Gastrosophie Wer gut isst, kann besser denken

Gastronomen entdecken den antiken Gedanken vom „guten Leben“ und verbinden Bio-Lebensmittel aus der Region mit Kunst und Kultur. Der ganzheitliche Blick auf Ernährung wird gerade landesweit wiederentdeckt.

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Gespräch am Tisch. Quelle: Werner Schuering für WirtschaftsWoche

Es ist sommerwarm, Mittwochabend, und Ulrich Krauss kocht einen Teppich. Zehn Gäste haben sich in seiner Hinterhof-Galerie in Berlin-Mitte eingefunden. Ein älterer Herr mit Hut ist dabei, ein jüngeres Pärchen und ein Alt-68er mit Indianerschmuck, ihnen gegenüber sitzen drei junge Frauen und eine kleine Familie. Gespannt lauschen sie den Worten des Gastgebers, der in weißen Turnschuhen vor ihnen steht, ein Küchentuch lässig über die Schulter geworfen. Hinter Krauss, auf drei schlichten weißen Sperrholzbrettern: die Kunst. Vor Krauss, auf der festlich eingedeckten, langen Tafel: die Küche. Und – was hat das eine mit dem anderen zu tun?

Alles Interpretationssache. Und dafür ist Krauss zuständig, der gelernte Koch und Galerist, der seine beiden Berufe zum Trend verbindet: „Ich passe mein Menü an das Werk der Künstler an.“ Im Moment stammt es von einem Schweizer Künstlerduo, das Werbefotos von Lebensmitteln auf Pappe klebt und zu kleinen Collagen zusammensteckt. Das Ergebnis erinnert ein bisschen an bunte Dinosaurier aus Sperrholz.

Die Dinos stehen in Regalen hinter dem Esstisch, aufgereiht zur Parade, ausgestellt wie Preziosen. „Die Skulpturen sind dreidimensional“, sagt Krauss, „mein Menü habe ich hingegen zweidimensional gestaltet, wie einen Teppich. Meine dritte Dimension ist der Geschmack.“

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Dann darf der Teppich verkostet werden. Der erste von drei Gängen, auf einer großen silberfarbenen Platte serviert, sieht aus wie ein gelbgrüner Läufer. Weißer und grüner Spargel, bedeckt von einer gelben Safran-Hollandaise, schmiegt sich an knackige Salatherzen, mit grünem Pesto gefüllt. Links und rechts fügen sich nahtlos wilder Brokkoli, marinierter gelber Chicorée und rosa Lachsforelle ins Bild.

Biozutaten aus der Region

Die Zutaten? Viel Bio, meistens regional, von bester Qualität, verspricht Krauss. Er hat einen Haus- und Hoflieferanten in der Uckermark, der ihn mit Fleisch, Geflügel und Gemüse beliefert. Denn neben der Verbindung von Kunst und Kultur steht bei Krauss immer auch die Moral auf dem Tisch.

Gastrosophie ist der Begriff für das, was er seinen Gästen kredenzt: eine Melange aus gutem Essen und sinnreich verbrachter Zeit. Ein Statement des Genusses und der Besinnung wider die globale, auf Effizienz getrimmte Arbeitswelt und Nahrungsmittelindustrie. Die Gastrosophie ist eine bereits in der Antike begründete Disziplin der Philosophie, die gerade landesweit wiederentdeckt wird.

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„Sie schaut mit einem ganzheitlichen Blick auf das Thema Ernährung“, sagt Harald Lemke, der am Interdisziplinären Zentrum für Gastrosophie an der Universität Salzburg lehrt. Neben Kunst und Kultur gehört etwa auch die Landwirtschaft dazu. Dabei vor allem die optimale Nutzung von Ressourcen. Aber auch die Frage, ob und wie eine gesunde Ernährung Krankheiten wie Diabetes oder Fettleibigkeit verhindern kann. Und natürlich kreist die Gastrosophie auch um das Thema Politik: Welche Auswirkungen hat das geplante Freihandelsabkommen TTIP auf unsere Nahrung? Wie gehen Verbraucher mit genmanipulierten Gemüse- oder Getreidesorten um?

Kurzum, die Gastrosophie verbindet gutes Essen mit weitreichenden Gedanken.

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