Fragt sich nur, wie lange noch. Bis weit ins 20. Jahrhundert waren Museen vor allem fürs Sammeln, Bewahren und Forschen zuständig; die Ausstellung der Bestände war zweitrangig. Das änderte sich Anfang der Siebzigerjahre mit der Losung „Kultur für alle“, eine gut sozialdemokratisch gemeinte Forderung mit Folgen: Seither zählt nicht mehr die Erschließung und kritische Sichtung von Kunstwerken, sondern ihre publikumswirksame Präsentation.
Das Bildungsmotiv, so Grasskamp, wurde „durch die Sozialmathematik der Quote ersetzt“ – und das „ursprünglich angepeilte Ziel einer breiten Teilhabe an der Kultur verflachte zur rein numerischen Messbarkeit ihrer Effizienz“. Eine Entwicklung, die weder rückgängig zu machen noch aufzuhalten ist, so Grasskamp, weil das Bildungsbürgertum, das einst dem Kunstmuseum seine historische Bedeutung verleihen konnte, „kulturpolitisch in keiner der konkurrierenden Parteien mehr tonangebend“ ist.
Die Museumsgeheimtipps der Wiwo-Korrespondenten
Der Geheimtipp: Wer dem englischen Humor näher kommen will, sollte das Londoner Cartoon Museum besuchen, das in drei Räumen rund 230 historische und moderne Karikaturen und Comic Strips zeigt. Jedes Jahr prämiert das Museum die besten Karikaturisten unter 18 und 30 Jahre. Es befindet sich in der Nachbarschaft des British Museums, erhält keine öffentlichen Mittel und kostet Eintritt.
The Cartoon Museum, 35 Little Russell Street, London WC1A 2HH
Beim Museum Neue Galerie, das auf New Yorks Museums-Meile in der Fifth Avenue liegt, ist der Name Programm. Hier geht es deutsch zu, in der Kunst wie beim Kuchen. Besucher finden eine eindrucksvolle Sammlung deutscher und österreichischer Kunst des 20. Jahrhunderts. Nicht minder eindrucksvoll ist – zumindest für amerikanische Verhältnisse – die Auswahl an deutschen und österreichischen Kuchen in den beiden Museumscafés. Wer in New York Sachertorte in edler Wiener Kaffeehausatmosphäre speisen will, geht in die Neue Galerie. Nicht selten scheint die Anziehungskraft des Kuchens höher als die der Kunst. Dann herrscht Leere vor den Klimts, Klees und Kirchners, während die Schlange der Café-Gäste bis auf die Straße reicht.
Neue Galerie, 1048 5th Avenue, New York, NY 10028
Auf einen Tee mit George Sand.
Das Musée de la vie romantique liegt versteckt am Ende einer kleinen Seitenstraße unweit der lauten Place Pigalle. Eben noch von schreiender Leuchtreklame für sehr viel unromantisch bloß gelegte Haut umgeben, trifft der Besucher beim Betreten des Gartens mit nur wenig gebändigten Rosenbüschen und Fliederbäumen auf das Paris des 19. Jahrhunderts. In dem Pavillon im italienischen Stil, der heute das Museum beherbergt, traf sich das künstlerische "Who is who" der Epoche bei dem damaligen Mieter, dem Maler Ary Scheffer. Rossini, Dickens, Delacroix, Chopin und auch George Sand. Der Schriftstellerin, die eigentlich Amantine Aurore Lucile Dupin de Francueil hieß und unter dem Männernamen George Sand Romane und gesellschaftspolitische Beiträge verfasste, ist das gesamte Erdgeschoss des Museums gewidmet. An sonnigen Tagen sollte man unbedingt noch auf einen Tee im Garten verweilen.
Musée de la vie romantique, 16 rue de Chaptal, 75009 Paris
Schon gar nicht in Leverkusen, wo man ein Richter-Gemälde als Recheneinheit versteht, wo das Schloss Morsbroich ein Instrument des Stadtmarketings ist und ein Museum bestenfalls sozialinklusive Zwecke zu verfolgen hat. Es ist bezeichnend, dass das Museum Morsbroich von einem Leverkusener Ratsherrn als „elitärer Schuppen“ verunglimpft wurde, als „Luxusgut, das sich eine kleine Klasse dieser Stadt erhält“.
Das Thema Bildung sei „eigentlich durch“, der „point of no return“ längst erreicht, sagt Wolfgang Ullrich – und die angedrohte Schließung eines Museums paradoxerweise die „letzte Konsequenz“ der Formel „Kultur für alle“. Letztere werde heute von niemandem mehr in Zweifel gezogen. Die Folge sei eine Art von Klassenkampf, der sich vor allem in Nordrhein-Westfalen beobachten lässt: Das Museum solle den Resten des Bildungsbürgertums entrissen werden, um es für soziale Randgruppen zu öffnen. In einer Zeit, da die Künstler allenthalben nach dem Markterfolg schielen, so das Argument, ist es für die Museen nur billig, dass sie am Publikumsmarkt reüssieren.
Neues Verhältnis zum Besucher
Das bedeutet durchaus eine Aufwertung der Museen. Ullrich beobachtet das „gewandelte Selbstverständnis der Museen“ an der Karriere des Begriffs der Kunstvermittlung. Dass sie Werke berühmter Künstler wie Koons oder Gursky aus ihrem Ankaufsetats nicht bestreiten können, kompensieren die Museen durch Workshops, die Kinder, Jugendliche und Erwachsene, auch Alzheimer-Kranke dazu motivieren sollen, in der Begegnung mit den Kunstwerken der großen Kreativen die eigene Kreativität zu entdecken.
Der Besucher wird nicht „von oben herab“ kunsthistorisch belehrt, sondern zur inspirierenden Mitarbeit eingeladen. Kurz, Beuys hat gesiegt, jeder ist im Museum kreativ, darf sich, neben den Genies, als „gleichberechtigter Künstler erfahren“. Wollte man in Leverkusen mit der Zeit gehen, könnte man hier ansetzen und das Museum Morsbroich zur „Kreativitätsagentur“ ausbauen, die „Hebammenarbeit“ leistet bei der Umgestaltung des Rezipienten zum „aktiven Kreativen“.
Maulkorb für die Museumschefs
Das Problem ist, dass sie in Leverkusen nicht mal mehr eine bildungsbürgerlich entkernte Museumskultur als einen Wert begreifen, sondern nur noch als haushalterischen Ballast. Wen wundert’s? Wer die Argumente für die Relevanz von Hochkultur verlernt, die Schwellen bis zur Selbstverleugnung senkt und sich auf das Spielfeld der betriebswirtschaftlichen Logik zwingen lässt, darf sich am Ende nicht wundern, wenn er den Insolvenzrichtern von KPMG vorgeführt wird.
Roswitha Arnold, Vorsitzende des Kulturausschusses in Leverkusen, erreicht viele ihrer Ratskollegen nicht mal mehr mit dem Selbstverständlichsten: dass der Haushalt nicht wegen der Kultur in Schieflage geraten ist und daher auch nicht auf Kosten der Kultur saniert werden kann. Dass die Schließung des Museums die Stadt noch ärmer machen würde. Dass ausgerechnet die Spitzenwerke einer Sammlung nicht verhökert gehören, weil ihre Präsentation (und die Einnahmen aus dem Leihgabensystem) die Bilanz verbessern. Leverkusen hat die Kultur 2002 in einen Eigenbetrieb ausgegliedert und ihr eine Million (von 9,3 Millionen) gestrichen. Leverkusen verschönert seit 2011 den Stadtteil Opladen – und erspart der Kultur eine weitere Million. Leverkusen strebt einen ausgeglichenen Haushalt bis 2018 an – und droht der Kultur mit einem Minus von weiteren 1,4 Millionen und der Schließung des Museums nun endgültig den Garaus zu machen.
Die Museumsleitung darf zu alledem nichts sagen, hat von den Stadtoberen einen Maulkorb verpasst bekommen. Und doch gelingt ihr nächsten Sonntag ein denkbar passender Kommentar: eine neue Ausstellung – mit Werken von Richter und Polke. Ihr Titel: „Schöne Bescherung“.