Hirnforscher Gerhard Roth Wer sich nicht entscheiden kann, sollte schlafen gehen

Viele Entscheidungen werden unter Zeitdruck getroffen. Oft kommt da nichts Gutes bei heraus, denn ein gestresstes Gehirn kann nicht richtig denken. Hirnforscher Roth erklärt, wie gute Entscheidungen entstehen.

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Alternativlose Entscheiderin: Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel stimmt am 02.11.2013 in Greifswald beim Landesparteitag der CDU Mecklenburg-Vorpommern ab. Quelle: dpa

Angela Merkel hielt es wohl für ein schlagendes Argument, als sie vor einigen Jahren die Handlungen ihrer Regierung mehrfach als „alternativlos“ bezeichnete. Doch erstaunlicherweise kam dieses Wort nicht gut an. Es wurde sogar zum "Unwort des Jahres 2010" gekürt und ihr bis heute immer wieder vorgehalten. Dass es die eine, vernünftige Entscheidung gibt, die keine andere zulässt, das nahmen ihr die Menschen offenbar nicht ab. Warum eigentlich nicht?

Nicht nur Merkel, die Physikerin und Meisterin der Machtlogik, sondern der gesamte Mainstream des politischen Betriebs im postideologischen Zeitalter erhebt den Anspruch, ganz und gar rationale Lösungen für Probleme zu bieten. Jedes Gesetz, jede Institution lässt man „unabhängig“ evaluieren, um den Bürgern den Glauben an die reine, objektivierbare Vernunft der politischen Entscheidungen zu geben. Die Vernunft, also Wissen plus Logik, sind schließlich in einer so genannten Wissensgesellschaft die oberste Instanz menschlichen Handelns - statt des Glauben und Fühlens. Ist es also nicht klar, dass es auf der Basis unbestreitbaren Wissens und objektivierbarer Vernunft eigentlich nur eine alternativlose Lösung geben kann?

Wir wissen, was wir tun! Das ist die Botschaft der „alternativlosen“ Politik. Allein, sie kommt nicht so richtig an. Der Bürger ahnt, dass politische Entscheidungen von ebenso unlogischen und unbewussten Faktoren mitbestimmt sind wie seine eigenen. An die „rational choice theory“, die Theorie der vernünftige Wahl des Menschen und Marktteilnehmers, klammern sich nur noch unbelehrbare Ökonomen.

Nach dem Vortrag des Hirnforschers und Philosophen Gerhard Roth im Rahmen der „Quadriga Debatte“ des Stifterverbands in Berlin bleibt vom Glauben an die Möglichkeit und Erwünschtheit der ganz und gar rationalen Entscheidung nicht mehr viel übrig. Auch wenn man es nicht wahrhaben will: Die meisten Entscheidungen sind mit bewusstem Wissen und Logik nicht zu erklären. Sie werden in einem Hirnareal getroffen, das tief verborgen im limbischen System sitzt und dem Bewusstsein völlig verschlossen bleibt.

Gerhard Roth ist Philosoph und Professor für Hirnforschung an der Universität Bremen Quelle: dpa

Eine traurige Botschaft? Sind wir also dem unbewussten Entscheider in den Untiefen unseres Gehirns völlig ausgeliefert?

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