Keine Lust auf Regeln Querdenker sind als Selbstständige besser dran

Wer gegen den Strich gebürstet ist, passt häufig nicht so gut in ein Unternehmen wie Personaler und man selbst vielleicht meint. Quelle: Fotolia

"Wir suchen Kreative, Querdenker, Unangepasste" - sagen Unternehmen. Nur: Haben sie diese gefunden, sind sie mit ihnen unzufrieden. Querdenker ecken an – und haben als Gründer die besseren Chancen. Oder bei Facebook.

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Lisa ist 32 Jahre alt und in der Presseabteilung eines Unternehmens tätig. Sie gerät immer wieder mit ihrem Chef aneinander: "Ich sage, was ich denke und lache auch nicht, wenn ich einen seiner Scherze nicht lustig finde." Dass sie sich dem Vorgesetzten nicht immer fügt, hat hier und da schon mal für Probleme gesorgt und an einem Punkt fast zur Kündigung geführt.

Unangepasste Menschen sollten Unternehmen eigentlich suchen, denn sie gelten als visionär und besonders innovativ. Doch sie stellen auch Hierarchien infrage und sind deshalb für Vorgesetzte oft ungemütlich.

"Querdenker werden in Arbeitswelten als 'gefährlich' empfunden", sagt Dr. Regina Ruppert, Vizepräsidentin im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater. "Gerade im Bewerbungsprozess, wo es klare Standards und Vorgehensweisen gibt. Je konservativer das Unternehmen ist, umso wichtiger ist dem Arbeitgeber die Einhaltung der Standards."

Vor allem im wertekonservativen, mittelstandsgeprägten Deutschland seien berufliche Lebensläufe unflexibel und standardisiert - und so am Ende auch die Menschen, die diese führen. In anderen Gesellschaften sei es für Querdenker einfacher, sich zurechtzufinden. "In den USA oder in Großbritannien spricht nichts dagegen, dass ein Hochschulabsolvent der Medizin ein erfolgreicher Manager in der Maschinenbauindustrie werden kann", so Ruppert. In Deutschland führten einmal eingeschlagene Wege oft in eine Sackgasse.

"Die Crux ist, dass es gerade dem familiär geprägten Mittelstand gut tun würde, Ideengeber und Entrepreneure einzustellen, um Altbewährtes aufzubrechen, sich für Neues zu öffnen und letztlich Innovationen zu befördern", sagt die Expertin.

Start-ups und Facebook wollen Querdenker

Die Digital-Branche und Startup-Welt gilt als besonders offen für Andersdenkende, denn dort müssen Produkte oft erstmalig entwickelt und Prozesse neu gestaltet werden. Bei Facebook Deutschland würde das durch das Einstellen von Menschen gewährleistet, die verschiedene Hintergründe zusammenbringen. "Unterschiedliches Denken durch unterschiedlichen kulturelle, ethnische oder geschlechtliche Hintergründe nennen wir kognitive Vielfalt. Die ist entscheidend, um eine Gemeinschaft zu bilden und die Welt näher zusammenzubringen", so die Sprecherin der deutschen Tochtergesellschaft des Unternehmens.

Auch im Bewerbungsprozess von Facebook Deutschland würden Querdenker bevorzugt, denn es sei gerade dann wichtig, zu beweisen, dass man außerhalb von Grenzen denken kann. Dennoch kann der deutsche Sitz des Konzerns Beispiele wie Facebook-Gründer Mark Zuckerberg oder die COO Sheryl Sandberg, die beide als Querdenker gelten, nicht wirklich vorweisen.

Laut Dr. Regina Ruppert ist es üblich, dass sich Querdenker irgendwann selbstständig machen. Der Grund dafür ist, dass solche Menschen sich in starren Unternehmensstrukturen nicht zurechtfinden. Für ihre Ideen wartet der wahre Erfolg in der Regel nach der eigenen Unternehmensgründung. Tesla-Chef Elon Musk oder Amazon-Gründer Jeff Bezos sind beide als Querdenker bekannt: Bezos verfolgte nach wenigen Jahren im Angestelltenverhältnissen das eigene Geschäftskonzept, Musk gründete gleich nach Abbruch seines Doktoratsstudiums das erste eigene Unternehmen.

von Lilian Fiala, Lin Freitag, Jan Guldner, Daniel Rettig

Immer öfter wird die Kritik laut, dass in Deutschland originelle Geschäftsideen wie die von Musk oder Bezos nicht ausreichend gefördert würden und unternehmerischer Erfolg hierzulande eher auf Copycat-Strategien gründe. Doch auch Deutschlands Geschichte hat berühmte Querdenker vorzuweisen, die neue unternehmerische Wege bestritten. Der Ingenieur, Erfinder und Großindustrielle Robert Bosch gründete im Jahre 1868 seine Firma, die vor der Jahrtausendwende zu einem weltweit agierenden Konzern angewachsen war. Er sagte einst: "Ich verdanke meinen Erfolg weniger meinen Kenntnissen als meinem Charakter" und führte so seine Errungenschaften unmittelbar auf sein Querdenkertum zurück. In der jüngeren Geschichte Deutschlands sucht man leider vergeblich nach einem ähnlichen Querkopf.

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