Gesellschaftliche Debatte Die Intoleranz der Toleranten

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Wo die neue Toleranz aufhört

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will die Bundeswehr familienfreundlich machen. Doch eine Armee ist kein Arbeitgeber wie jeder andere. Militärpfarrer Claus-Jürgen Richter über die wahren Nöte der Soldaten.
von Ferdinand Knauß

Die Fragwürdigkeit des gegenwärtigen Toleranzbegriffs und seine Instrumentalisierung durch ganz spezifische Interessengruppen (Auch Lesben- und Schwulenverbände betreiben Lobby-Arbeit) wird besonders klar, wenn man sich deutlich macht, wie wählerisch er ist. Es gibt nämlich sehr viele Menschengruppen, für die das Toleranzgebot offenbar nicht gilt. Und die darf man auch unter dem Banner der Toleranz mit bestem Gewissen verächtlich machen. Es geht hier nicht um Witze, die man weiterhin über Ostfriesen, Pfälzer oder Blondinen machen darf. Es geht – nur zum Beispiel – um eine gar nicht so kleine Menschengruppe in Deutschland, die man ziemlich ungeniert diskreditieren und sogar völlig ungestraft als Mörder bezeichnen kann. Eine Gruppe, die nicht durch ihre sexuelle Orientierung oder ihre ethnische Herkunft bestimmt ist, sondern dadurch, dass sie im äußersten Fall dazu bereit ist, im Auftrag der Volksvertreter ihr Leben zu riskieren. Sie müssen sich sogar gefallen lassen, dass der feierliche Akt, durch den sie geloben, dies zu tun, von anderen Menschen laut geschmäht wird.

Ein Bundeswehrsoldat, der in Uniform durch Kreuzberg in Berlin oder durchs Schanzenviertel in Hamburg läuft, wird sich mindestens ebenso unerwünscht fühlen, wie ein schwules Paar beim Händchenhalten in einem oberbayrischen Dorf. Der junge Offizier Dominik Wullers berichtet in der „Zeit“ darüber, dass er – als dunkelhäutiger Sohn einer kapverdischen Mutter – noch nie wegen seiner Hautfarbe, aber schon sehr oft wegen seiner Uniform angepöbelt wurde. In Berlin sei er schon angespuckt worden. 

Jeder zehnte Bundesbürger empfindet nach einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Abneigung und sogar Verachtung für Soldaten. Viele Hochschulen haben sich so genannte „Zivilklauseln“ verordnet, das heiß, sie verweigern jede Zusammenarbeit mit der Bundeswehr. Viele Schulen verweigern mit Unterstützung der „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“  den Jugendoffizieren der Bundeswehr den Zutritt zu Schulen. Drei Schulen erhielten dafür 2013 sogar den „Aachener Friedenspreis“. Er wird unter anderem von SPD und Grünen gefördert.

Die Bundeswehr und ihre Uniform ist ein willkommener Blitzableiter für alle, die mal ordentlich Dampf ablassen wollen über „Krieg“ und das Böse in der Welt. Das Praktische daran ist, dass man es völlig gefahrlos und mit bestem Gewissen tun kann, ohne als intolerant oder diskriminierend zu gelten. Weder das Gesetz noch die öffentliche Meinung nehmen Soldaten vor Pöbeleien in Schutz. Nicht einmal die Bundeswehrführung selbst wehrt sich gegen die alltägliche Diskriminierung auf der Straße, in Schulen und Hochschulen.  Das sei das „Schlimmste“ sagt Offizier Wullers.

Bundeswehrsoldaten könnten sich mit gutem Grund als eine diskriminierte Gruppe bezeichnen. Aber wahrscheinlich würden sich die anderen Diskriminierungsopfer nicht wohl fühlen, wenn Soldaten gemeinsam mit ihnen demonstrierten. Da hat die Toleranz dann ihre Grenze.

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