Die Vorstellungsrunde nach den in Zwiebel-Rotwein-Sud marinierten groben Bratwürsten im Hot-Dog-Brötchen beginnt mit Bekenntnissen. „Ich bin Anita und ich bin Gasgriller.“ Wie Ralf. Dann stellt sich ein Kohlegriller vor. Nur einer der zwölf Teilnehmer der Weber Grillakademie in Heinsberg bei Aachen tanzt aus der Reihe. „Ich bin Antigriller“, sagt Stefan. Er bekennt sich zu seinem Elektrogrill. Die Lacher hat er auf seiner Seite inmitten des Geräteparks an voluminösen Holz-, Kohle- und Gasgrills. Grillen, das ist dieser Tage keine Frage der Technik, sondern eine Frage der Einstellung. Es zählt der Wille zur Zubereitung an der frischen Luft. Was dieser Wille zu leisten vermag, wenn die nötige Technik und das Know-how vorhanden sind, lehren die Instruktoren Stefan und Tommy.
Die Zahl der Häufiggriller steigt langsam, aber stetig, etwa so wie die Temperatur in einer Schweineschulter, die kontrolliert bei niedriger Temperatur Stunden über Stunden in einem Smoker gegart wird. Waren es 2011 gut 280.000 Menschen, die mehrmals wöchentlich grillten, wuchs ihre Zahl 2012 auf 350.000 und im vergangenen Jahr schon auf 420.000. Doch das Grillen verändert sein Gesicht. War es früher vor allem gekennzeichnet durch die Rauschwaden verbrannter Fette über Holzkohlefeuern, die eilig mit einem Spritzer Bier aus der Flasche gelöscht wurden, sind es heute die duftenden Wölkchen von Holzchips in Sorten wie Apfel, Kirsche, Walnuss, Buche oder Whisky-Eiche, die aus den geschlossenen Grillwagen emporsteigen.
Vorangetrieben wird die Verfeinerung des Grillens von Ratgebern und Schulungen, wie sie der Grillhersteller Weber mit seiner Grillakademie anbietet, deutschsprachig an 16 Standorten – einer davon auf Mallorca. „Qualmst du noch oder grillst du schon?“ wiederum fragt das Kölner Fachgeschäft Santos auf Werbe-Postkarten für seine Kurse und verschafft dem ahnungslosen Interessenten gleich ein schlechtes Gewissen – die funkelnde Glut, mit der er all die Jahr zufrieden seinen Schweinenacken bräunte und die Wurst brutzelte, ist für höhere Weihen nicht geeignet. An Platz vier der Sachbuch-Hitliste des Magazins „Stern“ rangiert Weber’s Grill-Bibel, neue Titel kommen Schlag auf Schlag hinzu.
Die Teilnehmer der Heinsberger Grillakademie im Hinterhof des exklusiven Fleischversands Otto-Gourmet gehören zu der wachsenden Zahl von Menschen, die sich nicht länger mit marinierten Nackensteaks vom Schlachter oder gar eingeschweißten Grillfackeln aus um einen Holzstab gewundenem Bauchspeck zufriedengeben. Ob bei Fisch, Gemüse, Pizza, Brot oder dem Dessert – Grillen ist heute keine Frage des Feuers, sondern der Hitze – und bitte immer kontrolliert. Das sehen auch die Teilnehmer der Grillakademie, zum Beispiel wenn eine Lachsseite auf einem bewässerten Zedernholzbrett, bestrichen mit Waldbeerenmayonnaise für gut 15 Minuten auf den geschlossenen Gasgrill wandert – das funktioniert auch bei Regen. Das traditionelle Angrillen bei den ersten Sonnenstrahlen wird weit vor den Beginn des meteorologischen Frühlings vorverlegt oder fällt gleich ganz flach. Wer etwas auf sich hält in der Gemeinde der ernsthaften Griller, der grillt ganzjährig. Gegessen wird dann eben drinnen.
Die amerikanische und australische Lebensart hält auch bei uns Einzug samt den dazugehörigen Gerichten, von dem inzwischen weit verbreiteten Beer Can Chicken, bei dem ein Hähnchen aufrecht auf einer gefüllten Bierdose im geschlossenen Grill gart, bis zum Pulled Pork, einer Schweineschulter, die meist über Nacht und bei kontrollierter Temperatur von kaum mehr als 120 Grad Celsius im Smoker zu einem kulinarischen Fest gerät, das zwangsläufig von mehreren gefeiert werden will.
In Deutschland ist für die Hersteller noch viel zu holen. 2012 nutzen noch 80 Prozent der Deutschen am liebsten Holzkohlegrills und 17 Prozent Gasgrills. Wer die drei Hallen von Santos, dem derzeit größten Grillfachhandel Deutschlands im Kölner Stadtteil Mülheim besucht, staunt über die an Dampflokomotiven erinnernden Räuchergrills, über Gasgrills, gestaltet von Porsche Design, oder Regale voll mit Zubehör wie Wokträgern, Pizzasteinen, Fischkörben und Funk-Thermometern für die Kontrolle der Kerntemperatur des Fleischs.
Vertikale Infrarotbrenner mit 2000 Grad
Die führenden Hersteller wie Weber, Napoleon, Broil King oder Grandhall werben mit zwei bis vier Gasbrennern, sogenannten Sear-Brennern, in denen besonders viel Hitze produziert werden kann, oder mit vertikalen Infrarotbrennern. High Tech steckt in Geräten, die Gas durch kleine Löcher in Keramikplatten strömen lassen und mit Temperaturen von bis zu 2000 Grad Celsius die Keramik aufheizen, die dann ihre Hitze an das Grillgut abgibt.
Und immer häufiger: Smoker. Kleine geschlossene Rundgrills, die aussehen wie eine Mischung R2D2, dem Droiden aus „Starwars“, und einer gelben Kapsel eines Überraschungseis und als Grill und Ofen herhalten. In Geschäften, die sich Barbecue Culture nennen und, wie das Frankfurter 360°BBQ, auf Hunderten von Quadratmetern feuchte Träume von ambitionierten Grillliebhabern aufstellen, sind Beratungsgespräche quasi zwingend. Wer mitlauscht, hört den mild-strengen Unterton in den Antworten der Verkäufer heraus, wenn etwa die Frage gestellt wird, warum eine dritte Brennzone sein müsse: „Wenn Sie einfach nur ein Stück Fleisch auflegen wollen, brauchen Sie das sicher nicht.“ Wer jedoch den Kosmos der Fleischverbrenner verlässt und aufsteigen will zum Kreis der Grillgourmets muss wissen, wann indirekte Hitze und wann direkte vonnöten ist.
Das archaische Rösten von Fleischstücken fällt sukzessive der Kulinarisierung der Besserschmecker zum Opfer. Wer nachts nicht schon einmal durch die App des Funkthermometers geweckt wurde, weil die Temperatur im Räuchergrill abgesunken war, hat keine Vorstellung davon, zu welchen Opfern die Gourmets bereit sind, um am kommenden Tag das mittlerweile zart geräucherte Fleisch der Schweineschulter mit Gabeln zu zerteilen und es den Gästen zu servieren. Denn kleine Portionen – das funktioniert beim Pulled Pork ebenso wenig wie beim Brisket. Das ist eine Rinderbrust, die über lange Stunden im Rauch mit viel Geduld bei für einen Grill vergleichsweise geringer Hitze gar, zart und mürbe wird.
Aufwand, der selbst in einem vermeintlich schnöden Burger stecken kann. Statt Hackfleisch vom Metzger zu kaufen oder sich gar aus dem Angebot des Supermarkts zu bedienen, wird bei der Grillakademie selber gedreht – samt Dörrtomaten für den letzten Pfiff. Doch vor dem Fleischwolf wartet der Knethaken. Das zu gulaschgroßen Stücken geschnittene Rindfleisch wird in einer Küchenmaschine mit einem Knethaken „getumbelt“, was nichts anderes als rumpelig umgerührt meint. Das Eiweiß aus den Muskelfasern tritt nach draußen, die Oberfläche wird matt, und das Fleisch produziert so eine Art eigenen Kleber, der verhindert, dass die Burger anschließend durch die Lücken zwischen den neun Millimeter dicken Stäben des Grillrostes bröseln.
Anita, die bekennende Gasgrillerin, die zunächst vom Lebensgefährten Paul mit dem kommodengroßen Gerät überrascht wurde, steht heute genauso leidenschaftlich am Grill wie Paul. Den Kurs – ein Geschenk für ihn – besuchen beide gemeinsam. Am Ende des Abends haben sie gelernt, dass der unerschrockene Hobbygriller den Herd auslassen kann, wenn draußen die Gasflasche nur voll genug ist. Dry Aged Steaks mit fester Struktur und vollem Aroma sind selbsterklärend, dass die Beilage Frittata aus Erbsen und Eiern jedoch ebenfalls in der verschlossenen Hitzekammer eines Grills gelingt, überrascht.
Das gilt selbstverständlich auch für das Dessert, ein Törtchen mit Apfelschnitzen, Schokoeis und gratiniertem Eischnee. Es wird – um den Teig zu schützen – auf eine Tonplatte gestellt, Deckel zu, und die allumströmende Hitze bräunt binnen Minuten den Eischnee zum Baiser. Das funktioniert sogar im Notfall bei Antigriller Stefan und seinem Elektrogrill. „Die Heizart ist nicht so wichtig“, sagte Instruktor Tommy. „Man muss nur wissen, wie man sie einsetzt.“ Und dass es draußen ist.