High-Tech-Region Taubertal Weltmarktführer in der Pampa

Im Main-Tauber-Kreis zwischen Wertheim und Rothenburg ob der Tauber versammeln sich 23 Weltmarktführer. Ihr Wachstum kennt vor allem eine Hürde: ausreichend Mitarbeiter zu finden.

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Platz für Mensch und Maschinen: Grünsfelds Bürgermeister Joachim Markert. Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche

Das Navi macht einen Bogen um das Taubertal. Auf dem Weg nach Bad Mergentheim lässt es auf der A 3, aus Richtung Frankfurt kommend, die Ausfahrt liegen und empfiehlt den Umweg über die A 81. Der ist schneller.

Effizient die Ziele erreichen – das Navi passt in diese Region, den Main-Tauber-Kreis. Als „lieblich“ bezeichnet das Marketing des Kreises das Taubertal. Das ist es auch mit seinen sanften Hügeln rechts und links der beschaulich mäandernden Tauber, aber es ist vor allem erfolgreich. Außer im Wettstreit um die Talente. Da unterliegt es München oder Hamburg, ja, auch der Region um Stuttgart.

Die Einladung des Main-Tauber-Kreises lockt mit der Aussicht, einige der mehr als 20 Weltmarktführer zwischen Wertheim und Rothenburg ob der Tauber zu besuchen. Und ein wenig von der Kulturlandschaft zu genießen samt Schwarzriesling und Kurgarten. Sie liest sich wie eine Offerte, gleich für immer zu bleiben. „Dort arbeiten, wo andere Urlaub machen“, heißt es. Und weiter: „Optimale Bedingungen, um Arbeit und Familie in Einklang zu bringen: Attraktive Jobs und eine idyllische Wohngegend.“

Die Top-Konzerne aus dem Südwesten
Claus-Dietrich Lahrs Quelle: dpa
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Ein Mann sägt eine Scheibe von einem Baumstamm ab Quelle: dpa
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Das hat sich nur noch nicht ausreichend herumgesprochen. Findet Jochen Müssig, Dezernent für Kreisentwicklung und Bildung, Wirtschaft, Tourismus und Kultur des Kreises. Die erste Pressereise soll das ändern, wenngleich die Resonanz der Medien auf Anhieb noch nicht so groß ist, wie erhofft. „Aber wir können ja nicht sagen, wir führen es nicht durch“, raunt Rico Neubert, Leiter des Amtes für Strukturentwicklung, Wirtschaftsförderung und Tourismus, einer Journalistin aus der Region vor der offiziellen Begrüßung zu. Gewiss, es kommen Menschen, aber es dürfen mehr sein. Zur Pressereise wie zum Leben und Arbeiten.

Hilfe, wir suchen!

Die Arbeitslosigkeit liegt im Main-Tauber-Kreis bei 3,4 Prozent. „Hilfe, wir suchen...“, beginnt das Stellenangebot einer Metzgerei auf einer großen Tafel an der B 290. Die ist zwischen Tauberbischofsheim und Bad Mergentheim breit genug, damit Lkws überholt werden können, und Teil der Romantischen Straße. Die Zahl der Bewohner sank in den vergangenen zehn Jahren von 138.000 um 8.000. Geht es so weiter, rechnet Müssig für das Jahr 2030 mit nur noch 123.000. Der Trend soll sich ändern: „Unser Problem heißt Demografie. Kaufmännisch betrachtet, sind junge Leute ein rares Gut.“ Nicht nur, dass Ortschaften wie Assamstadt oder Boxberg-Windischbuch mit München oder Stuttgart beim Werben um Mitarbeiter aus dem In- und Ausland im Wettbewerb stehen – nein, selbst die lokale Jugend ist oft ahnungslos ob der Vorzüge der Region. „Ein Bad Mergentheimer Schüler weiß wenig darüber, was in Wertheim geboten wird“, sagt Müssig.

Raum für Ruhe: Historisches Fachwerk trifft auf nüchterne Nachkriegsarchitektur. Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche

Oder in Igersheim. Zum Beispiel Arbeitsplätze in Büros und Produktion, die direkt einem Prospekt für die Zukunft der Arbeit entnommen sein könnten. Das Unternehmen Wittenstein ist ein klassischer Mittelständler, hervorgegangen aus einer Nähmaschinenfabrik von 1949. Heute produziert es mit 1.800 Beschäftigten weltweit elektromechanische Antriebe und Getriebe, die unter anderem im Airbus A380 mitfliegen. Stephan Bug, Leiter Fertigung Elektronik am Standort Harthausen, sechs Kilometer von Igersheim entfernt, verkauft große Ziele mit der Sachlichkeit des Ingenieurs: Umsatzverdoppelung in fünf Jahren, 15 Prozent Wachstum jährlich. Dazu braucht es Mitarbeiter, die in der neu eröffneten Innovationsfabrik Bauteile entwickeln, konstruieren und zusammenbauen. Flexibilität ist hier Programm: Schreibtische wie Werkbänke lassen sich auf Rollen zu neuen Einheiten verschieben, je nachdem, was ein neues Projekt benötigt.

Ein kurzer Weg ist es hinauf zur Innovationsfabrik von dem älteren Bürotrakt, in dessen Entree Pop-Art von James Rizzi hängt. Im Hof bietet ein botanischer Garten mit Pflanzen aus allen Ländern, in denen Wittenstein vertreten ist, Entspannung. Mehrmals die Woche wird er von einem Gärtner gepflegt – eine Idylle, die die Mitarbeiter genießen können, während sie sich über ihre Laptops beugen. Geworben werden sie mit einem blauen Sofa auf Jobmessen. „Pioniere zu uns“ steht da drauf. Bug ist sich sicher, dass das Unternehmen viel zu bieten hat: „Hier bekommen sie einen Überblick über das ganze Produkt nicht nur einen Teil.“

Hochregallager am Horizont

Der Bürgermeister von Igersheim, Frank Menikheim, begleitet den Rundgang. Er ist stolz auf eine Gemeinde, der es gelungen ist, sämtlichen Abgängern der Hauptschule einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu vermitteln. Probleme, wie sie Menschen aus den Ballungszentrum kennen, tauchen in Igersheim nicht auf. Ob denn bei so viel benötigten Arbeitskräften auch die Versorgung mit Kindergartenplätzen bis in den Abend gewährleistet sei? „Dafür gibt es hier keinen Bedarf“, sagt Menikheim.

Wer an einem Mittwoch gegen 16 Uhr zur Außenstelle Bad Mergentheim des Schraubenimperiums Würth fährt, ahnt, warum: Die Mitarbeiter verlassen in großer Zahl das Gelände in Richtung Heimat, vorbei an den großen Transparenten, die an der Zufahrtsstraße um Mitarbeiter werben. Das tut auch auf seine Weise das 45 Meter messende Hochregallager mit automatischer Bedienung. Es ragt über die Baumwipfel und ist schon von Weitem von der B 290 zu sehen. Lieblich ist allerdings anders. 1999 wurde auf dem Kasernengelände mit gut 70 Mitarbeitern gestartet. Heute arbeiten etwa 1250 Mitarbeiter auf dem 122 Hektar großen Areal, und noch ist Platz für Wachstum.

High Tech auf der grünen Wiese: Die Innovationsfabrik von Wittenstein. Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche

Die Region litt wie viele andere ländliche Gebiete, als die Bundeswehr zahlreiche Standorte schloss. Sichere Arbeitsplätze gingen verloren, solide, aber wenig reizvolle Bauten sind die Hinterlassenschaften, mit denen die Bürgermeister umgehen müssen. Während Bad Mergentheim mit Würth ein großes Unternehmen gewinnen konnte, werden im i_PARK in Lauda-Königshofen kleinere Brötchen gebacken. Z

immer 07.047 belegt Armin Kordmann, Geschäftsführer der Gesellschaft i_PARK Tauberfranken, die den alten Wohntrakten neues Leben eingehaucht hat: „Das ist noch die Nummerierung von der Bundeswehr, wir haben sie anfangs einfach belassen, später habe ich sie verinnerlicht.“ Die Bäume vor den Fenstern, die die Bundeswehr als Tarnung schätzte, ließ Kordmann abholzen, Baderäume wurden herausgerissen und kleine Gemeinschaftsküchen eingebaut.

Keine sechs Euro kostet hier ein Quadratmeter Bürofläche. Ideal für Neugründungen. Ist ein Trakt mit Mietern belegt, wird der nächste angegangen – zu Beginn hat Kordmann noch selber den Rasen gemäht und Wände in Wischtechnik aufgehübscht; im ehemaligen Offizierskasino werden heute Hochzeiten gefeiert, der Klassenzimmer-Atmosphäre zum Trotz.

Die Versuche, mit Annoncen in Branchenblättern Mieter zu gewinnen, schlugen fehl. Heute läuft alles über Mundpropaganda, und was zählt, ist der Preis: „Da kommt keiner aus Stuttgart und sagt: Herrliche Büros!“ Ein Restaurant ist in eines der Gebäude eingezogen, mit guter Küche, aber schlechtem Handyempfang. „Die Bundeswehr hat immer solide gebaut“, sagt die Kellnerin.

Schnell da, schnell weg

Freie Grundstücke hingegen verspricht der Industriepark ob der Tauber der Gemeinden Grünsfeld und Lauda-Königshofen. Der Schweizer Kaffeemaschinenhersteller Franke hat hier seinen Deutschlandsitz. Er liegt ideal, in der Mitte Europas und nahe der A 81. Man ist schnell da. Und schnell weg. Die Mitarbeiterinnen aus dem Marketing wohnen lieber in Würzburg.

Grünsfelds Bürgermeister Joachim Markert erzählt, wie die hiesige, traditionelle Gastronomie langsam ausstirbt, weil zu viele Betriebe keinen Nachfolger finden und weil es hier genug Arbeit gibt, die nicht in den Abend und übers Wochenende geht. Markert schaut über einen Acker, im Hintergrund locken die grünen Hügel des Umlands. 500 weitere Arbeitsplätze hätten hier entstehen sollen, doch die Zusage eines Logistikunternehmens wurde kurzfristig zurückgezogen. Welches es war, möchte Markert nicht verraten, noch ist die Hoffnung nicht verloren, dass zu den 30 bebauten Grundstücken ein großes dazukommt – für ein internationales Unternehmen mit Strahlkraft.

Der Bürgermeister Markert hätte auch Platz für mehr Eigenheimbebauung, daran soll es nicht scheitern. Unternehmen und Mitarbeiter sind hier sehr willkommen. Es muss sich halt nur noch rumsprechen.

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