Knigge-Nachfahre "Ich habe nie etwas von steifen Regeln gehalten"

Moritz Freiherr Knigge erklärt, warum man wieder „Gesundheit“ sagen darf, welche Knigge-Regeln heute noch gültig sind und warum man auch in der Krise nicht die Ellenbogen ausfahren sollte.

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Moritz Freiherr Knigge

WirtschaftsWoche: Herr Knigge, kann man mit einem Videospiel der Generation Killerspiel wieder gutes Benehmen beibringen?

Moritz Freiherr Knigge: Ich halte es für eine Mär, dass Killerspiele mit schlechtem Benehmen zusammen hängen. Ich habe selbst diverse Killerspiele gespielt und weiß mich recht gut zu benehmen. Aber man hat mit so einem Spiel die Chance, Menschen zu erreichen, die vorher nicht über solche Fragen nachgedacht haben.

Manche Computerspiele werden von als Mitauslöser für Amokläufe und die Verrohung der Sitten verantwortlich gemacht. Sie sehen solche Gefahren nicht und würden auch keine gewalttätigen Spiele verbieten?

Nein, ich bin gegen ein Verbot. Nur ein Killerspiel reicht nicht aus, um zum Amokläufer zu werden. Ich glaube auch nicht, dass man sie einfach verbieten kann.

Entscheidend ist aber die Frage, wie Kinder lernen, damit umzugehen. Lassen sich Eltern dazu herab, sich damit zu beschäftigen und auch mal gemeinsam mit Kindern zu spielen, statt sie stundenlang mit quadratischen Augen allein hinter dem Computer versauern zu lassen?

Etiketteregeln haben ein altmodisches Image. Was sind die wichtigsten Regeln, die der jungen Generation näher gebracht werden sollten?

Ich habe nie etwas von steifen Regeln gehalten, die auswendig gelernt werden. Gutes Benehmen und Höflichkeit brauchen in erster Linie ein Bewusstsein dafür und gar keine Vielzahl von Vorschriften. Die wichtigsten Grundlagen sind Offenheit, Aufmerksamkeit und Respekt. Wer mit offenen Augen durch die Welt läuft, erkennt schon, was im jeweiligen Moment angemessen wäre.

In der Praxis liefern aber die meisten Etikette-Trainer und Ratgeber ganz konkrete Regeln. Zum Beispiel, dass man nicht mehr „Gesundheit“ sagt.

Das hat sich ja schon wieder geändert. Die Empfehlung wurde einmal vom „Arbeitskreis moderner Umgangsformen“ aufs Trapez gebracht – das sind oft alte Tanzschullehrer, in deren Hand in den Fünfziger Jahren die Definition der Etikette lag. Dieser Arbeitskreis sagte, da es immer mehr Menschen mit Allergien gab, würde das Menschen auf ihre Krankheit reduzieren, wenn man ihnen ständig Gesundheit wünscht.

Aber wenn ihr Kollege Allergiker ist und Sie ihm fünfzig Mal am Tag Gesundheit wünschen, fühlt er sich zu Recht veräppelt. Doch die wenigsten Leute machen das und ansonsten ist es ja  eine aufmerksame Geste. So hat die Deutsche Knigge Gesellschaft auf ihrer Jahrestagung auch empfohlen, man könne sich wieder „Gesundheit“ wünschen.

Wenn solche Vorschriften ständig geändert werden, werden Etiketteregeln doch zu einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Benimmtrainer.

Ja und es gibt oft keine einheitliche Meinung. Ich werde oft gefragt, wie es richtig ist – soll ich die Serviette wenn ich den Tisch verlasse nach rechts oder nach links legen? Im Endeffekt ist das völlig egal. Es geht immer um das angemessene Handeln, wer das beherrscht, braucht  solche Regeln nicht.

Aber sonst kritisieren sie strikte Etikette-Vorschriften, doch das Knigge-Videospiel funktioniert oft genauso. Da wird klar nach Sitte oder Unsitte gefragt.

Es ist ein neues Medium und dafür finde ich es ganz in Ordnung. Ich gebe nicht soviel darauf, ob alles hundertprozentig so ist, wie ich es tun würde. Hauptsache das Thema kommt aus der verstaubten Ecke heraus.

Der Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Beratung von Unternehmen in ethischen Fragen und wertschätzender Kommunikation. Gute Unternehmensführung ist in den letzten Jahren stark in Mode, doch im Alltag gibt es Korruptionsskandale oder Mitarbeiterbespitzelungen. Ist Unternehmensethik oft nur ein leeres Versprechen?  

Natürlich haben wir viele Skandale aber im Vergleich zu den vielen Unternehmen sind es doch relativ wenige. Aber Korruption ist wirtschaftlich dumm, denn schlechte Produkte werden subventioniert. Man sollte das Geld, mit dem man korrumpiert, in die Produktentwicklung stecken und so ein gutes Produkt anbieten, dass die Kunden nicht daran vorbeikommen.

Und was ist mit anderen Kulturkreisen, wo ohne Korruption einfach nichts geht. Ist es den ethisch verwerflich, wenn man sich den örtlichen Gepflogenheiten anpasst?

Korruption ist illegal und kriminell. Wenn keine Unternehmen darauf eingehen würden müssten sich diese Länder darauf einstellen. Sie sollten das nun wirklich nicht mit kulturellen Eigenarten in der Etikette vergleichen.

Die Zeiten sind wirtschaftlich sehr schlecht, viele Unternehmen sparen und entlassen Mitarbeiter. Wird dadurch nicht gute Unternehmensführung weiter vernachlässigt?

Wir hören oft, dass ist ein Sahnehäubchen, das man sich leistet, wenn es gut läuft. Es ist schade, dass Menschen so denken. Viele sehen Wirtschaft und Ethik als zwei völlig unterschiedliche Sphären und begreifen nicht, dass beides ineinander greift.

Auch viele Mitarbeiter kämpfen darum, ihre Position im Unternehmen zu retten. Auch da sind doch egoistisches Handeln und Ellenbogenmentalität wieder stärker gefragt.

Das stimmt, aber es ist schade. Ich kann nur an jede Unternehmensführung appellieren: lasst das nicht zu! Doch die Geschäftsführer unterbinden es nicht. Vielleicht weil sie meinen, dass sie selbst so hoch gekommen sind?

Gehört ein gesunder Konkurrenzkampf nicht zum Leben dazu?

Natürlich gibt es Menschen, die charakterlich härter und andere, die sensibler sind. Doch die Sensiblen sollten auch sagen, wenn Ihnen etwas nicht passt. Da wird zu schnell der Schwanz eingezogen. Wenn sie vernünftige Dinge antworten, ist die Wahrscheinlichkeit, dass reagiert wird, recht groß. Die meisten sind aber schnell eingeschnappt und denken sich nur ihren Teil.

Bei der Entstehung der Finanzkrise wird manchen Managern verantwortungsloses Handeln vorgeworfen, sehen Sie das auch so?

Das hat eine große Rolle gespielt. Doch jetzt werden gierige Banker als Buhmänner dargestellt. Dass wir über Jahre unser Geld bei denen angelegt und uns über die Gewinne gefreut haben, darüber redet keiner.

Der Politik hat es gefallen und sie hat dazu beigetragen, dass bestimmte Hürden gefallen sind, doch Schuld sind nur die bösen Banker.

Und wenn Gewerkschafter gegen die Abwanderung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer demonstrieren und sich danach einen DVD-Player für 30 Euro kaufen, fehlt dort die Konsistenz. Viele machen es sich bei ihrem Handeln zu einfach.

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