Die Rollen sind klar verteilt. Amalia, fünf Jahre alt, trägt auf ihrem Kopf eine Krone. Sie ist der weiße König. Ihr gegenüber steht Charly, sieben Jahre alt, auch geschmückt mit einer Krone. Er ist der schwarze König. Zwischen den beiden Oberhäuptern liegt auf dem Boden eine rote Decke. Näher dürfen sich die beiden nicht kommen, das verlangt der Respekt. „Zwischen den beiden Königen muss immer mindestens ein Feld frei bleiben“, sagt Schachlehrerin Dijana Dengler. Kurz darauf betreten zwei Türme den schwarz-weißen Teppich: die Geschwister Sophia und Martin. Sie attackieren. Doch Königin Amalia kann es nicht abwarten, ihr Sternchen-Zepter saust auf Sophias Rücken: „Du bist schachmatte.“ Es ist noch früh am Tag. Das Vokabular sitzt noch nicht ganz.
Geist und Bildung statt Spiel und Spaß
Schachakademie auf Schloss Elmau. Eine Woche lang sitzen die Kinder, täglich drei Stunden, in der Bibliothek des Luxushotels zwischen dem großen Brockhaus und Siegfried Lenz’ „Deutschstunde“ vor ihren Schachbrettern. Schon der Veranstaltungsort signalisiert: Es geht hier nicht um Spiel und Spaß, sondern um Geist und Bildung und Erfolg. „Beim Schachspielen erlernen die Kinder strategisches Denken“, sagt Nationalspielerin Dengler. „Das hilft ihnen nicht nur in der Schule, sondern auch später im Berufsleben.“
Die Münchnerin hat deshalb das Programm Königsplan erfunden. Entscheider im Job sollen von Schachgroßmeistern profitieren. Bei ihrem heutigen Publikum handelt es sich allerdings eher um die Entscheider von überüberübermorgen. Der älteste Teilnehmer ist ein Zweitklässler. Früh übt sich, wer Karriere machen will.
Erklugen in Deutschland: Weiterbildungsangebote für die Sommerferien
Der Düsseldorfer Familienservice bietet für 50 Euro verschiedene Programme an. Darunter „Wir sind Europa“, in dem unter anderem ein Besuch im Landtag auf dem Tagesplan steht oder die Geschichte des Mittelalters im Neanderthal Museum.
Die staatlichen Museen zu Berlin laden zu mehrtägigen Workshops, in denen Kinder und Jugendliche über Ausstellungen, Kunstwerke oder kulturgeschichtliche Objekte diskutieren. Das Berliner Kulturzentrum Bergschlösschen hat Roboterkurse im Angebot und zeigt Kindern, wie diese ein Drei-Gänge- Menü zubereiten.
Deutschland sucht den neuen Karl Lagerfeld: Die Hamburger Volkshochschule zeigt in fünf Sitzungen, wie man sein eigenes Outfit entwerfen und schneidern kann – oder gibt eine Einführung in die Kunst des Goldschmiedens.
In München lässt sich in einem Tag 3-D-Drucken und Lasercutten erlernen oder der Münchner Flughafen besichtigen – natürlich inklusive technischer Details.
Die Sprachkurse des Veranstalters KidsCampAmerica werden unter anderem in Frankfurt und Wiesbaden angeboten. Der einwöchige Kurs verspricht „Englisch pur – von 9 Uhr bis 5 Uhr“.
In Köln können Kinder lernen, wie man eine App programmiert, eine Webseite entwickelt oder einen Trickfilm produziert.
Schloss Elmau bietet die exklusive Ferienbeschäftigung für die kleinen Gäste seit mehr als zehn Jahren an. Neben der Schachakademie gibt es eine Literaturwerkstatt und das Science Lab, in dem Kinder ab vier Jahren Stromkreisläufe legen oder Roboter montieren. Besonders beliebt ist der Debattierklub, dessen Teilnehmer mindestens zwölf Jahre alt sein müssen und der aufgrund des großen Andrangs jeden Sonntag stattfindet. Highlight des Jahres aber ist der Film-Workshop. Selbstverständlich finden alle Kurse nach Bedarf zweisprachig statt.
„Das Angebot richtet sich an Eltern, die Wellness ohne schlechtes Gewissen genießen wollen“, sagt Schlossherr und Gastgeber Dietmar Müller-Elmau. Die meisten Gäste haben beruflich viel zu tun und verbringen wenig Zeit mit ihren Kindern. Die verlorenen Momente könnten im Urlaub nachgeholt werden. Doch egal, wie gut die Vorsätze auch sind: Wenn die Massagebank oder das Salzwasserbecken locken, ist der gestresste Manager, Anwalt, Arzt doch froh über ein paar kinderfreie Stunden. „Damit das schlechte Gewissen nicht allzu sehr plagt, gibt es das Weiterbildungsprogramm für den Nachwuchs“, erklärt Müller-Elmau und grinst.
Edutainment nennt er das, was er seinen kleinen Gästen da anbietet, eine Wortschöpfung aus Education und Entertainment: die Kombination von Pädagogik und Spaß. Unter Bildungsexperten ist das der neueste Schrei. Für Eltern ein Traum von einem Angebot. Lernen, und das mit Freude. Besser geht es nicht.
Denn wer auch morgen noch gefragt sein will, muss sich heute darauf vorbereiten, ganz gleich, wie jung er noch ist. Ob Englischstunden, Programmierkurse oder einen kurzen Abriss der europäischen Geschichte – das Angebot ist groß. Faulenzen in den Ferien war gestern, heute wird gelernt. Dabei sind es vor allem die Kinder Besserverdienender, die in den Genuss solcher Veranstaltungen kommen.
In ihrem jüngsten Kinder- und Jugendbericht stellte die Bundesregierung fest, dass 40 Prozent der unter Dreijährigen an privat organisierten Programmen teilnehmen. Unter den Besserverdienenden ist der Anteil deutlich höher. Die World Vision Kinderstudie 2010 zeigte, dass Grundschüler aus der Oberschicht mit einem Anteil von 95 Prozent deutlich häufiger in ihrer Freizeit gefördert werden als Kinder aus unteren Schichten: Hier liegt der Anteil bei 42 Prozent. Nicht immer sind die Angebote so elitär wie auf Schloss Elmau. Doch dafür kann mittlerweile jedes Schulkind in einer mittleren Großstadt seine Ferien mit allerlei Sinnigem füllen. Wo eine Nachfrage, das ist auch ein Angebot.