen Exporte gezielt vorangetrieben. Essen appelliert an die Sinne und Gefühle. „Menschen mit den Spezialitäten eines Landes vertraut zu machen, kann helfen, Vorurteile abzubauen und Sympathien zu wecken“, sagt Johanna Mendelson-Forman. Sie ist Expertin für Sicherheitspolitik und unterrichtet an der American University, einer Schule für Außenpolitik in Washington. Gastrodiplomatie ist Teil des Lehrplans: Sie richtet sich nicht an die politischen Eliten anderer Länder, sondern an die Bürger. „Deswegen wird sie vor allem von den Mittelmächten betrieben“, sagt Mendelson-Forman. Also von Staaten, die auf dem internationalen Parkett nicht so viel zu sagen haben.
Wie zum Beispiel Südkorea. Um seine Position in Asien zu verbessern, beschloss das Land, dem thailändischen Vorbild zu folgen und die globalen Märkte mit Hansik, der koreanischen Küche, zu infiltrieren. 2009 gründete die Regierung die Hansik Globalization Development Agency und stellte ihr 70 Millionen Euro zur Verfügung. Bis 2017 werden damit koreanische Spezialitäten promotet. Aber nicht nur: „In Hansik wurzelt die Philosophie und Tradition unseres Landes, unsere Küche birgt unsere Kultur, unseren Geist und 5000 Jahre Geschichte“, so Chung Woon-chun, früher Minister für Lebensmittel, Fischerei, Agrar- und Forstwirtschaft.
Den Fokus auf die Kochkunst zu lenken, kann das Image eines Landes dramatisch verbessern. „Peru gelang es auf diese Weise, sich nach dem Terror des Leuchtenden Pfads in den Neunzigern quasi neu zu erfinden“, sagt Mendelson-Forman. „Heute gilt das Land als das Reiseziel für Gourmets.“
Das Chef Corps der Hillary Clinton
Solche Effekte bleiben auch den führenden Mächten nicht verborgen. Seit 2005 ist die Verbreitung der eigenen Esskultur – speziell: Sushi – erklärtes Ziel der japanischen Regierung. Mendelson-Forman: „Kochkunst zählt heutzutage zu den sogenannten weichen Machtinstrumenten der Politik. Sie werden immer wichtiger.“ Ein Indikator dafür: das 2012 von der damaligen Außenministerin Hillary Clinton geschaffene Chef Corps, eine Truppe von 80 Köchen, darunter auch der Chefkoch des Weißen Hauses, die mit dem Ziel um die Welt reist, die Küche der USA bekannter zu machen. „Essen ist die älteste Form der Diplomatie“, so Clinton damals. Auch eine Supermacht möchte in aller Munde sein. „Die Küche eines Landes zeigt dieses von seiner positiven Seite. Sie betont dessen Einzigartigkeit und lockt bestenfalls Touristen an“, sagt Mendelson-Forman.
Die sieben Erfolgsfaktoren gesunder Ernährung
“Buy fresh, eat fresh”: Frisches kaufen, Frisches essen”
Zucker vermeiden
Weizenmehl vermeiden
“Frankenfoods” (Frankenstein Food), also Nahrungsmittel aus genetisch veränderten Pflanzen oder Tieren vermeiden
Gute Proteine wie (Hühner-)Fleisch, Nüsse und Körner essen
Gute Fette verwenden; sie machen nicht fett, denn die Übeltäter sind Zucker und Weißmehl
Phytonutrients, also Phytonährstoffe, sind Nährstoffe in pflanzlichen Lebensmitteln. Sie sind, anders als Vitamine, nicht lebensnotwendig. Aber sie halten gesund und fit und sollen die Lebenserwartung verlängern.
Kaum jemand ist so gut darin, kulinarische Beziehungen zu pflegen, wie die Thais. „Essen ist die Seele unseres Landes. Deutsche fragen: ‚Wie geht’s?‘ In Thailand fragen wir: ‚Hast du schon gegessen?‘“, sagt Siripen Lingk. Die grazile Köchin mit dem schwarzen Zopf hat ihre Messer ausgepackt und erklärt, wie Zutaten geschnitten werden müssen, damit am Ende nicht irgendein Eintopf herauskommt, sondern authentisches Geang Jeud Gon Geaw – Gemüsesuppe mit gefüllten Rambutan. In ihrem Heimatland ließ Lingk sich zur Köchin ausbilden, vor 16 Jahren kam sie nach Deutschland, um für die Kempinski-Gruppe zu arbeiten. Zuletzt war sie im exklusiven China Club des Berliner Hotels Adlon angestellt.
Landesküche in Kantinendimensionen
2007 kündigte sie die prestigeträchtige Stelle, um sich etwas Eigenes aufzubauen. „Ich wollte meine Kultur, meine Heimat vertreten.“ Heute beschäftigt Lingk in ihrem Cateringunternehmen fünf Mitarbeiter und einen Pool wechselnder Servicekräfte. Kocht bei Events und neuerdings auch im Fernsehen, in der „Karawane der Köche“ auf Sat.1. Die Zusammenarbeit mit der Königlichen Thailändischen Regierung ergab sich 2014. Die Vertretung in Berlin suchte einen selbstständigen Koch für ein neues Gastrodiplomatie-Programm. Voraussetzung: exzellente Repräsentation der Landesküche und die Fähigkeit, diese auch in Kantinendimensionen zuzubereiten. Was gar nicht so einfach ist. Fertig geschnittene Convenience-Möhrchen? Nicht für ihre Rezepte, sagt Lingk. „Gemüse, Kräuter, alles wird frisch geschnitten.“ Für bis zu 500 Portionen pro Gericht.
Siripen Lingk in deutsche Kantinen zu entsenden ist nur eine von vielen gastrodiplomatischen Maßnahmen der thailändischen Regierung. 2002 initiierte sie das wohl erste Programm dieser Art überhaupt: „Global Thai“. Mit der Absicht, die Zahl der Thai-Restaurants weltweit zu erhöhen. Thailänder, die ein Restaurant im Ausland eröffneten, erhielten finanzielle Unterstützung. Aus 5500 Restaurants sollten so in einem Jahr 8000 werden. „Mittlerweile gibt es mehr als 15.000 Thai-Restaurants in der ganzen Welt, die das Thai-Select-Zeichen tragen“, sagt der Gesandte-Botschaftsrat Virajit Suwanpradith. Thai-Select ist ein seit 2006 vom Wirtschaftsministerium vergebenes Gütesiegel für authentische thailändische Küche. Natürlich gibt es daneben etliche Restaurants, die ebenfalls thailändisch kochen. Nur eben ohne Marketingunterstützung und Schulung durch die Regierung.
Als Gesandter-Botschaftsrat für Wirtschaftsangelegenheiten ist Suwanpradith zuständig für alle gastrodiplomatischen Maßnahmen in Deutschland, die unter dem globalen Dach „Kitchen of the World“ firmieren. Ein ehrgeiziges Programm. Suwanpradith zählt auf: „Aufstieg Thailands unter die Top 5 der Lebensmittelexporteure weltweit. Eröffnung von neuen thailändischen Restaurants im Ausland. Ausbau der bestehenden Restaurants, um sie zur Anlaufstelle für Menschen zu machen, die sich für unser Land, seine Produkte und Kultur interessieren.“
500 Millionen Baht stellte die Regierung dafür 2004 bereit, etwa zehn Millionen Euro. Ursprünglich war Kitchen of the World auf drei Jahre angelegt. Dass das Programm noch immer läuft, scheint ein Indiz für seine Effizienz zu sein. 2014 betrugen Thailands Exporteinnahmen durch Lebensmittel mehr als 22 Milliarden Euro. Sriracha, die scharfe Chilisauce, boomt – vor allem in den USA. Und kaum ein Land exportiert so viele tropische Früchte. „China kauft ganze Durian-Plantagen leer“, sagt Suwanpradith. Zum Vergleich: Deutschland, eine Agrarsupermacht, führte 2015 Lebensmittel im Wert von 55,3 Milliarden Euro aus.
Krabbenküchlein statt Austern
Auch der Tourismus profitiert von den gastrodiplomatischen Bemühungen. Laut Schätzung der Weltorganisation UNWTO erwirtschaftete die thailändische Tourismusindustrie 2015 mehr als 40 Milliarden Euro – obwohl 2014 ein Jahr politischer Unruhen war. Viele Besucher kommen nicht zuletzt wegen des Essens nach Thailand. Wenn es nach Virajit Suwanpradith geht, sollen Grünes Curry und Jasminreis bald so selbstverständlich in deutsche Einkaufskörbe wandern wie Spaghetti und Mozzarella.
Helfen könnte dabei auch, dass die Karstadt-Luxuswarenhäuser KaDeWe in Berlin, Alsterhaus in Hamburg und Oberpollinger in München seit Juni vergangenen Jahres mehrheitlich der thailändischen Central Group gehören. Klar, dass in den Gourmetabteilungen nun auch auf thailändisches Essen gesetzt wird. Statt Austern gibt es dann zum After-Shopping-Champagner Krabbenküchlein – auch das ist Gastrodiplomatie.