Jeder Angestellte soll heute ständig kreativ und innovativ sein. Doch dazu gehört es nicht nur, neue Einfälle zu entwickeln – sondern gleichzeitig deren Erfolgschancen einzuschätzen. Leichter gesagt als getan, besonders in Unternehmen.
Oder, um es mit Thomas Strerath zu sagen: "Die große Kunst ist es, eine gute Idee zu erkennen, sie ins Ziel zu tragen und dabei jedem auf die Finger zu hauen, der sie verschlimmbessern will." Das sagte der Vorstand der Werbeagentur Jung von Matt kürzlich im Interview mit der Fachzeitschrift "Horizont".
Aber wer ist zuverlässiger darin, Hirngespinste von Geniestreichen zu unterscheiden: diejenigen, die täglich neue Ideen entwickeln - oder deren Vorgesetzte, die in diesen kreativen Prozess nicht direkt eingebunden sind?
Was die Kreativität fördert
Der Psychologe Travis Proulx von der Universität von Kalifornien ließ Probanden sinnfreie Passagen aus Kafkas "Landarzt" lesen. In anschließenden Tests fanden sie mehr Lösungswege und schnitten besser ab als diejenigen, die eine redigierte Version gelesen hatten.
Frank Fischer von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität analysierte die Gruppenarbeiten von 300 Studenten. Vorher hatte er den Raum mit höhenverstellbaren Tischen ausgestattet. Siehe da: Teilnehmer, die zwischen Sitzen und Stehen wechselten, kamen häufiger zu richtigen Ergebnissen als nur im Sitzen - und hatten 24 Prozent mehr Ideen.
Im Schlaf findet kombinatorisches Denken statt, wie Denise Cai von der Universität von Kalifornien in San Diego 2009 bestätigen konnte. Sie ließ 77 Teilnehmer verschiedene verbale Aufgaben lösen, einige Probanden konnten zuvor ein Nickerchen halten - die lösten die Aufgaben am besten.
Der Sozialpsychologe Jens Förster von der Jacobs-Universität Bremen fand in einer Studie heraus, dass die Teilnehmer eine kniffelige Aufgabe eher lösten, wenn sie zuvor an ihren Partner gedacht hatten. Der Gedanke an Liebe lässt in die Zukunft blicken - was dabei hilft, Dinge miteinander in Beziehung zu stellen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben.
In blauer Umgebung steigt der Einfallsreichtum. Ravi Mehta und Rui Zhu von der Universität von British Columbia in Vancouver ließen Freiwillige im Jahr 2009 verschiedene Aufgaben lösen - roter Hintergrund verbesserte zwar die Leistung bei der Detailaufgabe, blau jedoch die Kreativität.
Um eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, setzte der Psychologe Justin Berg von der Stanford-Universität für seine neue Studie auf die Hilfe des berühmten kanadischen Zirkus Cirque du Soleil – und zwar aus drei Gründen.
Erstens ist die Zirkusbranche auf Kreativität angewiesen. Wären die Vorstellungen und Tricks immer gleich, würde kein Besucher mehr ins Zelt kommen. Zweitens sind die Rollen von Artisten und Direktoren getrennt und lassen sich somit vergleichen. Und weil die meisten Führungskräfte eines Zirkus ihre Karriere drittens als Clown, Dompteur oder Artist in der Manege gestartet haben, verfügen beide Gruppen über ähnliches Wissen.
Gute Voraussetzungen für ein kleines Experiment.
Der Mensch neigt zu Selbstüberschätzung
Berg konfrontierte 339 Zirkusangestellte aus insgesamt 43 Ländern – Artisten aus der Manege ebenso wie Manager hinter den Kulissen – mit Videos verschiedener Zirkusakte. Außerdem zeigte er die Filmchen 150 Arbeitnehmern. Alle Befragten sollten nun prognostizieren, wie gut die Videos bei neutralen Zuschauern ankommen würden. Im Anschluss stellte er sie ins Internet und ließ sie von Freiwilligen bewerten. Wie gefielen ihnen die gezeigten Akte – und würden sie sie mit ihrem virtuellen Freundeskreis bei Facebook und Twitter teilen?
Das Ergebnis: Die Zirkuskünstler sagten den Erfolg eines Videos tatsächlich treffsicherer voraus als die Führungskräfte. Außerdem schlugen sie sich auch besser als die fachfremden Laien – aber immer nur dann, wenn die Filmchen fremde Ideen zeigten.
Handelte es sich bei den gezeigten Ausschnitten um ihre eigenen Gedankengeschöpfe, neigten die Kreativen hingegen schnell zur Selbstüberschätzung – und der Vorsprung verpuffte.
Hohe Identifikation führt zu Kritikresistenz
Das ist auch für den Büroalltag relevant. Ihre eigenen Ideen finden die meisten Menschen nun mal ziemlich originell – äußert ein Kollege Kritik, reagieren sie oft ablehnend und trotzig.
Manche Arbeitsforscher nennen das Phänomen Not-invented-here-Syndrom. Demnach bevorzugen die Angestellten vor allem die eigenen Geistesblitze und machen die der anderen entsprechend schlecht.
Selbst kluge Menschen halten daher gerne mal an dummen Ideen fest. Dahinter steckt das Prinzip des psychologischen Eigentums (psychological ownership). Haben wir körperliche oder geistige Arbeit verrichtet, dann fühlen wir uns der Idee oder dem Gegenstand viel stärker verbunden.
Nun kann das durchaus positive Folgen haben. Dann nämlich, wenn wir uns stärker engagieren. Das Problem ist allerdings, dass hohe Identifikation auch zu Kritikresistenz führen kann. Selbst gut gemeinte Anregungen empfinden Menschen dann als Angriff auf ihre Idee, ihr Produkt – und auch auf sich selbst.
Führungskräfte sollten kreativ sein
Deswegen neigen wir auch dazu, die Chancen unserer Geistesblitze zu überschätzen. "Die meisten Menschen sind schlecht darin, den Erfolg eigener Ideen zu prognostizieren", sagt Stanford-Psychologe Berg, "aber immerhin sind sie besser als Chefs darin, den Erfolg fremder Ideen vorherzusagen."
Je besser Arbeitnehmer sich in einem Gebiet auskennen, desto höher die Chance, dass sie in der Hierarchie aufsteigen. Dann jedoch sind sie selber selten innovativ – weil sie zu sehr damit beschäftigt sind, die Ideen anderer zu bewerten.
Bergs Studie deutet nun ein Ausweg an: Auch Führungskräfte sollten sich kreativ ausleben – dann bewahren sie sich die Fähigkeit zur treffsicheren Prognose.