WirtschaftsWoche: Herr Zegna, Sie werten das Kaufverhalten in Ihren Geschäften in mehr als 100 Ländern genau aus. Was zeichnet den deutschen Käufer aus?
Zegna: Die meisten wollen einen klassischen Anzug. Das heißt nicht, dass die unmodern sein müssen. Aber sie bevorzugen dunkle Anzüge, und die ohne Muster. Der deutsche Mann ist dafür eher bereit, eine etwas spielerische Krawatte zu tragen. Und – das habe ich schon zu Beginn meiner Karriere gelernt – die Anzüge sollen aus leichten Stoffen sein. Dann sind die Anzüge praktischer, unter anderem beim Autofahren. Die Kunden in Deutschland arbeiten in gut geheizten Büros – sie machen deswegen auch keinen Unterschied zwischen Winter und Sommer, der Anzug soll dünn sein, egal, ob sie ihn im Frühjahr oder Herbst kaufen. Und komfortabel muss er sein, Bewegungsfreiheit bieten. Deutsche Männer mögen keine eng anliegenden Anzüge. Das sehen wir Italiener zwar nicht komplett anders – aber wir mögen es schon, wenn der Anzug die Silhouette betont.
Enttäuscht es Sie, wenn die Kunden es einfach nur bequem haben wollen?
Wir sind in der Modebranche, aber wir sind keine Fashionistas. Und am Ende muss es dem Kunden gefallen. Wir bieten mit unserer Marke zum einen sehr moderne, tragbare Mode an, für die unser Creative Director Stefano Pilati verantwortlich ist, der zuvor bei Yves Saint Laurent war. Stefanos aktuelle Kollektion Couture ist zudem mit wallenden Mänteln oder kräftigen Farben sehr anders, ohne extrem zu sein.
Sie erwähnen die Vorliebe deutscher Kunden für natürliche Stoffe. Gibt es eigentlich den perfekten Anzugstoff?
Nein. Ich stelle die Frage nach der besten Faser lieber den Kunden. Es kommt immer auf seine Bedürfnisse an. Ob es ihm in erster Linie um natürliche Stoffe geht, ob er Kunstfasern wünscht. Und es geht natürlich um die Frage, wie viel er für einen Anzug ausgeben möchte. Wenn Sie aber mich fragen: Es ist ein Naturstoff. Im Stoff sollte es mehrheitlich Wolle sein, dazu können sie mit Kaschmir, Seide oder Baumwolle spielen.
Was für Innovationen sind bei Stoffen für Businesskleidung noch möglich?
Wir haben Stoffe aus natürlichen Fasern entwickelt, die winddicht sind und wasserabweisend. Wenngleich es auch keine Stoffe sind, die die Körpertemperatur regulieren, sind sie doch in der Lage, Wärme zu halten oder sie abzutransportieren. Das nutzen wir vor allem bei den Outdoor-Kleidungsstücken. Diese Eigenschaften entwickeln wir aber nicht allein für Wolle, sondern auch für Kaschmir und Seide. Gerade Seide ist da bemerkenswert leistungsfähig – bislang ist sie vor allem wegen ihres Glanzes ein Stoff für Frauenmode. Aber wir haben Seide so bearbeitet, das sie für mehr Funktionen geeignet ist. Im Innenraum von Maserati-Autos ist unsere Seide verarbeitet, die den Insassen in der Anmutung und bei der Berührung ein in Autos bislang unbekanntes Gefühl vermittelt. Hätten Sie gedacht, dass wir einmal Seide in einem Auto einbauen?
Nein, sicher nicht.
Maserati ursprünglich auch nicht. Dafür müssen wir testen und forschen. Technische Entwicklung ist in der Modebranche essenziell. Kleidung schön zu gestalten reicht nicht. Hohe Luftfeuchtigkeit zum Beispiel, wie sie in Asien herrscht, hat einen großen Einfluss auf Anzugstoffe. Damit die Stoffe sich nicht verformen, brauchen wir viele Tests. Unsere Branche ist weit wissenschaftlicher, als es den Anschein hat. Innovation ist in unserem Unternehmen nicht nur eine Frage des Designs – sie hat auch eine Menge mit Technologie zu tun.
Vom Einreiher zum Zweireiher
Haben Sie deswegen Land für Schafzucht in Australien gekauft?
Das ist ein Grund. Es ist auch ein kleines interessantes Investment außerhalb unserer normalen Aktivitäten. Wir arbeiten dort mit einem Züchter, der unsere Wünsche an die Wolle umsetzen soll. Bislang pflegten wir schon enge Kontakte mit Wolleproduzenten und verleihen seit 50 Jahren einen Preis für die beste Wolle, um unsere Partner zu motivieren.
Sprechen wir über die aktuelle Anzug-Mode. Der Zweireiher kommt zurück. Ist das das Ende des Einreihers?
Es gibt Männer, die tragen nichts anderes als Zweireiher. Der Schnitt in seiner modernen Form wird auch ein noch stärkerer Trend werden. Aber Zweireiher sind nicht einfach zu tragen.
Wieso?
Sie fühlen sich darin zu stark eingeengt. Er lässt sich nicht so schnell öffnen wie ein Einreiher. Das stört, wenn Sie häufig aufstehen und sich hinsetzen. Ich selber würde vielleicht einen Zweireiher zu einem besonderen Anlass tragen. Aber jeden Tag? Auf keinen Fall. Eine Boutique wie diese hier in Düsseldorf nur mit Zweireihern? Ich glaube, dann würde ich sie vermutlich schließen... Nein, Zweireiher sind sicher kein Massenprodukt. Aber es ist gut, dass Zweireiher kommen, damit ein wenig Abwechslung da ist. Vor zwei, drei Jahren war es doch nur die Frage, wie viele Knöpfe der Einreiher hat.
Welche Trends sind noch wichtig?
Gebrochene Muster. Das greift eine Mode aus den Fünfzigerjahren auf. Aus der Entfernung wirkt der Stoff von Sakko und Hose und gegebenenfalls der Weste wie eine Farbe, erst wenn man sich nähert, erkennt das Auge, dass es unterschiedliche Muster sind. So lässt sich ein außergewöhnlicher, aber nicht überzogener Eindruck erzielen.
Die aktuelle Kollektion Ihres Creative Directors Stefano Pilati sind teils sehr außergewöhnlich mit kurzen Beinen oder sehr auffälligen Streifenmustern. Sind seine Entwürfe etwas für das Büro?
Es kommt drauf an, wie Sie es mischen. Haute Couture von Kopf bis Fuß mag vielleicht ein wenig viel sein fürs Büro. Aber ein klassisches Outfit lässt sich gut mit speziellen Details auffrischen. Nehmen Sie meine braunen Slipper, die ich heute trage – die wirken zu einem klassischen Anzug nicht zu extravagant. Und sie sind bequem.
Sie stammen aber auch aus Italien, wo sich Männer modischer kleiden.
Wir haben heute zum Lunch einen deutschen Partner getroffen – er sah italienischer aus als ich!
Er hat sich für Sie rausgeputzt.
Nein, nur gut abgestimmt, die richtigen Accessoires. Da passte alles.
Wer ist denn am mutigsten in der Geschäftswelt?
Je mehr Finanzindustrie, je mehr Jurist, desto modischer der Anzug. Die Schnitte sind körperbetonter. Sie sind das Äquivalent zu der heutigen Gesellschaft, in der Fitness und Sportlichkeit für einen hochrangigen Manager geradezu Pflicht sind. Mode sagt auch etwas über ihre Person aus. Das Gegenüber nimmt das wahr. Mode ist Kommunikation.
Ist es wichtig, die Persönlichkeit zu ändern, um modischere Schnitte und Muster zu tragen?
Mein Tipp ist: Probieren Sie erst etwas an, das Ihnen erst ein wenig fancy, übertrieben, vorkommt. Gehen Sie so weit, bis Sie sich unwohl fühlen.
Warum das?
Es ist sinnlos, dass Sie sich in Ihrem Anzug unwohl fühlen. Ihr Äußeres muss zu Ihnen passen. Aber wenn Sie ein wenig bei der Auswahl über Ihre Grenze gehen, können Sie danach einen Schritt zurückgehen, aber nicht ganz. Wenn Sie warten, bis Ihre Persönlichkeit sich ändert, bis sie zum modischeren Anzug passt, können Sie unter Umständen Jahre im Shop stehen.