Frau Audemars, die Exporte der Schweizer Uhrenindustrie sind in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Der Abwärtstrend dauert an…
Jasmine Audemars: … ja, aber das ist nicht sehr überraschend...
...aber auch nicht schön.
Nein, aber wenn Sie sich die allgemeine Lage der Weltwirtschaft anschauen, dann liegt es auf der Hand, dass eine Branche, die mit Luxusgütern handelt, davon betroffen ist. Unser Unternehmen hat 2016 gut überstanden...
…das behaupten alle Hersteller auf der Genfer Uhrenmesse SIHH. Dennoch sind die Rückgänge eklatant. Allein im November ging es in den wichtigsten Märkten weltweit noch einmal mehr als fünf Prozent bergab. Und selbst von diesen Exporten weiß keiner, wie lange sie beim Juwelier liegen bleiben.
Und es gibt viele Artikel, die sagen, dass es eine Krise ist. Ich würde eher sagen: Die Lage normalisiert sich. Wenn wir uns anschauen, wie sich die Industrie in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat – das Wachstum konnte nicht ewig so weitergehen. In solchen Momenten kommen all die Schwächen einer Branche zum Vorschein.
Vita Audemars
Jasmine Audemars ist seit 1992 Verwaltungsratspräsidentin der Luxusuhrenmarke Audemars Piguet. Sie studierte Sozialwissenschaften und Wirtschaftsgeschichte. Sie arbeitet als Journalistn von 1980 bis 1992 als Chefredakteurin des Journal de Genève. Ihr Urgroßvater Jules-Louis Audemars gründete das Unternehmen.
Wie zum Beispiel die starke Konzentration der Industrie auf die asiatischen Märkte?
Das war sicher kurzsichtig. Das ist das Problem, wenn Sie zum Beispiel Teil eines börsennotierten Konzerns sind und im Rhythmus von Quartalsberichten leben. Das schiebt Sie in den Entscheidungen unter Umständen dorthin, wo es einfach zu sein scheint, Wachstum zu erzielen. Es war ein Mangel an Gespür für die Lage. Es war paradiesisch und alle waren happy. Aber so darf man in der Wirtschaft nicht denken, der Bumerang kommt immer zurück.
Sie sind sicher dankbar, dass Audemars Piguet in Familienhand ist?
Oh, ja, sehr! Mehr als je zuvor. Wir hatten Glück, weil wir nicht eilig nach China geprescht sind. Wir waren vielleicht etwas langsam. Wir wussten von Beginn, dass es ein schwieriger Markt ist. Viele machen dort sehr viel Geld, was nicht bedeutet, dass es leicht ist, dort gute Geschäfte zu machen. Dort kann alles passieren zu jedem Zeitpunkt. Man muss dort sehr vorsichtig sein. Wir kommen aus den Bergen, wir sind Bergsteiger: Ein Schritt nach dem anderen und immer wachsam bleiben.
Über das Herz der Uhr
Sie haben erlebt, wie die Quarzkrise die Schweizer Uhrenindustrie schwer getroffen hat. Gibt es Parallelen zu damals? Smartwatches sind laut allen Marktforschungsunternehmen weiter auf dem Vormarsch.
Die Branche der mechanischen Uhren hat die Quarzkrise überwunden. Ich gehe davon aus, dass beide Welten miteinander leben können. Was immer eine Smartwatch leistet – sie werden zu ihr keine so intensive emotionale Beziehung aufbauen, wie zu einer mechanischen Uhr. Es sind zwei völlig verschiedene Welten. Die Smartwatch ist Spaß und mag nützlich sein – aber sie hat nicht die emotionale Dimension einer mechanischen Uhr, die sie über Jahrzehnte tragen und ihren Kindern weitergeben können.
Welche Uhrenmarke gehört zu wem?
1881 gründeten die Uhrmacher Jule-Louis Audemars und Edward-Auguste Piguet die gemeinsame Firma und produzierten hochkomplizierte Taschenuhren. Nach dem Tod der Firmengründer in den Jahren 1918 und 1919 führten die Erben das Unternehmen fort und konzentrierten sich auf den Bau von Armbanduhren. Heute ist die Marke eine Aktiengesellschaft. An der Spitze steht Verwaltungsratspräsidentin Jasmine Audemars. Die Marke ist unabhängig und gehört keiner der großen Luxusholdings an.
In der Uhrenbranche führt kaum etwas an Rolex vorbei. Das 1905 von dem Kulmbacher Hans Wilsdorf gegründete Unternehmen stellt die beliebtesten mechanischen Uhren her - von keinem Modell werden so viele Kopien produziert wie von den Rolex-Ikonen. Das Unternehmen gehört der Fondation Hans Wilsdorf, einer Stiftung, über die so gut wie nichts bekannt ist, die keine Webseite besitzt und die im deutschsprachigen Wikipedia keinen Eintrag hat. Zahlen gibt die Aktiengesellschaft kaum bekannt. Alle Zahlen zu Produktionsmenge, Mitarbeitern und Umsatz sind Schätzungen. Das Unternehmen ist sprichwörtlich so verschwiegen, wie eines seiner erfolgreichsten Modelle: Oyster.
Das 1839 von Antoine Norbert Graf de Patek gegründete Unternehmen gewann seinen Namen aus dem Zusammenschluss von Graf de Patek mit Jean-Adrien Philippe. Die Manufaktur war Erfinder der Aufzugskrone und zahlreicher anderer Innovationen im Uhrenbau. Die Familie Stern übernahm bereits 1932 von Philippe das Unternehmen. Bis heute ist das Unternehmen in Hand der Familie Stern, der derzeit amtierende Chef ist Thierry Stern, dessen Vater Philippe Stern das Unternehmen über Jahrzehnte führte und bis heute dort aktiv ist.
Die Kering Group nannte sich bis 2013 PPR - für Pinault Printemps Redout. Das ist die Luxusholding des Franzosen François-Henri Pinault mit rund 35.000 Mitarbeitern. Dazu gehören der Sportartikelhersteller Puma oder die Luxuslabel Gucci und Bottega Veneta. Die Kering Group besitzt mehrere Uhrenmarken. Neben Jean Richard zählen dazu Girard Perregaux und Ulysse Nardin. Die letztgenannten waren 2017 erstmals auf der Genfer Uhrenmesse Salon International de la Haute Horlogerie (SIHH) vertreten, auf der alle Marken der konkurrierenden Holding Richemont ihre Uhren ausstellen.
Die börsennotierte LVMH Moët Hennessy – Louis Vuitton SE ist mit einem Umsatz von 35 Milliarden Euro in 2015 und mehr als 120.000 Mitarbeitern weltweit der größte Luxuskonzern. CEO ist Bernard Arnault, dem auch wesentliche Anteile des Aktienbestands gehören, er lag bei Erwerb Ende der 80er Jahre bei 45 Prozent. Neben Spirituosenmarken wie Hennessy, Champagner wie Moet Chandon, Dom Pérignon und Krug gehören auch Bulgari oder inzwischen auch mehrheitlich der deutsche Kofferhersteller Rimowa zum Konzern. Die französische Luxusmarke Hermès konnte sich den Versuchen Arnaults, die Marke zu übernehmen, widersetzen. Die Uhrenmarken des Konzerns sind Zenith, TAG Heuer, Hublot und Dior Watches.
Der Schweizer Luxuskonzern wird geleitet von Johann Rupert, dem Sohn des Unternehmensgründers Anton Rupert, der den Konzern von Südafrika aus steuert. Zu Richemont gehören als Uhrenmarken: A. Lange & Söhne, Baume & Mercier, Cartier , IWC,
Jaeger-LeCoultre, Montblanc, Officine Panerai, Piaget, Roger Dubuis, Vacheron Constantin und Van Cleef & Arpels.
Was können diese Innovationen im klassischen Uhrenbau sein? Mehr als die Zeit anzeigen und Funktionen dazubauen, die jedes Smartphone beherrscht, geht kaum.
Vieles. Das reicht von der Verwendung neuer Materialien im Uhrwerk als auch im Gehäuse bis zur Entwicklung besserer Klangfedern für unsere Minutenrepetition. Diese akustische Anzeige der Uhrzeit konnten wir deutlich besser hörbar machen, nachdem wir in Zusammenarbeit mit Akustikforschern den Frequenzgang der Federn verbessert haben. Beim Gehäuse sind es Materialien wie zum Beispiel Keramik, die das Gehäuse kratzfester machen. Das ist ein Wert, den der Kunde über Jahre bemerkt. Es kann auch die Verwendung von Carbon sein, um die Uhr sehr leicht zu machen, was den Tragekomfort erhöht. Und natürlich einige Dinge, die ich Ihnen heute nicht verraten werde.
Dennoch – wir haben nur zwei Arme und wenn die Besitzer einer mechanischen Uhr öfter zur Smartwatch greifen wegen ihrer Funktionen – dann überlegen sie sich nicht, ob sie überhaupt eine mechanische Uhr wollen, wohl aber, ob sie eine zweite oder dritte kaufen möchten. Viele Besitzer von mechanischen Uhren sind aber Mehrfachkunden.
Das ist sicher richtig, das bedeutet eben für uns, dass wir als Traditionsmarken eines nicht tun dürfen: Auf der Tradition ausruhen. Wir müssen innovativ sein, neue Ideen umsetzen. Wir werden sicher keine Smartwatches bauen. Das werden wir nie so gut beherrschen, wie es die Spezialisten können. Aber vielleicht werden wir eines Tages etwas „Smartes“ in unsere Uhren tun – aber unter keinen Umständen jemals in das Herz der Uhr, das Uhrwerk. Das wäre das komplette Gegenteil von dem, was uns auszeichnet.