WirtschaftsWoche: Herr Raffelhüschen, einer neuen britischen Studie zufolge sind vermögende Menschen mit ihrem Leben zufriedener. Macht Geld doch glücklich?
Bernd Raffelhüschen: Geld macht immer glücklich, der Volksmund hat hier überhaupt nicht Recht. Jeder der mehr hat, ist zufriedener. Allerdings nimmt - ökonomisch ausgedrückt - der Grenznutzen eines wachsenden Einkommens ab. Wenn jemand 1000 Euro netto verdient und einen Hunderter mehr bekommt, dann ist der Zuwachs an Glück fast linear, also 100 Einheiten. Wenn aber jemand über ein Nettoeinkommen von 5000 Euro verfügt und 100 Euro mehr bekommt, dann ist der Zuwachs an Zufriedenheit deutlich geringer.
Zur Person
Raffelhüschen, 57, ist Professor für Finanzwirtschaft und Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Der Volkswirt forscht seit Jahrzehnten über Sozial- und Steuerpolitik, insbesondere über Gesundheitsökonomie und die Pflegeversorgung. Als Mitglied der „Rürup-Kommission“ arbeitete er zwischen 2002 und 2003 an Vorschläge zur Reformierung des deutschen Sozialsystems mit. Den jährlich erscheinenden Glücksatlas der Deutschen Post betreut der Forscher wissenschaftlich.
Den Zusammenhang zwischen Geld und Glück haben die Briten vor allem bei Aktien und Spareinlagen festgestellt. Warum steigt genau damit die Zufriedenheit?
Wenn man sich anschaut, wer Direktinvestitionen wie Aktienkäufe tätigt, dann sind das fast ausschließlich die gebildeten Schichten. Die haben meist ein hohes Einkommen, sind aber auch mit anderen Dingen des Glücks vertraut. Sie sind agiler in der Gemeinschaft, im Bekannten- und Freundeskreis, und leben bewusster. Ich bin mir sicher, dass es eine hohe Korrelation zwischen Aktienbesitz und sportlicher Betätigung, etwa Joggen, gibt. Auch kulturelle Aktivitäten, die ebenfalls glückstreibend sind, korrelieren damit.
Aber ist Vermögen wirklich der Auslöser? Korrelation und Kausalität sind ja zwei verschiedene Dinge.
Da kann ich nur spekulieren. Wir kennen nie wirklich die Kausalitätsstränge, das betont auch der so genannte Glücksatlas, den ich wissenschaftlich betreue. Das Zusammenspiel vieler Komponenten macht den allgemeinen Zufriedenheitszustand aus, nicht einzelne Faktoren.
Welche Komponenten sind das?
Wir haben vier große Blöcke, die Zufriedenheit erklären. Gesundheit, Geld, Gemeinschaft und die genetische Disposition – also die Frage, ob ich der Typ bin, der das Glas halbvoll oder halbleer sieht. Diese vier G‘s machen das Glück aus. Und die sind eher multiplikativ verknüpft als additiv.
Das heißt in der Praxis?
Wenn jemand in Aktienvermögen schwimmt, sein Gesundheitszustand vom Feinsten ist, die beste Ehe der Welt führt, tolle Freunde hat und kulturell aktiv ist – aber von seiner genetischen Disposition ein echter Frustkopf, dann nützt ihm das ganze Zeug überhaupt nichts. Eine ausgewogene Verteilung der Glückskomponenten hat die größte Hebelwirkung auf die Zufriedenheit.
Referenzgruppe entscheidend für Glücksempfinden
Studien kommen zu dem Schluss, dass Geldausgeben, also der Konsum, nicht unbedingt glückstreibend wirkt. Macht der Lamborghini vor der Tür nicht glücklicher?
Wir haben noch nicht wirklich untersucht, ob der Porsche-Fahrer zufriedener ist als der Mini-Cabrio-Fahrer. Konsumtive Sachwerte sind häufig Statussymbole. So ist im statistischen Durchschnitt der Hanseat häufiger mit der untertriebenen Variante von Sachwerten unterwegs, während der Münchner auch mal einen drauflegt. Zufriedenheit aus Statussymbolen zu beziehen, gelingt auf Dauer nur den Wenigsten.
Bin ich auch glücklicher, wenn ich weiß, dass ich mehr verdiene als mein Nachbar?
Ja, die relative Einkommensposition ist wichtig. Ausschlaggebend für das persönliche Glücksempfinden ist immer auch die Referenzgruppe. Es ist in den Datensätzen immer wieder der Neideffekt zu erkennen. Wenn ich nicht mehr kriege und der Andere auch nicht – dann empfinden das viele das besser, als wenn der Andere deutlich mehr bekommt und man selbst nur ein bisschen.
Ökonomisch rational ist das nicht.
Deswegen sind wir bei unseren wohlfahrtstheoretischen Untersuchungen nur empirisch unterwegs und sagen klar, dass wir kein wirkliches Modell haben, so etwas zu erklären.
Sind junge Menschen, die noch kein Vermögen aufbauen konnte, unglücklich?
Es gibt einen U-förmigen Verlauf von Zufriedenheit im Alter. Der junge Mensch hat ein unheimlich hohes Zufriedenheitsniveau. Am Anfang des Lebens ist man noch etwas blauäugig unterwegs. Mit 30 sackt es dann ab, wenn Karriere und Familie kommen. Eine Familie bedeutet auch Stress, Kinder zu erziehen ist nicht einfach nur ein Glückszustand. Mit 50 oder 55 Jahren steigt die Zufriedenheit dann wieder an. Und der 60- bis 70-Jährige ist ähnlich zufrieden wie der 20- bis 30-Jährige.
Nach Ihrem Glücksatlas 2014 ist das wirtschaftsschwächere Schleswig-Holstein glücklicher als das wohlhabende Bayern. Auf individueller Ebene sind vermögende Menschen aber zufriedener als ärmere. Wie passt das zusammen?
Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen-Nord sind im Glücksatlas immer oben. Nehmen wir das Beispiel Geld. Der Hanseat hat Geld bis zum Abwinken, Hamburg hat das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Bundesrepublik. Dazu wertvolle Immobilienbestände, ein größeres kulturelles Angebot und eine bessere medizinische Versorgung, wie in Großstädten üblich. Hamburg muss also ganz oben mitschwimmen und tut es auch. Die Schleswig-Holsteiner haben eigentlich wenig. Aber offensichtlich haben sie eine genetische Disposition, dass sie aus dem Wenigen eine sehr hohe Zufriedenheit ziehen können. Erstaunlich ist, dass die zufriedensten Menschen Europa auch im Norden leben, ganz in der Nähe von Schleswig-Holstein: Es sind die Dänen.