Karriere Der falsche Kult um das Scheitern

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Scheitern ist deprimierend, verletzend, erniedrigend

„Im Moment gilt das Scheitern als enorm populär“, sagt zum Beispiel Holger Patzelt, Professor am Lehrstuhl für Unternehmertum an der Technischen Universität München, „darüber vernachlässigt man aber, dass dahinter eine sehr schmerzhafte Erfahrung steht.“ Es ist für die meisten Betroffenen eben erst mal keine Erlösung, sondern deprimierend, verletzend und erniedrigend.

Auch der deutschstämmige Starinvestor Peter Thiel, der vor allem wegen seiner Risikobereitschaft Unternehmen wie PayPal gründete und zum Milliardär wurde, warnt vor der Flop-Falle. Vielmehr sei Scheitern „immer schlecht“, sagte er dem „Stern“ im Januar 2015: „Es kostet Motivation, es verunsichert.“ Wenn das mal alles wäre.

Denn tatsächlich gibt es eine Reihe von Studien, die die Jünger des Scheiterkults gerne ignorieren. Paul Gompers von der Harvard Business School zum Beispiel analysierte für eine Studie die Bilanz von Serienunternehmern, die von Risikokapitalgebern finanziert wurden. Er betrachtete Gründungen aus den Jahren 1975 bis 2000, ihren Erfolg versuchte er durch einen geglückten Börsengang oder profitablen Verkauf des Unternehmens zu messen.

Gompers Berechnungen zeigen zum einen eine Erfolgschance für Erstgründer von rund 20 Prozent. Außerdem weisen sie nur einen kleinen Lerneffekt nach. Demnach haben Gründer eine marginal höhere Erfolgschance von rund 22 Prozent, wenn sie zuvor bereits mit einem Unternehmen gescheitert sind. Doch wer bereits beim ersten Mal reüssierte, hat bei darauffolgenden Versuchen immerhin eine signifikant höhere Chance von 30 Prozent.

Wenn es beim ersten Mal klappte, steigt womöglich die Reputation bei Investoren – oder der Gründer hat schlichtweg die bessere Idee. Holger Patzelt von der TU München erforscht das Scheitern im Wirtschaftsleben seit vielen Jahren. In dieser Zeit saßen ihm viele Gründer gegenüber, deren Träume zerplatzt sind. „Die manchmal transportierte Haltung, das Scheitern sei toll, ist völliger Blödsinn “, sagt Patzelt, „fragen Sie doch mal jemanden, der gerade Insolvenz angemeldet hat.“

Wer die entsprechenden Antworten sucht, muss mit Attila von Unruh sprechen. In einem der größten Brauhäuser von Köln ist an einem lauen Spätsommerabend jeder Tisch belegt. Draußen wird gelacht und angestoßen, die lebenslustigen Geräusche schallen zwei Stockwerke höher in einen großen Saal. Dort sitzen 20 Menschen auf Stühlen in einem Kreis. Frauen und Männer, die meisten älter als 50. Sie reden und gestikulieren, manchmal aufgebracht und emotional, manchmal stockend und verschämt.

Manche haben mehrere Monate gebraucht, bis sie sich hierher getraut haben. Und das, obwohl der Gesprächskreis anonym ist. Doch die Schamgefühle haben die meisten genauso verinnerlicht wie das ständige Vertuschen, Verharmlosen, Schönreden. Die Anwesenden haben eine Sache gemeinsam: Sie sind gescheitert. Als Unternehmer, Arbeitgeber oder Firmennachfolger – und stehen vor, mitten in oder kurz hinter einer Insolvenz. Wenn sie hier sitzen, haben viele schon eine der größten Hürden hinter sich: sich selbst einzugestehen, Hilfe zu brauchen.

So wie der Kölner Autohändler. Bis zu seinem ersten Abend bei den Anonymen Insolvenzlern führte er monatelang ein Doppelleben. Die Mitgliedschaft im Golfclub behielt er genauso bei wie die regelmäßigen Geschenke für seine Frau. Damit die Freunde nichts bemerkten, gab er weiterhin pompöse Partys, alles auf Kredit. Seine Frau wusste nichts von den steigenden Schulden. Eines Tages spazierten die beiden durch die Fußgängerzone, als er unerwartet auf einen Gläubiger traf. Als der ihn fragte, wann das Geld endlich komme, brach das Kartenhaus zusammen.

Genau wegen solcher Geschichten ist niemandem nach Scherzen zumute, wenn die Anwesenden darüber sprechen, wie man den Mitarbeitern am schonendsten beibringt, dass sie bald nicht mehr kommen können; es lacht niemand, wenn mal wieder jemand berichtet, wie die Familie an der Insolvenz zerbricht. „Die meisten Teilnehmer kämpfen mit einem zerstörten Selbstbild“, erzählt von Unruh später. „Sie fragen sich: Wer bin ich, wenn ich nicht mehr die Unternehmerin oder der Chef bin?“

Attila von Unruh war 44 Jahre alt, als er scheiterte. Jahrelang organisierte er mit seiner Agentur Veranstaltungen für Brauereien, dann gab er das Unternehmen ab. Als sein Nachfolger im Jahr darauf eine große Tournee plante und das teure Projekt floppte, musste er als Gesellschafter mithaften. Die Summe, die er zu zahlen hatte, war so hoch, dass er Insolvenz anmelden musste. Doch anstatt sich seinem Schicksal alleine hinzugeben, suchte von Unruh nach Gleichgesinnten. Als er keine fand, gründete er die erste anonyme Selbsthilfegruppe für Insolvenzler. Beim ersten Treffen waren sie zu dritt. Mittlerweile haben mehr als 13.500 Menschen in den Stuhlkreisen gesessen, es gibt Gesprächskreise in 15 Städten.

Dort begegnen sich meist jene, die sich als echte Unternehmertypen verstehen, egal, ob gescheitert oder nicht. „Viele wollen wieder etwas gründen, die können sich gar nicht vorstellen, irgendwo angestellt zu sein“, sagt von Unruh. Doch wer einmal gescheitert ist, darf nicht so einfach wieder gründen. Denn der Insolvenzverwalter kann die selbstständige Tätigkeit während des Verfahrens verbieten. So sind die Betroffenen unter Umständen jahrelang für die erneute Selbstständigkeit gesperrt.

Auch von Unruh selbst wollte mit seinen Erfahrungen anschließend als Coach arbeiten. Sein Insolvenzverwalter verbot es ihm. Erst als er ihm erklärte, dass sein neues Vorhaben nicht viel Kapital braucht, durfte er sich wieder selbstständig machen.

Von Unruh ist selbst das beste Beispiel: Ob man aus dem Scheitern lernt, wird auch dadurch bestimmt, wie der Einzelne den Rückschlag verarbeitet. Zusammen mit amerikanischen Kollegen untersuchte Holger Patzelt, wie sich berufliche Niederlagen auf den einzelnen Menschen auswirken. Dazu befragten die Autoren mehr als 500 Wissenschaftler in Forschungsinstituten zu ihren Erfahrungen mit gefloppten Projekten – und entdeckten drei typische Bewältigungsstrategien.

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