Günther Ücker "Poesie wird mit dem Hammer gemacht"

Der Düsseldorfer Künstler Günther Ücker erklärt, warum die Arbeit mit Nägeln bis heute eine therapeutische Wirkung auf ihn hat und weshalb Geld einfach auf einen zukommt, wenn man es braucht.

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Günther Uecker in der Kunstsammlung NRW Quelle: dpa Picture-Alliance

Herr Uecker, Sie blicken auf 60 Jahre künstlerisches Schaffen zurück. Sie haben Leinwände beschrieben und Aquarelle gemalt, Bühnenbilder gestaltet, Installationen aus Holz, Schnüren, Sand geschaffen – und doch sind Sie für viele der Nagelkünstler. Ist es ärgerlich, auf dieses Ausdrucksmittel reduziert zu werden?

Es ist unvermeidbar. Flapsig gesagt: Wie Hans ohne Gans, wo bleibt das Glück?

Oder: Den Nagel als Markenzeichen, das hätte sich kein Werber besser ausdenken können.

Gäbe es ein Konzept, einen vorgefertigten Gedanken, wäre meine Arbeit nichts als bloßes Machwerk. Aber der Nagel hat für mich eine zutiefst existenzielle Bedeutung.

Zur Person

Warum?

Weil ich versucht habe, meine Mutter und meine beiden Schwestern vor der Gewalt der russischen Soldaten zu schützen, die meine Heimat Wustrow ab Anfang 1945 besetzt hatten. Ich ha4be das Haus verbarrikadiert, von innen alle Fenster und Türen mit Holzplatten vernagelt. Mein Vater war damals in Ostpommern stationiert, ich war der einzige Mann im Haus. Und der einzige, der es verlassen konnte, durch ein kleines Kellerfenster. Ein Zustand, der über Wochen anhielt, damals war ich gerade 14 Jahre alt. Das war sicher eine traumatische Erfahrung, die atavistisch im Unterbewusstsein vorhanden ist. Die zur Autotherapie drängt – manische Bestimmungen, gebannt im Bild und befreit. Das ist bis heute in vielen Werken sichtbar.

Wann zum ersten Mal?

Als ich an der Akademie in Düsseldorf meine ersten Aktbilder zeichnete. Mit dem Bleistift stocherte ich in den Pupillen und Hautfalten, um sie in verkleinertem Maßstab auf Papier zu bringen – was mir wie eine Lüge vorkam. Bis ich die Staffelei auf einen Schrank stellte und auf der Rückseite ein Papier befestigt habe, um die Modelle in Lebensgröße zu zeichnen – nachdem ich sie vorher mit Lehm beschmiert, in einen Trichter gestellt und Wasser reingefüllt habe, damit der Lehm auch weich blieb. Zu furchen mit dem Lineal wie in einem Acker und mit dem Bleistift das Papier zu bearbeiten, wie mit einem Stock im Boden zu ritzen: Das war mein Realismus. So wie der russische Dichter Wladimir Majakowski schrieb, dass Poesie mit dem Hammer gemacht wird, habe ich den Bleistift ins Papier getrieben. Die Emotionen in der Hand, die Hand das Werkzeug, die Kunst der Arbeitsplatz. Und der Nagel so als Seismograf meiner inneren Befindlichkeit.

Die teuersten Auktionen der Welt
Zwei seltene Bilder von Andy Warhol sind in New York für insgesamt 151,5 Millionen Dollar (rund 121 Millionen Euro) unter den Hammer gekommen. Die Porträts „Triple Elvis“ und „Four Marlons“ befanden sich im Besitz des deutschen Casinobetreibers Westspiel, der sie in den 1970er Jahren erstanden hatte. Bei der Auktion von Christie's brachte „Triple Elvis“ 81,9 Millionen Dollar ein, „Four Marlons“ 69,6 Millionen. Die fast 2,13 Meter hohen Porträts gehören zu den berühmtesten Werken Warhols. Quelle: AP
Édouard Manets 1881 entstandenes Bild „Le Printemps“ (Der Frühling) brachte bei Christie's mehr als 65,1 Millionen Dollar (52 Millionen Euro). Gerechnet hatte der Kunsthändler mit der Hälfte. Der bisherige Auktionsrekord für den französischen Impressionisten lag bei 33 Millionen Dollar. Das Bild war mehr als ein Jahrhundert in Privatbesitz, seit 1909. Es zeigt eine junge, ernst blickende Frau in Sonntagskleidung in einem Meer von Blumen. Ursprünglich hatte Manet alle vier Jahreszeiten malen wollen, es wurden dann aber doch nur „Frühling“ und „Herbst“. „Der Frühling“ gilt als eines von Manets Meisterwerken. Ein Jahr vor dem Tod des Malers war es 1882 im Salon de Paris präsentiert worden. Es zeigt die Schauspielerin Jeanne Demarsy mit Haube und in einem geblümten Kleid und weckt - wie der Name des Bildes bereits vermuten lässt - Erinnerungen an den Frühling. Manet hatte beabsichtigt, Werke zu allen vier Jahreszeiten anzufertigen - fertigstellen konnte er allerdings nur seine Gemälde zum Frühling und zum Herbst. Manet starb im Jahr 1883 bereits im Alter von 51 Jahren. „Der Frühling“ befand sich seit 1909 in einer amerikanischen Privatsammlung. In den vergangenen zwei Jahrzehnten war das Bild an die nationale Kunstgalerie in den USA ausgeliehen worden. Quelle: Reuters
Wie das Auktionshaus Sotheby's mitteilte, wurde die British Guiana One-Cent Magenta von 1856 in New York für 9,5 Millionen Dollar (7,0 Millionen Euro) versteigert. Es ist das vierte Mal, dass sie in ihrer langen Geschichte den Auktionsrekord für eine einzelne Briefmarke erobert hat. Der Käufer wollte laut Sotheby's anonym bleiben. Der stellvertretende Vorsitzende von Sotheby's, David Redden (im Bild), bezeichnete die Auktion als „wahrhaft großen Moment für die Welt der Briefmarkensammler“. Quelle: AP
Die 2,5 mal 3,2 Zentimeter One-Cent Magenta war seit 1986 nicht mehr öffentlich zu sehen. Es ist die einzige wichtige Briefmarke, die in der privaten Briefmarkensammlung der britischen Königsfamilie fehlt. David Beech, der frühere Kurator der Britischen Bibliothek, sagte, ein Kauf dieser Briefmarke sei mit dem des berühmten Gemäldes der „Mona Lisa“ vergleichbar. Quelle: dpa
Zwei Werke aus Andy Warhols Serie „Death and Disaster“ haben bei einer Auktion in New York zusammen mehr als 100 Millionen Dollar (73 Millionen Euro) erlöst. „Race Riot, 1964“ wechselte am 13. Mai bei Christie's in New York für 62,9 Millionen Dollar den Besitzer und brachte damit weit mehr als die zuvor geschätzten 45 Millionen. Auch Warhols „White Marilyn“-Gemälde, das kurz nach dem Selbstmord von Marilyn Monroe im Jahr 1962 entstanden war, lag mit 41 Millionen Dollar mehr als 20 Millionen über dem erwarteten Erlös. Quelle: AP
Der Jahrgang 1947 gilt als einer der besten für die Weine des Château Cheval Blanc. Bereits im Dezember hat eine Kiste mit zwölf Flaschen beim Auktionshaus Christie's in Frankreich über 131.000 Euro erzielt, der Verkauf wurde aber erst jetzt bekannt. Der Weinhändler Aubert Bogé von Millésimes, der die Kiste kaufte, hält das sogar für relativ günstig: "Der Preis könnte hoch erscheinen, aber angesichts des wahren Wertes des Weins ist er nicht exzessiv", sagte er. Den Rekord für den teuersten Wein kann die Versteigerung aber nicht brechen: der wird ebenfalls von einem Château Cheval Blanc 1947 gehalten. Eine Sechs-Liter-Flasche erzielte im Jahr 2010 in Genf einen Auktionserlös von umgerechnet rund 221.800 Euro. Quelle: Screenshot
Ein Gemälde des US-Malers Edward Hopper ist in New York für umgerechnet 30 Millionen Euro versteigert worden. Das ist der höchste Auktionspreis, der je für ein Werk des New Yorker Künstlers erzielt wurde, wie Christie's mitteilte. Unter den Hammer kam das melancholische Gemälde „East Wind Over Weehawken“ von 1934, das eine vom Hudson River umsäumte Straße in einer Stadt in New Jersey zeigt. Sein Schätzwert lag zwischen 22 Millionen (rund 16,1 Millionen Euro) und 28 Millionen Dollar. Der Verkaufserlös soll in die Schaffung einer neuen Stiftung der Kunstakademie von Pennsylvania fließen, in deren Besitz sich das Gemälde bislang befand. Der Käufer von „East Wind Over Weehawken“ blieb anonym. Quelle: dpa

Wie bewusst steuern Sie den Entstehungsprozess dieser Arbeiten?

Gar nicht. Sie sind Ausdruck einer freien Handlung, bei der Arbeit, die ich nie korrigiere, manchmal nicht einmal durchs Auge wahrnehme – abgesehen davon, dass ich darauf achte, mich nicht zu verletzen. Viele dieser Bilder sind ohne Unterbrechung an einem Tag entstanden. Einmal habe ich sogar fünf Tage am Stück nicht geschlafen, danach hatte ich einen Blutsturz. Eine obsessive Handlung, wie ein Schub, eine Not, die mich über Monate bedrängt, bis sie eine solche Last wird, dass ich handeln muss. Durch die Schwere des Bedrängtseins wird es ein Akt der wahrhaftigen Befreiung, das Ergebnis können Sie lesen wie Tagebuchblätter. Diese Felder sind Kernpunkt meiner zeitlichen Entwicklung. Wie eine Chiffre der inneren Befindlichkeit. Und jedes Mal auch für mich erschreckend zu sehen: Was ist da in dir, was findet da statt? Was drängt sich da auf?

Und – was drängt sich da auf?

Dass der Nagel auch meiner obsessiven Neigung entspricht. Wenn ich eine Axt sehe, muss ich mich bremsen, ich könnte auch ein Mörder sein. Arbeit ist für mich wie Psychotherapie. Könnte ich es nicht abarbeiten, würden sich diese Energien gegen mich selbst richten. In diesem Befriedungsprozess befinde ich mich, seit ich vier Jahre alt bin. Schon damals habe ich wie manisch zu zeichnen begonnen. Zum Missfallen meines Vaters, der dafür kein Verständnis hatte und mich fast täglich verprügelte.

Haben Sie deshalb Kunst studiert – aus Rebellion gegen den Vater?

Nein, ich wurde ausgewählt und gefördert, als Bauernkind, auf dem zweiten Bildungsweg, das war 1949, damals war ich 19 Jahre alt. Bis dahin hatte ich vor allem körperlich gearbeitet: Fische gefangen, Kühe gemolken, Tiere gehütet und auf den Acker geführt. Und gerade begonnen, Kinder im Zeichnen zu unterrichten. Mein Talent hatte sich wohl rumgesprochen. Jedenfalls fuhr eines Tages ein schwarzes Auto vor. Zwei Männer mit schwarzen Mänteln haben mir dann einen Platz in einer der neuen Kaderschulen angeboten. Dort wurden wir im dialektischen Materialismus unterrichtet. Ich habe den Facharbeiterbrief gemacht und wurde Delegierter des Volkes und zum Studium zugelassen.

Privilegiertes Leben in Ostberlin

1951 kamen Sie dann an die Kunstschule nach Wismar. Wie frei lebten Sie als Kunststudent in der DDR?

Wir waren sehr privilegiert, bekamen 2000 Mark im Monat, hatten eine Intelligenz-Lebensmittelkarte, die uns anderthalb Kilo Fleisch pro Woche garantierte – so viel wie den Schwerstarbeitern in den Uranbergwerken. Ich hatte sogar ein Auto mit Fahrer, um in den Badeorten die Polit-Propagandatafeln zu installieren, die wir gemalt hatten. Und um den Menschen auf dem Land die Parteitagsbeschlüsse vor Augen zu führen. Finanziert hat das ein Kombinat, dem ich danach Rechenschaft ablegen musste, weil sie mein Studium unterstützten.

Sie haben 1951 auch an den Weltjugendspielen in Ostberlin teilgenommen und hatten so erstmals die Gelegenheit, Westberlin zu besuchen. Ein Kulturschock?

Nein, wir fühlten uns sehr gefestigt in unseren Vorurteilen. Der Kapitalismus war für uns wie ein Futtertrog, mit dem man Schweine lockt.

Und dem Sie widerstehen konnten?

Wir haben uns Klamotten in Westberlin gekauft – elegante Mäntel, Ringelsocken, Kreppschuhe. An manchen Tagen gingen wir fünf Mal ins Kino.

Die außergewöhnlichsten Kunstmuseen
Museum of Medieval Torture Instruments, Damrak 33, 1012 LK AmsterdamDas niederländische Kulturzentrum Amsterdam bietet mit Häusern wie dem Van Gogh Museum oder dem Rijksmuseum nicht nur einige der besten Ausstellungshallen für die höhen Instinkte, sondern einiges für die weniger hohen. Neben Dingen, die dem lebensfrohen Image Amsterdams entsprechen wie Cannabisprodukten (Hash Museum) oder gleich zweien zum Thema Sex zählt das Foltermuseum zu den Touristenmagneten. Von Guillotine und dem Judas Thron bis zu weniger bekannten Dingen wie der Heretiker-Gabel, alle Arten menschlichen Erfindergeistes in Sachen Sadismus fein systematisch aufgeteilt in Instrument zu Ganz-Körper-Folter, sowie Unterleib und Oberkörper. Dargestellt mit Hifle lebensechter Wachspuppen.Foto: Ctny (Clayton Tang) Quelle: Creative Commons
Col·lecció de Carrosses Fúnebres, CArrer de la Mare de Déu de Port, 56-58, 08038 BarcelonaWarum ausgerechnet eine der lebensfrohesten Städte Europas die größte Schau von Leichenwagen hat, wird wohl eher ein Geheimnis der Katalanen bleiben. Freunde des Pomp auf der letzten Reise finden die Kutschen und Fahrzeuge vom späten 18. bis zu Mitte des vergangenen Jahrhunderts, viele davon mit stilecht in Uniformen und Perücken angetanen Puppen.Foto: Anoryat Quelle: Creative Commons
International UFO Museum and Research Center, 114 North Main Street, Roswell, New Mexico 88203, USAEs ist kein Ort für rationale Skeptiker: das Ufo Museum & Research Center dokumentiert akribisch alles rund um den Absturz eines Flugobjekts im Juli 1947 beim geheimen Flugplatz der Area 51 in Roswell im US-Bundesstaat New Mexico. Für die einen war es ein Ufo mit Außerirdischen, für die zuerst unsicheren Behörden ein Wetterballon, der da niederging. Das Ganze geschah nahe der Straße Richtung Corona - Verbindungen zum im Süden der USA sehr beliebten mexikanischen Bier des gleichen Namens sind sicher zufällig. Und wer die grünen Männchen mit den großen Augen im Trockeneis-Nebel oder die nachgestellte Alien-Autopsie nicht recht ernst nehmen kann, findet im Museumsladen immerhin eine Auswahl an Souveniers, die nicht so recht von dieser Welt ist. Dieser Tage sehr beliebt: außerirdischer Christbaumschmuck.Foto: Sand Quelle: Gemeinfrei
Meguro Parasitological Museum, 4-1-1, Shimomeguro, Meguro-ku, Tokyo 153-0064, JapanJapan vereint problemlos minimalistische Ästetik, hohe Sinnenfreuden und mit höchstem Ernst präsentierte Merkwürdigkeiten. Tokio-Besucher können entsprechend mit dem Grutt Pass für 60 Museen im Edo-Tokyo das Stadtleben früherer Jahrhunderte bestaunen, das kulturgeschichtliche Tokyo National Museum besuchen oder im obersten Stock des Mori Towers in Rappongi Hills Penthouse die Sammlung Moderner Kunst des Mori Museum bewundern. Es geht aber auch skurril bis unappetitlich: Da wäre zum Beispiel das Surigami Animation für selbst erstellte Comics, das (leider nicht im Grutt Pass enthaltene) Cupnoodles Museum zur Geschichte der Instant-Ramen-Nudel-Becher und natürlich das Parasiten Museum. Die streng wissenschaftliche Schau bietet Hartgesottenen einen tiefen Blick in die „wunderbare Welt“ (Museumswerbung) von Würmern, Maden und anderen Bewohnern lebendiger Wesen. Quelle: obs
Museum of Broken Relationships, Ćirilometodska ulica 2, 10000, Zagreb, KroatienAuch wenn die Internetadresse Brokenships.com eher auf Schiffunfälle deutet, am Ende geht es um Liebeskummer in allen Varianten und um die wohl größte Herausforderung: etwas darstellen, was nicht mehr da ist. Das Museum der zerbrochenen Beziehungen im kroatischen Zagreb versucht dies anhand von Gegenständen mit besonderem Erinnerungswert wie Kuschelbären, Gedichten und Dingen wie Nasensprays. Das brachte dem Museum nicht nur jede Menge Auszeichnungen wie „Innovativstes Museum 2011“, sondern auch jede Menge Einladungen zu Gastausstellungen vom amerikanischen San Francisco über Berlin und Kapstadt, Südafrika, bis in die taiwanesische Hauptstadt Taiwan. Mitgereist sind die passenden Dinge des Geschenkeladens wie Bad Memory Eraser (Radiergummi für schlechte Erinnerungen) oder dem Anti-Stress-Stift mit Sollbruchstelle in der Mitte.
The Museum of Witchcraft, The Harbour, Boscastle, Cornwall PL35 0HD, Vereinigtes KönigreichDie Liebe für das Mittelalter und alles Fantastische zeigt sich in der britischen Provinz nicht nur in Kult um Harry Potter oder dieser Tage besonders um J.R.R. Tolkien mit dem seiner Saga um den Hobbit und den Herrn der Ringe. Liebevoll pflegen sie auch viele kleine Museen. Das beliebteste ist das Museum of Witchcraft in Cornwall im Südwesten Englands, auch weil das Haus dank einem eigenen Twitter-Accopunt (@witchmuseum) recht zeitgemäß auftritt. Und doch wäre aus der Sammlung rund um Zauberei und Okkultismus fast nichts geworden, weil beim ersten Versuch der Gründung 1947 in Stratford-upon-Avon der Widerstand der Bürger der Shakespeare-Stadt zu groß war. So startete der zweite Versuch in der irischen See auf der Isle of Man, stilecht mit einer „Resident Witch“. Weil dem Gründer Cecil Williamson da zu wenig los war, zog er – nach drei von Anwohnern vereitelten Gründungsversuchen in den USA, Windsor und Gloucestershire – ins offenere Cornwall. Quelle: ZB

Ein feines Leben...

...das mir aber zunehmend unheimlich wurde, vor allem nach dem Tod Stalins und dem Aufstand im Juni 1953.

Weil Sie um Ihre Privilegien fürchteten?

Nein, weil ich merkte, dass mir die Fähigkeit abhanden zu kommen drohte, meine von Staatsseite anerzogene Lügenfähigkeit weiter als solche zu erkennen. Die Propaganda, die ich den Bauern aufsagte, nicht mehr als Lüge wahrzunehmen, das machte mir Angst – und ich bin gegangen.

Nach wochenlangen Verhören auf dem Gelände eines ehemaligen KZs...

...man dachte, ich sei von der DDR eingeschleust...

...kamen Sie 1955 schließlich in Düsseldorf an. Warum landeten Sie dort?

Weil dort mit Otto Pankok ein Antifaschist unterrichtete, den ich sehr bewunderte. Der mich erst wieder zurückschicken wollte, mich dann aber einschrieb, als ich in meiner Verzweiflung losheulte. Und der mir eine Matratze ins Klassenzimmer legte, damit ich nicht mehr in den ausgebombten Häusern der Stadt schlafen musste. Seine Frau Hulda hat mich sonntags manchmal zum Kuchen eingeladen.

Wie haben Sie Ihre neue Heimat erlebt?

Als reaktionäre, fremde Welt. Die Leute hier dachten ganz anders als dort, von wo ich kam. Ich war ein Fremder, gelandet in einer Gegenwelt, ohne Gesprächspartner. Ich war nicht ganz da und nicht ganz hier, aber immerhin bei mir selbst. Heinz Mack...

...mit dem Sie ab 1961 gemeinsam mit Otto Piene die Künstlergruppe Zero bildeten...

...lud mich zur Abendausstellung „Das rote Bild“ ein. Gleichzeitig wollte ich hier sein, dem Ruhrgebiet hingewandt, wo sich das dichteste Arbeitspotenzial befindet.

Was die Kreativität fördert

Wovon haben Sie gelebt?

Ich habe von den Feldern Lauch gesammelt, in der Akademie das Fenster angelehnt gelassen, um nachts Koks aus dem Keller zu holen. Ich habe Schicht gearbeitet in einer Glasfabrik, für 400 Mark im Monat, morgens um fünf ging es los. Vom ersten Lohn habe ich mir ein Fahrrad gekauft, mit dem bin ich nach Amsterdam und Paris gefahren – geschlafen habe ich draußen.

Sie hatten damals schon zwei kleine Kinder – wie hat das zum Leben gereicht?

Über Geld habe ich mir nie Gedanken gemacht. Ich hatte in allen Geschäften Schulden, habe anschreiben lassen, vom Bäcker bis zum Heizölhändler. Es gab dann eben mal ein Bild, um den Betrag zu begleichen.

Hat Sie diese materielle Not bedrückt?

Nie. Wenn ich Geld brauchte, habe ich schon mal ein Fest veranstaltet in meiner Scheune, die Atelier und Wohnraum zugleich war. 200 Gäste, 5 Mark Eintritt, da blieb was übrig. Die Scheune hatte ich von der Stadt gemietet, für 50 Mark im Monat.

Sind Sie an ökonomischen Zusammenhängen nicht interessiert?

Doch, ich war immer ein ökonomisch denkender Mensch. Aber so war das bei mir immer mit dem Geld – ich habe es auf mich zukommen lassen, immer im Vertrauen, dass es sich schon regeln wird. Wenn man Geld braucht, kommt es auf einen zu. So war das mein ganzes Leben lang, sonst könnte ich gar nicht solche Werkstätten unterhalten.

Viele Künstler stehen im Alter vor der Armut, weil sie nicht rechtzeitig vorgesorgt haben – wie steht es bei Ihnen?

Ansparen ist jedenfalls Quatsch. Es geht darum, den Kreislauf des Geldes in Bewegung zu halten. Wer über Jahre Vertrauen zu anderen Menschen hergestellt hat, bekommt auch was, wenn er es wirklich braucht.

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