Konsum Besitz macht glücklich

Die Gegenstände, mit denen wir uns umgeben, sind Spiegel unserer Persönlichkeit, Zeugen unserer Biografie und Trost. Warum es wichtig ist, Dinge zu besitzen.

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Welcher Besitz den Bürgern am wichtigsten ist
Schmuck, Taschen, Uhren: Acht Prozent der Befragten sind diese Gegenstände wichtig. Quelle: Das Meinungsforschungsinstitut forsa hat zu diesem Thema 1.008 Teilnehmer befragt. Die Generali Versicherung hatte die Umfrage in Auftrag gegeben. Quelle: dpa
Elf Prozent finden Haushaltsgeräte besonders wichtig. Quelle: obs
16 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass besonders Hobby- und Sportgeräte wichtigen Besitz darstellen. Quelle: dpa/dpaweb
23 Prozent der Befragten legen Wert auf Kleidung. Allerdings sehen das Männer naturgemäß gelassener: Nur 15 Prozent der männlichen Befragen halten das für wichtig - gegen 31 Prozent der Frauen. Quelle: dapd
28 Prozent legen Wert auf Elektro- und Unterhaltungsgeräte. Auch hier haben die Interviewer einen Unterschied zwischen den Geschlechtern ausgemacht: 37 Prozent der Männer sind TV-Fernseher und Playstation & Co besonders wichtig. Doch nur 19 Prozent der weiblichen Befragten teilen diese Ansicht. Quelle: dpa
Auch bei der Inneneinrichtung und Möbeln gibt es zwischen Männlein und Weiblein einen Unterschied: Während 28 Prozent der Männer der Besitz einer Couch wichtig ist und sich gerne um die Gardinen kümmert, sind schon 44 Prozent der Frauen der Ansicht, dass der Besitz von Möbeln besonders wichtig ist. Quelle: dpa
Wie sollte es auch anders sein: Männer bevorzugen zu 54 Prozent Wagen, Motoren und Fahrräder. Diese Art der Mobilität bevorzugen dagegen nur 44 Prozent der Frauen. Insgesamt 49 Prozent der Befragten finden Autos wichtig. Quelle: dpa

Es war Mitte der Siebzigerjahre, als sich auf den Nachtschränkchen der heranwachsenden Akademikerkinder zuverlässig zwei Bücher fanden, die wie keine anderen den antikonsumistischen Geist der Zeit einfingen: "Die Kunst des Liebens" und "Haben oder Sein". Ihr Autor, der Psychoanalytiker und Sozialphilosoph Erich Fromm, ging mit der westlichen Wohlstandsgesellschaft scharf ins Gericht. Der moderne Konsument sei der "ewige Säugling, der nach der Flasche schreit", ein infantiler, im "Existenzmodus des Habens" zwanghaft befangener Suchtcharakter, der "alle und alles" in tote, seiner Macht unterworfene Dinge verwandelt.

Zwar wurde bei Fromm nicht recht klar, wie man sich im Kontrast dazu das "haben-freie" Sein des "neuen Menschen" konkret vorzustellen habe – aber die Generation der sogenannten Postmaterialisten nahm die Botschaften des Moralisten dankbar auf: Das gute wahre Sein beginne erst jenseits der bösen materiellen Dingsphäre, die Liebe zum Leben schließe den "nekrophilen" Konsum aus, die Formel "Ich bin, was ich habe und konsumiere" komme einem existenziellen Armutszeugnis gleich.

Produkt der Wohlstandsgesellschaft

Dass die Entdeckung der "höheren", immateriellen Bedürfnisse, also etwa die Kultivierung von Liebe, Selbstentfaltung und Solidarität, ihrerseits ein Produkt der Wohlstandsgesellschaft war, die allererst für die lebensnotwendigen Dinge sorgt, entging den Nach-Achtundsechzigern ebenso wie die Tatsache, dass im modernen Konsum sich materielle mit immateriellen Wünschen verschränken: Die Dinge des Konsums werden heute, über ihren Gebrauchswert hinaus, mit Erlebnissen, Gefühlen und Werten aufgeladen.

Aufgeräumte Erfahrung: Schwedische Untermieterin samt den Dingen ihres Lebens

Der Kunsthistoriker und Konsumforscher Wolfgang Ullrich hat in seinen Studien über das "Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur?" nachgezeichnet, wie in den Dingen, mit denen die Menschen sich umgeben, ihre Persönlichkeit zum Ausdruck kommt. Ob Füllfederhalter, Jackett oder Auto: Produkte erzählen Geschichten, sie sind Vehikel der Lebenseinstellungen und zeigen, wie wir uns sehen und von anderen gesehen werden wollen: als cooler Siegertyp im schnittigen Cabrio oder als verantwortungsvoller Konsument, der auf Bioprodukte schwört.

"Schauer des Erworbenwerdens"

Die gängige Konsumkritik, so Ullrich, übersehe, dass es das "nackte Sein à la Fromm" gar nicht gibt, dass wir "immer schon in Ding- und Haben-Welten sozialisiert sind", die unsere Identität mit konstituieren. Dass die Menschen Autos, Bücher und CDs zunehmend nur noch auf Zeit oder virtuell nutzen, macht die Exklusivität des materiellen Besitzes von Dingen keineswegs obsolet. Im Gegenteil: Die Konsumerlebnisse bleiben an das konkrete Haben gebunden, weshalb das Sharing, die gemeinsame Nutzung von Dingen, wie Ullrich vermutet, trotz aller vernünftigen Gründe "Sache einer kleinen Minderheit bleibt: Die Produkte können ihren Emotions- und Fiktionswert nämlich nur dann voll entfalten, wenn man sie auch real besitzt." Das "Glück des Habens" ist geradezu magisch an Exklusivität geknüpft, erst durch den "Schauer des Erworbenwerdens" (Walter Benjamin) avancieren die Dinge zu einem Teil unseres Selbst.

Verlust schmerzt

Die größten Shoppingmalls der Welt
Einkaufspassage in Berlin Quelle: REUTERS
Shopping im Superlativ: In Dubai soll auf 740.000 Quadratmetern ein weiteres gigantisches Einkaufszentrum entstehen. Rund hundert Hotels, eine ganze Passage mit Wellnessangeboten, ein Theaterviertel und Einkaufsmeilen nach dem Vorbild der Londoner Oxford Street sollen bis zu 180 Millionen Touristen pro Jahr in den Kommerztempel locken. Zu den Kosten und dem Fertigstellungstermin machte Herrscher Scheich Mohammed bin Raschid al-Machtum bislang keine Angaben. Mit dem Projekt lässt Dubai aber aktuelle Mega-Einkaufszentren klein aussehen. Die bisherige Top Ten der größten Shoppingmalls. Quelle: AP
West Edmonton Mall Quelle: West Edmonton Mall - Emporis
The Dubai Mall Quelle: The Dubai Mall - Emporis
Cehavir Mall Quelle: St Martins Property Corporation - Emporis
Mid Valley Megamall Quelle: REUTERS
Persian Gulf Complex Quelle: Hamrah Ghashghaei - Emporis


Was Wunder, dass ihr unfreiwilliger Verlust, etwa durch Einbruch oder Zwangsvollstreckung, von den Betroffenen als Angriff auf die Integrität der Person empfunden wird. Die Journalistin Annette Schäfer zitiert ein Einbruchsopfer mit den Worten: "Schlimmer ist nur, einen Menschen zu verlieren; es ist, als ob man vergewaltigt wird." Ihr soeben erschienenes Buch "Wir sind, was wir haben. Über die tiefere Bedeutung der Dinge für unser Leben" ist eine Hommage an den amerikanischen Psychologen William James (1842–1910), der die Identität der Person unmittelbar an ihr Haben knüpfte, an die persönlichen Dinge, die er als Selbst-Objekte verstand. Das "Selbst eines Menschen" definierte James in einem umfassenden Sinn als die "Gesamtsumme" dessen, "was die Person ihr Eigen nennen kann, nicht nur sein Körper und seine psychischen Kräfte, sondern auch seine Kleider und sein Haus, seine Frau und Kinder, sein Ruf und seine Arbeit, seine Yacht und sein Bankkonto".

James redete durchaus nicht dem Materialismus das Wort. Er verwies vielmehr, wie Schäfer sagt, auf die "enge Beziehung" zwischen dem Selbstwertgefühl und den "Besitztümern eines Menschen", die essenziell zu ihm gehören, kurz, auf die identitätsstiftende Bedeutung der Dinge: Verlieren wir Besitz, so erleben wir dies als Schrumpfung der Person, bis zum Gefühl der Vernichtung, etwa wenn eine Sammlung oder ein wichtiges handschriftliches Werk verloren geht.

Was in Deutschland geklaut wird (zum Vergrößern bitte Bild anklicken)

Verluste, so wissen die Ökonomen unter den Glücksforschern, werden empfindlicher wahrgenommen als Gewinne. Ein Ding zu verlieren bedeutet größere Unlust, als es die Lust ist, etwas Gleichwertiges zu erwerben. Zusätzliche Konsumverheißungen mögen den Durchschnittsmenschen kaltlassen, doch wenn er mit weniger auskommen muss als dem, was er hat, fühlt er sich schnell entwertet. Zumal wenn diejenigen, denen er sich ebenbürtig fühlt, nicht so stark zurückstecken müssen, wie er selbst. Allemal definieren wir uns auch über das, was wir haben, ob über Geld oder über die Dinge, die uns umgeben. Sie sind uns keineswegs äußerlich, im Gegenteil, sie sind Spiegel unserer Persönlichkeit, Begleiter unserer Biografie.

Überbewertetes Besitzgefühl

Die Orientierung an dem, was wir im greifbaren Sinn haben können, ist tief verwurzelt in unserer Psyche. Das zeigt die vergleichende Ethnologie, die, von den Inuit bis zu den Ureinwohnern Neu-Guineas, das magische Band zwischen Menschen und Dingen beschreibt, ebenso wie die Psychologie: Der Kognitionspsychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann, einer der Erfinder des "Endowment-Effekts", nach dem wir den Besitz einer Sache immer überbewerten und ihn deshalb nur widerstrebend abgeben, erinnert an das Verhalten von Säuglingen: Sie klammern sich fest an ihr Spielzeug und zeigen "eine starke motorische Unruhe, wenn es ihnen weggenommen wird".

Der britische Psychoanalytiker Donald W. Winnicott beschreibt die Bedeutung der sogenannten "Übergangsobjekte" für die Ablösung des Kleinkinds von der Mutter: Die Schmusedecke vermittelt zwischen Selbst und Welt, tröstet beim Alleinsein, dient der Abwehr von Ängsten beim Schlafengehen. Der Frankfurter Psychologe Tilmann Habermas betont in seiner Studie über "Geliebte Objekte" die identitätsbildende Funktion persönlicher Dinge für den Teenager: Mit der Gitarre träumt er sich in die Rolle des Rockstars, auf dem Mountainbike testet er seine Mobilität.

Erinnerungsspeicher

Die größten Karrieremythen
Der erste Job muss der richtige seinWer auf standardisierte Einstiegsprogramme in Unternehmen mit hohem Bekanntheitsgrad setze, müsse auch in Kauf nehmen, dass die eigene Berufslaufbahn nachgemacht wirkt, sagt Personalberater Marcus Schmidt. „Gehen Sie eigene Wege. Suchen Sie Ihren Einstieg ruhig gegen den Strich. Probieren Sie etwas aus, was sie wirklich interessiert.“ Quelle: AP
Der MBA ist ein Karriere-TurboDie deutsche Wirtschaft zeigt ein anderes Bild: Absolventen hätten sich selten in die Führungsetage hochgearbeitet, sagt Schmidt. Anders als der Doktortitel ist der MBA zudem kein normierter akademischer Grad, seine Vergabe wird also grundsätzlich nicht staatlich geregelt oder kontrolliert. Wer Studiengebühren von bis zu 70.000 US-Dollar auf sich nehme, solle deshalb das Renommee der Schule immer überprüfen. Quelle: dpa
Ein Auslandsaufenthalt fördert die weitere KarriereNicht immer, sagt Headhunter Marcus Schmidt – stattdessen kann der Auslandseinsatz sogar zum Nachteil werden. „Oftmals sind es die Daheimgebliebenen, die dann verbleibende Inlandsposten unter sich aufteilen“. Sie säßen dann auf Stühlen, auf die Auslandsrückkehrer vergeblich spekulieren. Quelle: Fotolia
In der Wirtschaftskrise macht man keine Karriere„In der Krise wählen Unternehmen bei der Besetzung von Stellen zwar sorgfältiger aus. Aber sie stellen trotzdem noch ein“, ist die Erfahrung von Marcus Schmidt. Gerade in Phasen des Umbruchs gebe es etwa die Chance zur Übernahme von Restrukturierungsjobs, bei denen wirklich die Fähigkeit der Verantwortlichen zählt. Quelle: dpa
Frauen hindert die „gläserne Decke“ am AufstiegTatsächlich finde sich diese „gläserne Decke“ vor allem in den Köpfen der männlichen Entscheider, glaubt Schmidt. Für weibliche Führungskräfte scheine sie hingegen kein Thema zu sein. „Viele Beratungsunternehmen und große Konzerne bitten uns öfter sogar explizit, nach weiblichen Kandidatinnen zu suchen.“ Quelle: dapd
Karriere macht, wer mehr als 60 Stunden pro Woche arbeitetFalsch, glaubt Headhunter Marcus Schmidt. Ebenso wichtig wie der tatsächliche Zeiteinsatz sei der gefühlte Zeiteinsatz. Und der definiere sich auch durch die Befriedigung mit der getanen Arbeit. „Wer es schafft, aus seiner Arbeit weitgehend Befriedigung zu ziehen, muss auch nicht Karriereschablonen zum persönlichen Zeiteinsatz nachjagen.“ Quelle: dpa
Gehalt ist ein untrüglicher Gradmesser des KarriereerfolgsDie Position mit Perspektive sei nicht immer die am besten bezahlte, sagt Marcus Schmidt. So könne sich für ein renommiertes Traineeprogramm ein kurzfristiger Gehaltsverzicht durchaus auszahlen - etwa, wenn das ausbildende Unternehmen in seiner Branche als Kaderschmiede gilt. Quelle: dpa

Stets haben persönliche Dinge eine stabilisierende Funktion, vergegenwärtigen sie als "autobiographische Souvenirs" die eigene Vergangenheit und verbinden mit anderen Personen. Rolf Haubl, Geschäftsführender Direktor des Frankfurter Sigmund-Freud-Instituts, spricht von "biografischen Markern", von "Erinnerungsspeichern": "Man macht eine Schachtel auf – und schon geht der Erinnerungsfilm los".

Dass die "dingliche Umwelt" immer auch ein "Träger der Identitätsentwicklung" ist, wurde, so Haubl, von der Psychologie "lange Zeit komplett übersehen". Diese dingliche Umwelt sei in "konzentrischen Kreisen" angeordnet: Es gebe den großen Bereich austauschbarer Waren und einen "Kernbereich identitätssichernder Objekte", die wir als erste aus einem brennenden Haus retten würden. Das kann ein Schreibtisch sein oder das Familiensilber, eine Armbanduhr oder ein Tagebuch. Lauter Dinge, an denen unser Herz hängt, weil wir Erinnerungen mit ihnen verbinden.

"Trost der Dinge"

Dass selbst die überbordende Warenwelt uns keineswegs, wie die gängige Konsumkritik es will, an vitalen mitmenschlichen Beziehungen hindert, zeigt schließlich eine bemerkenswerte Feldstudie des Londoner Anthropologen Daniel Miller. "Der Trost der Dinge" heißt die Sammlung von 15 Porträts, in denen Miller das Wohnungsinventar von Menschen zum Sprechen bringt, die in einer ganz normalen Straße im Süden Londons leben.

Wie sich, so Millers Leitfrage, die "Persönlichkeit und die Lebensverhältnisse eines Menschen in den Dingen widerspiegelt, mit denen er sich innerhalb seiner eigenen vier Wände umgibt", wird nirgendwo so deutlich wie in den Kapiteln "Leere" und "Fülle": Die völlig schmucklose, von keinem Foto, keiner Porzellanfigur belebte Wohnung des frühpensionierten Buchhalters George erscheint als Spiegel seiner eigenen Leere, als erschreckendes Dokument seines ungelebten Lebens.

Die liebevoll eingerichtete, zur Weihnachtszeit prächtig mit Geschenken dekorierte Wohnung des Ehepaars Clarke hingegen bildet den festlichen Rahmen einer "hochkultivierten Geselligkeit, die auf über Generationen weitergegebener Erfahrung beruht" und die anti-frommsche These bestätigt: dass das "Haben", die "Hingabe an die Dinge", ein Hinweis ist auf die "liebevolle Zuwendung zu anderen Menschen".

Forscher Miller glaubt, dass die Ordnungssysteme, die einst von Kirche und Staat bereitgestellt wurden, heute vom Einzelnen geschaffen werden. Nicht zuletzt durch das Arrangement der Dinge, die Halt bieten, etwa in Form von Kleidung und Schmuck, wie bei der 20-jährigen Charlotte, die ihre Vergangenheit betrachtet, indem sie ihre Piercings ansieht. Oder durch das Sammeln von McDonald’s Happy Meals: Die Spielzeugfiguren, eine "industriell hergestellte Massenware", machen Marina und ihre Kinder tatsächlich glücklich. Sie werden zu nichts Geringerem als der "ästhetischen Summe ihrer Existenz".

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