Geplante Obsoleszenz Wenn Murks zum Verkaufsprogramm wird

Produzieren für die Mülltonne? Bislang hielt man das für einen Mythos. Doch Produkte mit absichtlich eingebauten Schwachstellen sind allgegenwärtig. Aktivisten machen dagegen mobil.

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Geplante Obsoleszenz bei bekannten Qualitätsprodukten Quelle: rtr

Turnschuhe, deren Sohle sich von selbst auflöst. Ein Handmixer, der keine Sahne mehr schlägt, weil seine Plastikzahnräder sich gegenseitig ausfräsen. Ein Drucker, der schon nach einigen Hundert Seiten eine neue Tonerkartusche haben will. Aber warum funktioniert das alte Röhrenradio auch nach 60 Jahren noch, während der Touchscreen des Handys nach zwei Jahren nicht mehr macht, was er soll?

Geht es da mit rechten Dingen zu? Oder hat Arthur Millers trauriger Held Willy Loman in „Tod eines Handlungsreisenden“ doch recht? „Die planen diese Dinge“, sagt er, als er merkt, dass sein Kühlschrank kaputt ist, für den er gerade erst die letzte Rate bezahlt hat.

Damals, 1949, war das von Miller vermutlich nicht als konkrete Anklage gegen die Konsumgüterindustrie gedacht, sondern sollte das verzweifelte Gemüt des armen Handlungsreisenden zeigen, der glaubt, dass sich die Welt gegen ihn verschworen hat.

Kreative Ideen fürs alte Smartphone oder Tablet
Alte Handys und Smartphones lassen sich gut als Notfallgeräte im Auto einsetzen. Egal ob zu Dokumentationszwecken, beispielsweise um Fotos von Blechschäden zu machen, oder als immer griffbereites Notruftelefon. Wichtig ist, dass man regelmäßig den Akku überprüft, damit das Gerät im Ernstfall einsatzbereit ist. Quelle: dpa
Wer Kinder hat, der kann ihnen seine ausrangierten Geräte zur Verfügung stellen. Zum Spielen reichen die alten Handys meistens noch aus, ebenso wie für kurze Telefonate. Quelle: dpa
Ein Tipp für alle, die viel mit Zahlen hantieren: Die meisten Handys verfügen über einen integrierten Taschenrechner. Quelle: dpa
Für Seltenreisende: Ausgediente Smartphones lassen sich oft noch sehr gut als stationäre Navigationsgeräte nutzen. Bei den meisten Geräten ist grundlegendes Kartenmaterial verfügbar, sowohl kostenpflichtig als auch gratis, manche setzen allerdings eine vorhandene Datenverbindung voraus. Quelle: REUTERS
Ausgediente Tablets müssen nicht weggeworfen werden, wenn sie technisch noch in Ordnung sind. Wie wäre es zum Beispiel mit einer Nutzung als digitaler Bilderrahmen? Quelle: AP
Viel unterwegs und keine Lust, Geld in einen WiFi-Hotspot zu investieren? Viele Mobilgeräte bieten die Möglichkeit, sie als einen eben solchen zu benutzen. Es empfiehlt sich bei dieser Nutzung, einen mobilen Datentarif zu haben, der nicht zu teuer ist. Quelle: dpa
Big Brother is watching you: Spezielle Smartphone-Apps ermöglichen es, iPhone und Co. zur Videoüberwachung zu nutzen. Eine sind sogar mit Bewegungs- und Geräuschmelder ausgestattet, um den Akku zu schonen. Ein gutes und solides Beispiel für solche Apps: AirBeam für iOS. Quelle: dpa

Heute ist Lomans Klage nicht mehr so einfach als Mythos oder Verschwörungstheorie abzutun, meint Stefan Schridde. Der Betriebswirt, Ex-Manager und Coach hat sich den Kampf gegen die „geplante Obsoleszenz“ zur Aufgabe gemacht. Also gegen Strategien und Vorgehensweise von Herstellern und Händlern, die durch Verkürzung der Nutzungszyklen den Neukauf von Produkten beschleunigen wollen.

Sein vor kurzem gegründeter Verein „Murks? Nein Danke!“ und sein gleichnamiges Buch, das gerade erschienen ist, sind die Ergebnisse eines Blogs. Er erhielt dort über 3000 Meldungen, oft von Ingenieuren betreffender Unternehmen, die geplanten Murks offenbarten.

Waschmaschinen werden zu Wegwerfartikeln

Computerbildschirme, in denen hitzeempfindliche Bauteile unnötigerweise direkt neben Hitzequellen eingebaut wurden; einen Staubsauger (von Miele!), dessen Filterhalterung schnell bricht; einen Drehstuhl, dessen Scharniere aus weichem Plastik statt abriebfestem Eisen bestehen. Im „Murksbarometer“ sind reichlich große Namen vertreten, ganz oben finden sich Marken wie Philips, Samsung, Apple, Panasonic, aber auch Ikonen des „Made in Germany“ wie Bosch und Bauknecht.

Waschmaschinen scheinen ein besonders beliebtes Objekt für eingebaute Sollschwachstellen zu sein. „In jeder Waschmaschine ist eine Heizspirale, die seit rund 30 Jahren zu Ende entwickelt ist“, sagt Schridde. „Doch die Reparaturhäufigkeit dieses Teils hat sich in derselben Zeit verfünffacht. Dieses Bauelement wurde also so verändert, dass es weniger lange hält. Bei vielen anderen Konsumgütern gilt ähnliches.“

Stefan Schriddes Buch

Auch Sepp Eisenriegler, Gründer und Geschäftsführer des Reparatur- und Service-Zentrums (R.U.S.Z.) in Wien, klagt über „Wegwerfmaschinen“, deren Kugellager nicht in Gusseisen, sondern in Plastik eingebettet ist, so dass sie, einmal ausgeschlagen, nicht mehr zu reparieren sind.

Ein anderes Beispiel: Tonerkartuschen von Druckern haben meist versteckte Zählwerke. Sie sorgen dafür, dass das Gerät nach einer festgelegten Zahl von Ausdrucken meldet, ein Wechsel sei fällig. Dass diese Kartuschen unverhältnismäßig teuer sind, weiß jeder, der schon mal eine gekauft hat.

„Da verdient ein Unternehmen nicht am eigentlichen Produkt, sondern daran, dass es diese Verschleißteile sehr teuer verkauft“, sagte Eisenriegler im Gespräch mit dem ORF. „Es geht sogar so weit, dass es manchmal lohnender ist, einen ganzen Drucker inklusive Kartuschenset zu kaufen als nur die Kartuschen alleine.“

Ein Zeichen betriebswirtschaftslicher Hilflosigkeit

Hersteller reden sich meist damit heraus, diese Maßnahmen dienten der Qualitätssicherung. Doch dann wäre zumindest ein deutlicher Hinweis an den Käufer fällig, wie man das Gerät trotzdem weiter betreiben kann. Doch der fehlt in aller Regel. Die Stiftung Warentest hat 2013 bei einem Test von Waschmaschinen keine Belege gefunden, „dass gezielt ein frühzeitiger Verschleiß von Produkten herbeigeführt wird.“

Doch „Möglichkeiten dafür“ gebe es viele, räumen die Autoren ein und listen die „Tricks“ auf: „hohe Reparaturkosten, fest eingebaute Akkus, fehlende Ersatzteile, Drucker, die fälschlich leere Patronen anzeigen oder Produkte, die sich nicht reparieren lassen“.

Was mit unserem Müll passiert
Insgesamt betrug das Abfallaufkommen im letzten Jahr in Deutschland rund 343 Millionen Tonnen, 36,7 Millionen Tonnen davon waren Hausabfälle. Das entspricht also 456 Kilogramm Müll pro Einwohner. Seit dem Jahr 2002 ist das Abfallaufkommen zwar leicht gesunken, jedoch wird laut Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit immer noch zu viel Abfall erzeugt. Immerhin: 14 Prozent der Rohstoffe, die die deutsche Wirtschaft einsetzt, werden mittlerweile aus Abfällen gewonnen; entsprechend werden der Abbau von Rohstoffen und die damit verbundenen Umweltbelastungen reduziert. Quelle: dpa
Grund ist die am 8. Mai 1991 beschlossene Verpackungsverordnung, die den Grundstein für die Mülltrennung in Deutschland legte. Von den 456 Kilogramm Müll pro Nase und Jahr sind 164 Kilogramm Restmüll, 113 Kilo Biomüll, und 148 Kilogramm getrennte Wertstoffe, also Papier und Pappe (72 Kilogramm), Glas (24 Kilogramm) und Holz (14 Kilogramm). Pro Einwohner fielen zusätzlich rund 30 Kilogramm Sperrmüll an.Quelle: Statista Quelle: dpa
Die Mülltrennung nutzt aber nicht nur der Umwelt und liefert billige Rohstoffe, sie schafft auch Arbeitsplätze: Fast 200.000 Beschäftigte arbeiten in rund 3.000 Abfallentsorgungs- oder Verarbeitungsbetrieben. Sie machen einen Umsatz von rund 40 Milliarden Euro jährlich. Quelle: dpa
Anders als in vielen anderen Ländern landen unsere Abfälle eher selten auf Deponien zum Verrotten. Zuvor müssen sie in irgendeiner Art und Weise verwertet werden. Hausmülldeponien beispielsweise dürfen seit Mitte 2005 nur noch vorbehandelte Abfälle aufnehmen, bei denen organische Bestandteile nahezu völlig entfernt sind. Anders sieht es beispielsweise in Bulgarien, Rumänien, Griechenland oder Polen aus, wo mehr als 70 Prozent der Abfälle auf Deponien landen. Quelle: dpa
Ein großer Teil der Abfälle in Deutschland, nämlich 35 Prozent, werden deshalb in Müllverbrennungsanlagen verbrannt. Die Überreste landen dann auf der Deponie. Die Energie, die bei der Verbrennung entsteht, wird vielfach zur Erzeugung von Strom oder zum Heizen verwendet. Wir heizen also mit unserem Müll. Quelle: ZB
Immerhin 18 Prozent unserer Abfälle kompostieren wir. Quelle: dpa
47 Prozent der kommunalen Abfälle werden recycelt - damit ist Deutschland der Wiederverwertungskönig innerhalb der 28 EU-Staaten. In keinem anderen Land wird ein so großer Anteil der kommunalen Abfälle noch einmal verwendet. Quelle: AP

Wie das geht, zeigt zum Beispiel Bosch mit seinem Akku-Rasenmäher rotak 43 li, über den sich ein Haiko P. am 20. Mai 2014 beschwert: Der Akku habe kurz nach Ablauf der zweijährigen Garantie den Geist aufgegeben. Der Ersatz koste 100 Euro. „Die Akkuzellen“, schreibt Haiko P., „sind verlötet, sodass nur sehr schwer festgestellt werden kann, welche kaputt ist. Eine Zelle kostet ungefähr 3 Euro. Man braucht Spezialwerkzeug, um an das Innenleben heranzukommen. Der Akku könnte auch nur verschraubt sein, ohne Komforteinbußen.“ Absicht oder einfach nur Nachlässigkeit der Bosch-Entwickler?

Verantwortung des Managements

Die Frage der Vorsätzlichkeit sei natürlich nicht durch technische Tests nachweisbar, sondern allenfalls vor Gericht zu klären, wendet Schridde ein. „Manchmal hat das einfach mit schlechter Kommunikation von Beschaffung und Ingenieuren zu tun. Aber das ändert nichts an der Verantwortung des Managements. Wenn es billigend in Kauf nimmt, dass ein Produkt nur begeistern aber nicht haltbar sein soll, ist das schließlich eine gewollte Unterlassung.“

Der Einwand von Unternehmen, Verbänden und anderen Skeptikern der geplanten Obsoleszenz: Welcher Hersteller sollte aus dem Murks ein System machen? Beschädigt das nicht seine Marke? Schridde hält diese Argumente, die er auch von Unternehmen und Verbänden hört, für „Nebelkerzen“. Die Hersteller produzierten nicht so sehr direkt für den Konsumenten, sondern für den Handel. Und der habe beim Einkauf nicht dasselbe Interesse wie der Konsument.

„Geplante Obsoleszenz ist ein Zeichen der Hilflosigkeit der Betriebswirte: In dem Moment, wo ein Markt gesättigt ist, fällt ihnen nichts Besseres ein als die Umschlagshäufigkeit im Sortiment hoch zu drehen“, sagt Schridde. Eisenriegler sieht das genauso: „Die Optimierung für die Hersteller im Sinne von "wie kann ich viel verkaufen" hat erst stattgefunden, seitdem eine gewisse Marktsättigung eingetreten ist. Die haben wir eindeutig bei Haushaltsgeräten.“

Wie wird Obsoleszenz obsolet?

Geplante Obsoleszenz ist aus zwei Gründen ein Ärgernis. Es ist erstens ein Betrug am Kunden, der gezwungen wird, Dinge zu ersetzen, die eigentlich noch funktionieren. In einer im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen 2013 erstellten Studie hat Schridde ausgerechnet, dass die deutschen Haushalte 100 Milliarden Euro im Jahr sparen würden, wenn die Produkte nur so lange hielten wie vor dreißig Jahren.

Dieses Geld bleibt also übrig, um andere Dinge zu kaufen, möglichst dezentral gefertigt für regionale Märkte. „Haltbarkeit ist so gesehen ein Konjunkturprogramm“, behauptet Schridde.

Das zweite und größere Ärgernis ist die absurde Verschwendung von Ressourcen, die sich innerhalb kürzester Zeit in Müll verwandeln. „Ressourceneffizienz wird in allen Industrieunternehmen verstärkt thematisiert. Aber es macht doch keinen Sinn, solange man weiterhin kurzlebige Produkte herstellt“, sagt Schridde.

Gewollter oder zumindest billigend in Kauf genommener Murks als Massenphänomen sei nur zu verstehen, glaubt Schridde, weil in der gegenwärtigen Wirtschaft grundlegend falsche Prioritäten verfolgt würden: „Unsere Wirtschaft ist von falschen Zielvorstellungen geprägt. Unter der Perspektive einer werdenden Kreislaufgesellschaft gehören die komplett auf den Prüfstand.“

Der Abschied vom Wahnsinn des gewollten Murkses ist darum für Schridde und seine Mitstreiter zunächst eine Frage der Aufklärung des einzelnen Käufers und Nutzers: Murks erkennen, nicht kaufen, haltbare Dinge verlangen, Geräte reparieren (lassen), statt sie gleich zu ersetzen.

Jeder Käufer wird zum Glied der Kette

Wenn man das langfristige Ziel einer ressourcenneutralen Kreislaufwirtschaft ernst nimmt, in der es keinen Müll mehr geben soll, sondern nur Produkte aus wiederverwertbaren Bestandteilen, dann gibt es keinen Endverbraucher mehr, sondern jeder Käufer wird zum Glied einer endlosen Kette.

Aber Obsoleszenz obsolet werden zu lassen, hat auch eine politische Dimension. Frankreich, dem sich Deutschland in ökologischen Angelegenheiten sonst überlegen fühlt, ist da schon weiter. Gerade hat ein Gesetzesentwurf der französischen Grünen in der Pariser Nationalversammlung eine Mehrheit gefunden, der es möglich machen wird Produkthersteller oder – importeure wegen geplanter Obsoleszenz („obsolescence programmée“) zu verurteilen.

Und die Hersteller selbst? Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) hat Schridde schon vor einem Jahr zu einem Vortrag geladen. Das Problem wurde nicht verleugnet. Man sei an einem fairen Diskurs interessiert, verlautete aus dem BDI.

„Ich glaube, viele Betriebe würden gerne rauskommen aus der Nummer“, sagt Schridde. „Sie wissen nur noch nicht wie.“

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