Karriere Karrierefaktor Sex

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Nicht selten werden solche Erfolgstypen als „Alpha-Männer“ bezeichnet, die „auch in sexueller Hinsicht zu offensivem Verhalten neigen“, schreiben Kate Ludeman und Eddie Erlandson in „Alpha-Tiere. Der schmale Grat zwischen Erfolg und Absturz im Management“. Die Ausstrahlung und Vitalität dieser Männer machten sie enorm attraktiv, auch in sexueller Hinsicht. „Viele Männer verbinden Sexualität mit Erfolg und Macht“, sagt die Sextherapeutin Dagmar O’Connor, „fehlt die Macht, erlischt auch die Libido.“

Wem es dagegen gelingt, seine Karriere so zu gestalten, dass der Weg an die Spitze von einer erfüllenden Partnerschaft begleitet wird, kann nur gewinnen. Am besten sei die Einstellung, sagt Dagmar O’Connor: „Ich werde das alles morgen nicht schaffen, wenn ich heute nicht noch Sex habe!“

Eine im Management ungewöhnliche Botschaft, die aber offenbar den Nerv der Manager trifft: Als die Therapeutin vor zwei Jahren während des Weltwirtschaftsforums in Davos ein Seminar zum Thema „Sex und Beziehungen“ anbot, sorgte das erst für großes Aufsehen. Dann für großes Interesse – so groß, dass der Kurs wiederholt werden musste.

Allerdings, und das ist die Kehrseite, führen Sex und beruflicher Erfolg nicht gerade eine harmonische Beziehung. Gerade Erfolgsmenschen, die sich intensiv auf ihre Karriere konzentrieren, haben oft Probleme mit der Sexualität, wie Paartherapeutin Berit Brockhausen bestätigt.

Die österreichische Psychoanalytikerin und Unternehmensberaterin Rotraud Perner versteigt sich sogar zu der plakativen These „Management macht impotent“, so der Titel ihres gleichnamigen Buches. Der zeitliche und psychische Druck auf die Spitzenkräfte sei heute unter anderem durch die Globalisierung massiv gestiegen. An ein beglückendes Sexualleben, das Muße, Intimität, liebevolle Blicke und zärtliche Worte voraussetzt, sei bei den häufigen Orts- und Zeitzonenwechseln, bei ständiger Erreichbarkeit und einem 24-Stunden-7-Tage-die-Woche-Entscheidungsnotstand „überhaupt nicht mehr zu denken“.

Liebe am Arbeitsplatz...

Stress ist und bleibt der Lustkiller schlechthin. Vor allem bei Frauen wirkt die Überforderung extrem, weil sie Entspannung brauchen, um sich auf Sexualität einlassen zu können. „Nimmt die Müdigkeit überhand, ist es mit der Lust vorbei“, sagt Anneliese Schwenkhagen, Gynäkologin und Expertin der Initiative „female affairs“. Vor allem junge, erfolgreiche Frauen, die Kinder und Beruf vereinbaren müssen, litten sehr unter der abnehmenden Lust in stressigen Zeiten.

Aber auch die Wechselwirkung von gutem Sex und beruflichem Erfolg ist keinesfalls so einseitig, wie es auf den ersten Blick scheint. Guter Sex löst zwar einerseits Stress und Unzufriedenheit auf und verbessert die Leistung; sein Mangel sorgt paradoxerweise aber ebenso für kompensatorische Produktivität.

Schon Sigmund Freud hatte die These aufgestellt, dass die Bedingung von Kulturleistungen Triebverzicht sei. Falsch lag er damit nicht. So befragten vor Kurzem Wissenschaftler des Projektes „Theratalk“ der Universität Göttingen knapp 32.000 Männer und Frauen zum Verhältnis von Frust und Lust, Ergebnis: 36 Prozent der Männer und 35 Prozent der Frauen, die maximal einmal in der Woche Sex hatten, gaben zu, sich in die Arbeit zu stürzen, um den Frust über ihr Sexleben zu verdrängen. Bei Paaren, zwischen denen im Bett gar nichts mehr lief, lag die Quote noch höher: 45 Prozent der Männer und 46 Prozent der Frauen konzentrierten sich nun erst recht auf den Beruf – und hatten prompt noch mehr Stress. Für die Forscher ein beunruhigendes Ergebnis: Wenn wenig Sex den Stresspegel erhöht, entstehe leicht eine Abwärtsspirale, aus der es kaum noch Auswege gibt.

Da klingt es geradezu paradox, dass inzwischen fast jede dritte Ehe unter Kollegen geschlossen wird. Jeder achte Manager – männlich oder weiblich – hat im Büro zu einer „festen Beziehung“ gefunden, so das Ergebnis einer Umfrage des Ifak Instituts in Taunusstein.

„Auch Organisationen sind sexualisierende Gebilde“, sagt der Kienbaum-Personalberater Frank Dievernich. Und nicht zuletzt begegnen sich hier Männer und Frauen, deren Lebensstil und Berufsvorstellungen ähnlich sowie ähnlich attraktiv sind.

Als Beweis dient eine lange Reihe prominenter Paare, die sich am Arbeitsplatz kennen und lieben gelernt haben: Bill Gates etwa übermittelte der Microsoft-Programmiererin Melinda French 1993 seinen Heiratsantrag per E-Mail. Friede Springer nahm 1965 eine Stelle als Kinderpflegerin im Haus von Axel Springer an, lernte den Hausherrn kennen und lieben und stieg nach seinem Tod zur mächtigen Konzern-Erbin auf. Ähnlich entspann sich das Liebesverhältnis zwischen Reinhard und Liz Mohn, die als Telefonistin im Bertelsmann-Konzern begann, bevor sich der Boss in die Angestellte verliebte. Lydia Deininger war die Sekretärin von Jürgen Schrempp, dem damaligen Chef von DaimlerChrysler. Für sie löste er sich sogar aus seiner langjährigen Ehe.

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