So richtig lebendig ist die Hausfrau wohl nur noch als imaginäre Projektionsfläche für alles angeblich Reaktionäre in der Kampagne gegen das Betreuungsgeld – Kampfbegriff „Herdprämie“. In der realen Welt können es sich die meisten Frauen gar nicht mehr leisten nur am Herd zu stehen. Denn der traditionelle Ernährerlohn, den einst Vati in den goldenen Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zuhause bei Mutti im trauten Heim ablieferte, reicht in den meisten Familien längst nicht mehr aus für einen mittleren Lebensstandard.
Zu dieser Erkenntnis braucht eigentlich niemand die jetzt erschienene Studie der Sozialforscherinnen Irene Dingeldey und Karin Gottschall von der Universität Bremen. Man erfährt es als Durchschnittsverdiener buchstäblich am eigenen Leib.
In den durch Wirtschaftswachstum und Sozialstaatsausbau gekennzeichneten sechziger und siebziger Jahren der alten Bundesrepublik reichte der Verdienst des Mannes tatsächlich aus, um der Familie einen für damalige Verhältnisse guten Lebensstandard zu sichern. Das galt nicht nur für die Einkommen von Beamten sondern auch für die Löhne von männlichen Facharbeitern in den industriellen Kernsektoren. Spätestens seit den 1990er Jahren hat das damit verbundene, traditionelle Leitbild vom männlichen Familienernährer und der Hausfrauenehe jedoch an Bedeutung verloren. Der Druck auf die Einverdiener-Familie kam, wie auch der Soziologe Wolfgang Streeck schon gezeigt hat, von allen Seiten: Einerseits durch den als Emanzipation verstandenen Wunsch der Frauen nach beruflicher Selbstverwirklichung und eigenem Einkommen, also Unabhängigkeit. Andererseits hatten die Arbeitgeber seit den 1970er Jahren ein wachsendes Interesse an der Expansion des Arbeitskräfteangebots. Die neu auf den Markt strömenden Frauen waren und bleiben willkommen, um den Lohnanstieg zu bremsen.
Und das mit Erfolg: Die Ergebnisse des von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler Stiftung finanzierten Projektes zeigen, dass der traditionelle Ernährerlohn nur noch von knapp einem Viertel der männlichen und weiblichen Normalarbeitnehmer erreicht wird. Als Referenzpunkt wird das Lohnniveau berufsfachlich qualifizierter Vollzeiterwerbstätiger in der Metallindustrie genommen.
Zweiverdienerfamilie als Notwendigkeit
Betrachtet man nicht nur die Lohneinkommen, sondern die Einkommen auf Haushaltsebene so wird deutlich, dass vor allem viele weibliche Normalarbeitnehmer in Westdeutschland sowie ostdeutsche männliche und weibliche Normalarbeitnehmer zusätzlich auf staatliche Transferleistungen und auf das Einkommen ihres Lebenspartners angewiesen sind, um „Armut“ zu vermeiden. Wobei man natürlich auch nicht vergessen sollte, wie es die gewerkschaftsnahen Autorinnen der Bremer Studie leider tun, dass das absolute Wohlstandsniveau eines Normalarbeitnehmers und die so genannte Armutsgrenze in den vergangenen Jahrzehnten nach oben entwickelten.
Die Ansprüche eines mittleren Lebensstandards für eine mindestens dreiköpfige Familie kann jedenfalls nur noch ein Viertel der vergleichsweise gut verdienenden männlichen Normalarbeitnehmer in Westdeutschland allein mit einem Einkommen erreichen. Für weibliche Normalarbeitnehmer im Westen, aber auch für ostdeutsche Normalarbeitnehmer liegt der entsprechende Anteil bei unter zehn Prozent.
Faktisch ist damit die Zweiverdienerfamilie zur Voraussetzung für Wohlstandssicherung geworden. Umgekehrt sind insbesondere alleinerziehende Frauen selbst mit qualifizierter Vollzeiterwerbstätigkeit zu mehr als zwei Dritteln nicht in der Lage, den Bedarf ihres Haushalts allein durch ihr Erwerbseinkommen zu decken.
Ob das neue kulturelle Leitbild der erwerbstätigen Frau und veränderte Regelungen in der Arbeitsmarkt- und Familienpolitik, die auf die Erwerbstätigkeit auch von Frauen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie setzen, ein Antreiber oder eine Folge dieses Prozesses sind, ist wohl eine müßige Frage. Vermutlich wurden und werden die Frauen ebenso stark ins Berufsleben gezogen, wie sie selbst hineindrängten. Die Geschichte der Frauenerwerbstätigkeit kann man ebenso als eine der Befreiung der Frauen aus dem Hausfrauendasein erzählen, wie als eine der Zerstörung traditioneller Familienstrukturen und Solidaritätsordnungen. Aus der Perspektive von Sheryl Sandberg ist es eine Befreiungsgeschichte, aus der Perspektive einer Supermarktkassiererin eher das Gegenteil. Sandberg hätte früher nicht arbeiten dürfen, die Kassiererin hätte vielleicht nicht arbeiten müssen.